| # taz.de -- Studie zu Doping im Leistungssport: Die Promille-Illusion | |
| > Lange verhinderten Funktionäre die Publikation einer Studie, in der ein | |
| > Drittel aller Leichtathleten Doping zugibt. Jetzt sind die Zahlen | |
| > öffentlich. | |
| Bild: Foto aus dem Wassergraben bei der Leichtathletik-WM im südkoreanischen D… | |
| Ein Drittel aller Leichtathleten und gar knapp die Hälfte aller Teilnehmer | |
| der Panarabischen Spiele hat im Jahre 2010 gedopt. Das ergab eine Studie | |
| der Universität Tübingen, die nach [1][langem Gezerre] [2][hinter den | |
| Kulissen] jetzt endlich veröffentlicht werden darf. Diese Zahlen | |
| entsprechen mehr dem Bauchgefühl von Sportlern, Trainern und Journalisten | |
| als die lächerlichen Trefferquoten der Antidopingagenturen. | |
| Einer von 100 oder einer von drei? Das ist die große | |
| Dopingbeteiligungsfrage. Glaubt man den Statistiken der | |
| Antidopingagenturen, dann liegt die Quote der Doper im Promille- bis | |
| einstelligen Prozentbereich. Die deutsche Nada fand 2016 bei 15.359 Tests | |
| lediglich 98 positive Fälle, von denen gerade einmal 20 Fälle zu Sanktionen | |
| führten. 20 von 15.359 – richtig sauber ist der deutsche Sport aus dieser | |
| Perspektive. In der großen weiten Welt des Sports muss man den Spitzenwert | |
| von nur 0,13 Prozent Dopern immerhin mit dem Faktor 10 multiplizieren. Bei | |
| 196.581 Proben in den Olympischen Sportarten stieß die | |
| Welt-Antidopingagentur Wada im Jahr 2015 auf 3.219 positive Fälle. Das | |
| macht 1,64 Prozent. | |
| Auch diese Zahlen begeistern Funktionäre. Machen sie doch glauben, dass der | |
| Sport fast komplett frei von Betrügern sei. Natürlich sind sich Dopingjäger | |
| im Klaren darüber, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. Wie hoch | |
| aber genau? Bereits 2002 befragte ein Wissenschaftlerteam der Uni | |
| Düsseldorf deutsche Spitzensportler in einem anonymisierten Testverfahren – | |
| und kam bei einem Teilnehmerfeld von 467 Kaderathleten auf eine Quote von | |
| 42 Prozent Dopern. | |
| 2008 knüpfte die Uni Tübingen daran an. Bei 480 deutschen Nachwuchsathleten | |
| stieß sie auf immerhin 6,8 Prozent Dopingbejaher unter der Sportlern. 2011 | |
| dehnte die Tübinger Forschergruppe um Rolf Ulrich und Perikles Simon die | |
| Befragung international aus. Sie nutzte die Leichtathletik-WM im | |
| koreanischen Daegu und die Panarabischen Spiele in Doha für einen | |
| verfeinerten Test. | |
| ## Mindestens ein Drittel der Sportler schuldig | |
| Nach einem Zufallsprinzip – ausschlaggebend war hier, ob der Geburtstag | |
| eines nahen Bekannten oder Verwandten des Athleten in die ersten zehn oder | |
| die letzten 20 Tage eines Monats fiel – wurde entweder eine sensible | |
| Dopingfrage oder aber eine weitere belanglose Geburtstagsfrage gestellt. | |
| Dieses Testdesign soll den Befragten absolute Anonymität garantieren und | |
| sie zugleich zur Ehrlichkeit in der Unehrlichkeit ermuntern. | |
| Etwa zwei Drittel aller gemeldeten Athleten der Leichtathletik-WM (1.290 | |
| von 1.841) sowie knapp ein Drittel der Starter der Panarabischen Spiele | |
| (1.030 von 3.346) wurde angesprochen; mehr als 90 Prozent beantworteten die | |
| Fragen. 43 Prozent der befragten WM-Teilnehmer und 57 Prozent der | |
| Panarabischen Sportler gaben schließlich zu, im Vorjahr gedopt zu haben. | |
| Nach einer Bereinigung der Zahlen – es wurden vor allem die ganz schnellen | |
| Antwortgeber als potenzielle Fehlerquellen aussortiert – blieben immer noch | |
| 30 bis 31 Prozent der Leichtathleten und 45 bis 49 Prozent der arabischen | |
| Sportler in den Olympischen Disziplinen als Doper übrig. | |
| Das sind imposante Zahlen. Es ist kaum verwunderlich, dass die Studie sechs | |
| Jahre unter Verschluss blieb. Die Zahlen sickerten zwar schon vorher durch, | |
| aber das offizielle Publikationsverbot verhinderte eine echte Debatte. Wer | |
| Interesse am Verschweigen der Untersuchung hatte, wurde bei den | |
| Befragungen des Antidopingausschusses des britischen Parlaments deutlich. | |
| Der Ausschuss veröffentlichte einen Briefverkehr, in dem | |
| Leichtathletik-Chef Sebastian Coe als großer Publikationsverhinderer der | |
| Studie auftauchte. Coe, das darf man unterstellen, wollte weder die London | |
| Olympics 2012 noch die gerade ebenfalls an der Themse über die Bühne | |
| gegangene Leichtathletik-WM 2017 im Dopingzwielicht sehen. | |
| Statt die Publikation zu verzögern, hätte Lord Coe die Gefahr ernst nehmen | |
| und das Tübinger Team den Daegu-Test in seiner Heimat wiederholen lassen | |
| sollen. Die Glaubwürdigkeit des Weltsports und auch die des globalen | |
| Testsystems sind wieder mal erschüttert. | |
| 29 Aug 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.spiegel.de/sport/sonst/doping-studie-forscher-werfen-iaaf-vertus… | |
| [2] https://www.uni-tuebingen.de/newsfullview-landingpage/article/grundsaetzlic… | |
| ## AUTOREN | |
| Tom Mustroph | |
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