# taz.de -- 30 Jahre nach dem Tod von Birgit Dressel: Das große Schweigen | |
> Die BRD-Siebenkämpferin starb 1987 an Organversagen. Sie schluckte | |
> tausende Tabletten und war Patientin eines Arztes, der Doping anleitete. | |
Bild: 1986 wurde Dressel bei der Leichtathletik-EM Vierte. Ein Jahr später sta… | |
Sie starb an Multiorganversagen, kurz vor ihrem 27. Geburtstag; im Körper | |
der jungen Frau wurden jede Menge Präparate gefunden, darunter Anabolika. | |
Insgesamt rund 400 Injektionen soll sie in den zwei Jahren vor ihrem Tod | |
erhalten haben, dazu Tausende von Tabletten. Am 10. April 1987 starb die | |
Siebenkämpferin Birgit Dressel qualvoll auf der Intensivstation in einem | |
Mainzer Krankenhaus. Ob ihr Tod durch Doping verursacht wurde, wurde nie | |
nachgewiesen, für eine Aufklärung interessierten sich lange wenige. | |
Systematisches Doping in der BRD? Hier doch nicht. | |
Bis heute bewegt der Fall Dressel die Gemüter. Doping und die Tode von | |
Athleten seien „genuiner Teil des organisierten Sports in Deutschland“, | |
klagt nun der Doping-Opfer-Hilfeverein (DOH). Es werde mehr gestorben denn | |
je, und das Dauersterben der Athleten „so konspirativ gehandhabt wie das | |
Doping selbst und insbesondere zum alleinigen Problem der Aktiven gemacht“. | |
Die Liste des DOH führt Hunderte Todesfälle aus Ost und West. Herzinfarkte, | |
Schlaganfälle, Organversagen, Tumore. Anlässlich des Schicksals von Dressel | |
fordert der DOH mehr Unterstützung für Dopingopfer und nachhaltige | |
Konzepte. | |
Denn groß geschwiegen wird noch immer. Obwohl längst klar ist, dass Dressel | |
kein Einzelfall war. In einem neuen Gutachten belastet der Mainzer | |
Sportwissenschaftler Andreas Singler den organisierten Sport der BRD | |
schwer. Es gebe „gute Gründe, für die Bundesrepublik Deutschland von | |
systematischem und teils auch flächendeckendem Doping (…) zu sprechen“, so | |
Singler. Birgit Dressel war Teil eines Systems. | |
Im Zentrum des Systems: der Freiburger Mediziner Armin Klümper. Er soll | |
über Jahrzehnte Tausende von westdeutschen Sportlern systematisch gedopt | |
haben. Auch Birgit Dressel gehörte zu seinen Patientinnen. Klümper nannte | |
die hochgradig gedopte Athletin gegenüber der Kripo eine „im höchsten Maße | |
gesunde“ Frau. Klümper ist das prominente Gesicht, der Bad Boy. Ein | |
heimlich agierender Einzeltäter aber war er nicht. Klümper sei „die | |
zentrale Bad Bank des westdeutschen Sports“ gewesen, so Singler; derjenige, | |
der sich die Hände schmutzig machte, wo der Staat offiziell nichts wissen | |
wollte. | |
## Das Märchen vom sauberen Westen | |
Das Märchen vom sauberen Westen gegen den dopenden Osten zerbrach mit dem | |
Fall Dressel. Ebenso wie die Mär, dass es sich in der BRD nur um | |
Individualtäter handelte. Ohne breite politische Unterstützung, schreibt | |
Singler, wäre Klümpers Wirken nie so möglich gewesen. Gestützt wird das von | |
einer neuen Dissertation des Wissenschaftlers Simon Krivec, die nachweist, | |
dass viele westdeutsche Leichtathleten in den siebziger und achtziger | |
Jahren systematisch Anabolika nutzten. | |
„Sie ist ein Opfer medizinischer Praktiken geworden, die unverantwortlich | |
waren“, sagt Clemens Prokop, Präsident des Deutschen | |
Leichtathletik-Verbandes, heute über Birgit Dressel. Dopingexperte Fritz | |
Sörgel nennt ihren Tod „eine Folge des massiven Missbrauchs aller möglichen | |
Stoffe“, darunter Dopingsubstanzen in Höchstdosen. Doch reale Folgen gab es | |
für die Verantwortlichen nie. Das Ermittlungsverfahren gegen unbekannt | |
wegen des Verdachts fahrlässiger Tötung ist längst eingestellt. | |
Die alten Trainer, Ärzte und Funktionäre halten still oder wollen nichts | |
gewusst haben. Mittlerweile, mit dreißig Jahren Abstand, redet man immerhin | |
von „einer der größten Tragödien des deutschen Sports“ (DOSB-Präsident | |
Alfons Hörmann). Mehr nicht. Ebenso wie Dressels Trainer Thomas Kohlbacher | |
kam auch Klümper unbeschadet davon: Im Jahr 2000 setzte er sich nach | |
Südafrika ab, wo er bis heute lebt. Und schweigt. | |
10 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
## TAGS | |
Doping | |
Schwerpunkt Sport trotz Corona | |
BRD | |
Leichtathletik | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Leichtathletik | |
Doping | |
Doping | |
Doping | |
Doping im Spitzensport | |
Anti-Doping-Agentur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Interessenvertretung ohne Sportbund: Wir sind doch der Sport | |
Deutsche Athleten wollen eine eigene Interessenvertretung gründen. Die | |
Funktionäre des DOSB sind ratlos, wie sie damit umgehen sollen. | |
Doping in der BRD: Ausheulen beim Häuptling | |
Anlässlich einer Bundestagsanhörung: Ehemalige Leichtathleten aus der | |
Bundesrepublik sprechen über Doping mit Anabolika im Westsport. | |
Dopingarzt in Brasilien: Ein stolzer Betrüger | |
Der brasilianische Fußballweltmeister Roberto Carlos soll Kunde eines | |
Dopingarztes gewesen sein. Der hatte sich schon 2013 mit Carlos' Erfolgen | |
gerühmt. | |
Doping bei den Sommerspielen 2008: Die perfekte Ausrede | |
Die Welt-Anti-Doping-Agentur plädiert dafür, dass Clenbuterol in | |
Sportlerkörpern schon mal auftauchen darf. Und liefert Sportlern ein Alibi. | |
Kommentar Doping-Whistleblower: Auch der Westen tut sich schwer | |
Andrej Dmitrijew floh aus Russland. Doch nicht nur dort, auch in den USA | |
und Europa haben es Whistleblower nicht leicht. | |
Doping im Wintersport: Mr. Biathlon und Doktor Epo | |
Tipps vom Dopingarzt Michele Ferrari und abgehörte Gespräche: Der | |
Multifunktionär Gottlieb Taschler und sein Sohn Daniel stehen vor Gericht. | |
Doping bei Olympia 2014 in Russland: Rusada dementiert Eingeständnis | |
Die Chefin von Russlands nationaler Anti-Doping-Agentur soll systematisches | |
Doping zugegeben haben. Nun lässt die Agentur wissen, ihre Leiterin sei | |
falsch zitiert worden. | |
Doping-Analytiker über Radsport: „Mir ist die Lust vergangen“ | |
Ein Gespräch mit dem Doping-Analytiker Wilhelm Schänzer über bekannte und | |
neue Substanzen zur künstlichen Leistungssteigerung. |