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# taz.de -- DDR-Oppositionelle über Pegida: „Jesus hätte gekotzt“
> Einstige DDR-Bürgerrechtler wenden sich gegen die „Wir sind das
> Volk!“-Attitüde der Rechtspopulisten. Sie wollen Widerstand gegen sie
> anregen.
Bild: So sah der Protest der Bürgerrechtler 1989 auf dem Alexanderplatz aus
BERLIN taz | „Bürgerrechtler, warum schweigt ihr?“ war kürzlich [1][ein
Text] in der Wochenzeitung Die Zeit überschrieben. Die Redaktion wollte
wissen, wo in Zeiten von Pegida der Mut derer geblieben ist, die 1989 für
Demokratie und Freiheit auf die Straße gegangen waren. „Warum schweigt Ihr,
wenn das Ressentiment marschiert, wenn Rechtspopulisten gegen Einwanderung
hetzen, Flüchtlinge zur Gefahr erklären und sich erdreisten, das Ganze
,Montagsdemonstration‘ zu nennen?“, fragt die Zeit.
Nun antworten die Bürgerrechtler. In dem Text „Weihnachtsgruß von
Neunundachtzigern“ (s.u.), der der taz vorliegt, rufen drei der wichtigsten
Protagonisten der Wendezeit zum Protest gegen Pegida auf. In recht deftiger
Sprache verwahren sich Reinhard Schult, Thomas Klein und Bernd Gehrke
dagegen, dass die Ideen der friedlichen Revolution von Islamhassern,
Fremdenfeinden und Flüchtlingsgegnern missbraucht werden.
„Jesus hätte gekotzt, hätte er euch getroffen“, lautet eine Zeile des
zehnstrophigen Textes. Und weiter: „Wir sind das Volk, ruft ihr. Freiheit,
Toleranz, weltoffen meinte das ’89. Visafrei bis Hawaii, war die Devise.
Und: die Mauer muss weg. // Ihr aber wollt: Visafrei nur für uns. Die Mauer
muss weg nur für uns. Die Mauer muss her am Mittelmeer – 25 Jahre nach dem
Mauerfall.“
Die drei Initiatoren haben damals selbst viel riskiert. Der Ökonom Bernd
Gehrke etwa war 1978 wegen „staatsfeindlicher Gruppenbildung“ aus der SED
ausgeschlossen und mit Berufsverbot belegt worden; er war später
Mitbegründer des Robert-Havemann-Kreises und der Grünen Liga.
Der Historiker Thomas Klein stand in der DDR unter Publikationsverbot;
Mitte der Achtzigerjahre gründete er mit anderen Oppositionellen die
„Gruppe Gegenstimmen“. Und Reinhard Schult gilt als einer der wichtigsten
Protagonisten der DDR-Opposition in den Achtzigern. 1989 war er – unter
anderen gemeinsam mit der Malerin Bärbel Bohley – Gründungsmitglied des
Neues Forum.
## „Schämt euch“
Im Januar 1990 rief Schult mit dem Neuen Forum zu einer folgenreichen
Demonstration vor der Berliner Stasi-Zentrale auf. Die anschließende
Besetzung führte dazu, dass die Archive der Staatssicherheit bewahrt und
später öffentlich zugänglich gemacht wurden. In diesem Jahr wurde ihm das
Bundesverdienstkreuz verliehen.
In ihrem gemeinsamen Text begeben sich Schult, Gehrke und Klein in direkten
Widerspruch zu den Dresdner Pegida-Organisatoren: „Ihr sprecht nicht für
’89. Ihr sprecht für keine Freiheitsbewegung. Ihr seid deren Schande.
Schämt euch.“
Der gemeinsame Text, schreibt Reinhard Schult, soll gerade „nicht das
Gespräch mit den Pegida-Demonstrant/innen suchen, sondern den Widerstand
gegen sie ermuntern“. Man lege keinen Wert auf lange Erörterungen komplexer
Probleme und deren politischer Ursachen, „sondern macht Front gegen die
sich neu formierende rechtspopulistische Bewegung a la Front National.
Deshalb ist er provozierend und frech gehalten.“
Auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat sich zu Wort
gemeldet. Wie schon nach dem Anschlag auf eine Düsseldorfer Synagoge im
Jahr 2000 forderte Schröder einen neuen „Aufstand der Anständigen“. „In
Berlin haben damals 200.000 Menschen gegen Ausländerfeindlichkeit und
Antisemitismus protestiert, und selbstverständlich sind Bundespräsident und
Bundeskanzler vorneweg marschiert. So eine öffentliche Reaktion brauchen
wir auch jetzt“, sagte Schröder dem sächsischen Magazin Couragiert.
## Originaltext der Bürgerrechtler:
„Weihnachtsgruß von Neunundachtzigern“ 25 Jahre nach dem Mauerfall
## PEGIDA – Nie wieda!
Wir sind das Volk ruft ihr
Freiheit Toleranz Welt offen meinte das '89
Visa frei bis Hawai war die Devise
Und: Die Mauer muss weg
Ihr aber wollt:
Visa frei nur für uns
Die Mauer muss weg nur für uns
Die Mauer muss her am Mittelmeer
25 Jahre nach Mauerfall
Zusehen wollt ihr wenn die Elenden
Der Welt an neuen Mauern sterben
An euren Mauern
Oder ihr dreht euch weg
Um in Ruhe Gänsebraten zu fressen
Und Weihnachtslieder zu singen
Jesus hätte gekotzt hätte er euch getroffen
Habt ihr euch nie gefragt:
Wer liefert die Waffen für die Bürgerkriege die die Menschen vertreiben
Wer hat der Welt den Neoliberalismus aufgezwungen
Der sie in Ungleichheit Armut Not treibt Bei uns und im Süden der Erde
Und wer hat die Klimakatastrophen produziert
Die den Sahel zur Hölle machen
Dabei pfeifen die Spatzen von den Dächern:
Es ist das System das ihr nicht schnell genug bekommen konntet
Dem ihr den '89er Versuch geopfert habt
Den Versuch einer alternativen Demokratie
Einer freiheitlichen solidarischen ökologischen
Doch ihr sprecht nicht über dieses System
Über Kapitalismus seine Gemeinheiten über Interessen
Dafür protestiert ihr gegen die Schwachen
An die Mächtigen traut ihr euch nicht heran
Feiglinge
In Sachsen sind Muslime nur mit der Lupe zu finden
Aber ihr bekämpft die Islamisierung des Abendlands
Euer Abendland heißt Dunkeldeutschland
Ihr riecht nach dem Provinzmief hinter der Mauer
Oder dem in den Tälern der Alpen
Ihr sprecht nicht für '89
Ihr sprecht für keine Freiheitsbewegung
Ihr seid deren Schande
Schämt euch
Auf euer Abendland haben wir '89 gepfiffen
Darauf pfeifen wir auch heute
Unsere Solidarität den Flüchtlingen
Und immer noch sagen wir
Eine andere Welt ist möglich
Eine andere Welt ist nötig
Um alle Mauern zu stürzen
Weihnachten 2014
## Die Unterzeichner:
Kerstin Ahrens (1989 Kirche von Unten), Silke Ahrens (1989 Kirche von
Unten, Offene Arbeit), Susan Arndt (1989 Neues Forum/Student/innenrat HU
Berlin), Judith Braband (VL/Zentraler Runder Tisch/Kuratorium Haus der
Demokratie und Menschenrechte Berlin), Malte Daniliuk (1989/1990
Bürgerkomitee 15. Januar zur Auflösung des MfS), Bettina Dziggel (1983-89
Lesben in der Kirche, AK Homosexuelle Selbsthilfe Berlin,
Gethsemanekirche), Konrad Elmer- Herzig (1989 Mitbegründer der
Sozialdemokratischen Partei in der DDR), Hans-Jürgen Fischbeck (1989
Mitbegründer von "Demokratie Jetzt", Zentraler Runder Tisch), Bernd Florath
(1989 Unabhängiger Historikerverband/Neues Forum), Bernd Gehrke (1989
Vereinigte Linke, Zentraler Runder Tisch), Elisabeth Gibbels (
Schriftstellerin), Andreas Heise (1989 Neues Forum), Werner Jahn (1989
Initiative für eine Vereinigte Linke/Gruppe "Gründet Räte in den
Betrieben"), Peter Jeschke (1989 Neues Forum, Runder Tisch Halle, ehemals
Stadtrat), Wolfram Kempe (Schriftsteller), Samirah Kenawi (1989
Unabhängiger Frauenverband), Thomas Klein (1989 Vereinigte Linke, Zentraler
Runder Tisch), Gabriele Kleiner (Neues Forum, Berliner Sprecherrat), Lothar
König (Pfarrer, JG Stadtmitte Jena), Marinka Körzendörfer (1983-89 Lesben
in der Kirche, AK Homosexuelle Selbsthilfe Berlin, Gethsemanekirche), Bernd
Markowsky (1976 Haft wg. Staatsfeindlicher Gruppenbildung/AKL und OA Jena),
Isa-Lorena Messer (Neues Forum), Antje Meurers (1989 Neues Forum Dresden,
Lehrerin), Dietmar Mielke (Friedenskreis Friedrichsfelde), Silvia Müller
(1989 Vereinigte Linke, Zentraler Runder Tisch), Wolfgang Musigmann (Offene
Arbeit Erfurt, 1989 Mitglied des Bürgerkomitees Erfurt ), Neues Forum;
Peter Neumann (1989 Neues Forum/Arbeitsgruppe Sicherheit), Angelika Nguyen
(1989 Vereinigte Linke), Henning Pietzsch (1989 Offene kirchliche
Jugendarbeit Jena/JG-Stadtmitte), Grit Poppe (1989 Demokratie Jetzt, Runder
Tisch Bezirk Potsdam, Landesgeschäftsführerin für DJ Brandenburg), Axel
Peters (Neues Forum/Besetzung Stasi-Waffenlager Kavelstorf/Besetzer der
Stasizentrale in Rostock), Judith Porath (1989 Junge Gemeinde
Oranienburg/Theatergruppe Theo), Elske Rosenfeld (89er Demonstrantin,
Künstlerin), Rüdiger Rosenthal (1990 Grüne Partei der DDR), Wolfgang
Stadthaus (1989 Friedenskreis Berlin), Torsten Schleipp (1989 Vereinigte
Linke, Runder Tisch Leipzig), Andreas Schmidt (1989 Neues Forum), Andreas
Schreier (Redaktion telegraph), Reinhard Schult (1989 Neues Forum,
Zentraler Runder Tisch), Anne Seeck (Dresdner Subkultur, 1989 ausgereist),
Wolfgang Stadthaus (1989 Friedenskreis Berlin), Dirk Teschner (1989 Kirche
von Unten/Redaktion Friedrichsfelder Feuermelder), William Totok (ehem.
Aktionsgruppe Banat, Publizist, Berlin), Veronika Wagner (1989 Opposition,
VBK-Berlin Montagsversammlungen,-demonstrationen), Rainer Wahls (1989
Soldatenrat 8. Motschützenregiment Drögerheide/danach StuRa HU Berlin),
Dirk Wassersleben (Redaktion telegraph), Albrecht Wetzel (1989/90
Bürgerkomitee 15.Januar zur Auflösung MfS), Dietmar Wolf (1989
Umweltbibliothek Berlin, Antifa Ostberlin); Jolly Zickler (1989 Kirche von
Unten), Siegfried Zoels (1989 Neues Forum, Runder Tisch Berlin-Prenzlauer
Berg)
22 Dec 2014
## LINKS
[1] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-12/pegida-offener-brief-…
## AUTOREN
Anja Maier
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