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# taz.de -- Postmigrantische Kunstgeschichte der DDR: Völkerfreundschaft und P…
> In Berlin will die Ausstellung „Echos der Bruderländer“ künstlerisch die
> Auslandsbeziehungen der DDR vermitteln. Das gelingt nur mit Anstrengung.
Bild: Die Installation „Fountains of a high mountain and a sweet dream“ von…
Welche Rolle spielten Migrant:innen für die (Außen-)Politik, Wirtschaft
und im Sozialleben der DDR, und was war DDR-Bürger:innen über ihre
Lebensverhältnisse bekannt? Wie viel davon war gelebte Völkerfreundschaft
und wie viel Propaganda? Wurde DDR-Geschichte ausgelöscht, gab es eine
Amnesie durch BRD-zentrierte Perspektiven?
Solche und viele weitere Fragen stellt die Ausstellung „Echos der
Bruderländer“, die seit Anfang März [1][im Haus der Kulturen der Welt] zu
sehen ist. Die DDR pflegte rege Beziehungen zu ihren sogenannten
sozialistischen Bruderländern, darunter Algerien, Angola, Kuba und Vietnam.
Zwischen 1949 und 1990 [2][migrierten Hunderttausende Menschen in die DDR]
als Arbeiter:innen, Auszubildende oder Studierende. Sie machten 1989 1,2
Prozent der Bevölkerung aus. Einige von ihnen blieben. Sie prägen
Deutschland bis heute.
An den künstlerischen Positionen der Ausstellung werden Erlebnisse
sichtbar, die die Migrant:innen über Generationen hinweg und bis heute
prägen. Seismografisch für traumatische Erfahrungen steht eine Kunst- und
Klanginstallation [3][des Künstlers Minh Duc Pham], Sohn ehemaliger
vietnamesischer Vertragsarbeiter:innen aus dem Erzgebirge.
Er hat einen Porzellanbrunnen aufgestellt, der wie ein Schrein wirkt und
Lilienduft versprüht. Am Brunnen sitzend lauschen wir einem intimen
Gespräch zwischen dem Künstler und seinem Bruder, der nicht zur Welt kommen
durfte, dessen Namen der Künstler als Erstgeborener heute trägt.
## Erzwungene Abtreibungen
Hintergrund der Arbeit sind die vielen erzwungenen Schwangerschaftsabbrüche
der Vertragsarbeiterinnen in der DDR, denn andernfalls – so war es
vertraglich festgelegt – mussten sie sofort in ihre Heimatländer
zurückkehren und damit oft in Schande und Armut.
„Echos der Bruderländer“ präsentiert eine große, dreiteilige Ausstellung
und ein Begleitprogramm, das kaum vielfältiger sein könnte – mit Führungen,
Workshops, Lesungen, Performances und einem Podcast sowie einem Handbuch
und einem Reader.
Die differenzierte Aufarbeitung dieses Teils der DDR-Geschichte ist
notwendig aus mehreren Gründen. Der zeitliche Abstand erst macht es
möglich, die Kulturprodukte aus den sozialistischen Ländern weder als bloße
Propaganda abzutun noch zu verklären.
Gleichzeitig ist eine neue Generation seit der alten Ost-West-Teilung
herangewachsen, die nun selbst zu Wort kommt; darunter die Kinder der
ehemaligen Vertragsarbeiter:innen wie Minh Duc Pham. Und nicht
zuletzt ist es die gesellschaftspolitische Lage, die das Thema dringlich
macht, notwendiger denn je erscheint es, hinter aktuelle kulturelle und
politische Verwerfungen im Spannungsfeld zwischen Ost und West zu schauen.
Der Intendant und Chefkurator [4][Bonaventure Soh Bejeng Ndikung] schreibt
im Ausstellungstext: „Rassismus und Antisemitismus wurden nicht in der DDR
erfunden und waren in der BRD weit verbreitet. Aber um das historische
Anwachsen von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in den
Gebieten der DDR und den strukturellen Rassismus im heutigen Deutschland
insgesamt zu verstehen, müsste man sich auf eine radikale Aufarbeitung der
DDR-Geschichte einlassen.“
## Umfangreiche Recherchen
Die Ausstellung im HKW ist die dritte zum Thema (post-)migrantischer
Kunstgeschichte der DDR nach einer Schau im Museum der bildenden Künste in
Leipzig und der noch laufenden Ausstellung im [5][Albertinum in Dresden].
Allen drei Ausstellungsprojekten gehen lange, teils jahrelange Forschungen
und Recherchen voraus und alle drei Häuser bieten umfangreiche
Begleitprogramme an. Das HKW dient mit seinem Programm allen
Interessierten, aber vor allem auch Akteur:innen, Zeitzeug:innen und
Betroffenen als Forum und Wissensarchiv.
Dieses Wissen entblättert sich aber nicht von allein beim Gang durch die
Ausstellung, sondern muss in Texten und Veranstaltungen erkundet werden.
Die Ausstellung kommt wieder ohne Wandtexte aus, was Bonaventure mit dem
„Level der Reduktion“ begründet, die Wandtexte auf Werke ausüben. Das mag
theoretisch stimmen, aber praktisch lenkt der Blick ins Handbuch mehr vom
Werk, als es ein Wandtext getan hätte.
Der Reader zur Ausstellung hingegen hat einen eigenen Stellenwert. Hierin
wurden elf Essays und Interviews veröffentlicht, die konkrete Einblicke in
Lebensläufe und Ereignisse von Migrant:innen sowie weiteren politischen
Akteur:innen in der DDR geben. Zusammenfassend ist die Ausstellung
„Echos der Bruderländer“ sehr herausfordernd und wird nur für die wirklich
verständlich, die nachfragen oder keine Scheu vor Büchern haben.
11 Apr 2024
## LINKS
[1] /Diskussion-im-Haus-der-Kulturen-der-Welt/!5991461
[2] /Migrantinnen-in-der-DDR/!5955556
[3] /Portraet-des-Performers-Minh-Duc-Pham/!5730091
[4] /Kurator-ueber-Kunst-als-Heilung/!5780128
[5] /DDR-Kunst-im-internationalen-Kontext/!5981410
## AUTOREN
Luise Wolf
## TAGS
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