# taz.de -- Revolution und Mauerfall: Die Kirche als Widerstandsort | |
> Bei einer Zeitzeugenführung durch die Open-Air-Ausstellung in | |
> Berlin-Lichtenberg erzählt Bernd Albani von seinen Erlebnissen in der | |
> DDR. | |
Bild: Eine der Tafeln der Open-Air-Ausstellung „Revolution und Mauerfall“. … | |
BERLIN taz | „Ich bin ein Mensch, der Zeit seines Lebens im Osten gelebt | |
hat“, eröffnet der ältere Herr mit den buschigen Augenbrauen und den | |
wachen, blauen Augen an diesem Donnerstagabend seine Zeitzeugenführung. | |
Sein Name ist Bernd Albani, nach einer Lehre zum Physiklaboranten in der | |
früheren DDR und einem anschließenden Studium wurde er Pfarrer, heute ist | |
er im Ruhestand. Den verbringt er nun unter anderem mit Führungen durch die | |
Open-Air-Ausstellung „Revolution und Mauerfall“ der | |
Robert-Havemann-Gesellschaft auf dem Campus für Demokratie in Lichtenberg. | |
Die Ausstellung, das sind vor allem Tafeln mit Fotos und Videos. Auf rund | |
1.300 Quadratmetern erinnern diese an die Anfänge des Protests in der DDR, | |
an verschiedene Persönlichkeiten der Revolution und an den Mauerfall | |
selbst. Sie ist täglich rund um die Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Es | |
gibt immer wieder die Möglichkeit, bei Zeitzeugenführungen mitzumachen, bei | |
denen ehemalige DDR-Bürger*innen von ihren Erlebnissen berichten. | |
Bernd Albani geht intensiv auf die kleine Gruppe aus 5 Personen ein, die | |
sich an diesem Donnerstag im Innenhof der ehemaligen Stasi-Zentrale | |
eingefunden hat. Zu Beginn fragt er, ob noch jemand aus der DDR stamme, ein | |
paar Leute melden sich. Er ist interessiert, ermutigt die | |
Teilnehmer*innen dazu, auch [1][ihre Geschichten zu teilen] oder ihm zu | |
widersprechen, falls sie etwas anders wahrgenommen haben sollten. | |
Anschließend führt der die Kleingruppe durch die Ausstellung. | |
Auf einer Tafel sind verschiedene Portraitfotos zu sehen, eines zeigt | |
Rudolf Bahro. Er ist nicht der Bekannteste der drei Personen, hat Albanis | |
leben jedoch besonders geprägt, denn ein Buch Bahros war der Auslöser | |
dafür, dass Albani inhaftiert wurde. Der Soziologe und Philosoph Bahro | |
beschäftigte sich in den 70er Jahren mit dem wirtschaftlichen und | |
politischen System der DDR. „Er kam dann zu dem Schluss, dass das | |
DDR-System im Grunde gar kein Sozialismus ist“, so Albani. | |
Diese Erkenntnis fasste Bahro in einem Buch zusammen, das 1977 in | |
Westdeutschland erschien. „Noch am selben Tag wurde er verhaftet unter dem | |
Vorwurf der nachrichtendienstlichen Tätigkeit“, erzählt Albani. Eine | |
Kurzfassung des Buches las auch der damals angehende Theologe. Zu der Zeit | |
befand sich Albani noch im Studium, interessierte sich für Bahros | |
Ansichten, die er und seine Freunde unheimlich treffend fanden. | |
## Freiheit für Bahro | |
„Es war dann fast ein Jahr seit seiner Verhaftung vergangen, und wir haben | |
im Freundeskreis immer wieder darüber geredet, dass man eigentlich auf | |
diesen Mann aufmerksam machen müsste.“ Bernd Albani kam eine Idee: Er | |
hängte sich Plakate um, auf denen „Ich fordere Freiheit für Bahro“ stand | |
und mit denen er durch Leipzig zog. „Das ging auch eine ganze Weile gut. | |
Als ich dann an meinem Zielpunkt, dem Hauptbahnhof, angekommen war, rissen | |
drei Männer die Plakate runter.“ Albani wurde in U-Haft gesteckt. Der | |
Vorwurf lautete: [2][Beeinträchtigung der Tätigkeit staatlicher Organe.] | |
„Die Argumentation war, dass ich ja mit dieser Aktion andere Bürger dazu | |
animieren wollte, dass sie sich auch in ähnlicher Weise für Bahro | |
einsetzen. So wäre aber die Tätigkeit der Rechtsorgane der DDR durch den | |
potenziellen Druck der Öffentlichkeit eingeschränkt gewesen.“ Der einzige | |
Grund dafür, dass er lediglich sechs Wochen in Haft verbrachte, sei | |
gewesen, dass Kirchenoberhäupter wie der Bischof der mecklenburgischen | |
Landeskirche sich für ihn einsetzten. „Für mich war die Zeit in Haft eine | |
wichtige Erfahrung, diese Seite von Staatssicherheit mitzuerleben. Das war | |
sehr prägend für mich.“ | |
Die Führung dauert gut eine Stunde. Albani beendet sie vor Fotos, die | |
Demonstrationen im Vorfeld des Mauerfalls und den Zusammenhalt in den | |
Kirchen zeigen. Auch nach seiner Verhaftung engagierte er sich weiter. Die | |
evangelische Kirche bot ihm den Raum dafür. Vor allem den Oktober 1989 und | |
die Demonstrationen hat Albani eindrücklich in Erinnerung, fast mehr noch | |
als den November, den eigentlichen Monat des Mauerfalls. | |
Die eskalierenden Demos im Oktober seien durch die Wahlen im Mai 1989 und | |
die gefälschten Ergebnisse bedingt gewesen. Aus diesem Anlass entschlossen | |
sich Bernd Albani und andere Aktivist*innen, von da an an jedem 7. des | |
Monats zu demonstrieren. „Nun näherte sich der 7. Oktober 1989, der 40. | |
Jahrestag der Staatsgründung, und der sollte laut Honecker als große | |
Jubelfeier inszeniert werden.“ Dementsprechend wurden Demonstrationen rund | |
um das Datum gewaltsam von Polizeikräften niedergeschlagen. | |
## „Wendepunkt war für mich der 9. Oktober“ | |
„Die Demonstranten wurden dann zu sogenannten Zuführungspunkten gebracht, | |
das waren Polizeikasernen. Dort wurden die Menschen entwürdigend behandelt, | |
sie durften beispielsweise nicht die Toilette aufsuchen, wurden angeschrien | |
und beleidigt“, erzählt Albani. Am Folgetag wiederholten sich die | |
„Prügelszenen“, und „nun stellten wir uns die Frage: Was würde am 9. | |
Oktober passieren?“ | |
Er erinnert sich, dass er am 9. Oktober große Angst hatte. „Wir hatten im | |
Vorfeld über das Kontakttelefon Nachrichten aus Leipzig bekommen, die uns | |
zutiefst beunruhigten. Dass die Krankenhäuser angewiesen waren, | |
Blutkonserven und Betten bereit zu halten.“ Als an diesem Abend die | |
Nachricht aus Leipzig kam, es seien Zigtausende Menschen auf der Straße, | |
die friedlich protestierten, und die Polizei habe sich zurückgezogen, | |
änderte sich alles. | |
„Diesen Moment und diese Situation werde ich nie vergessen. Wir zogen dann | |
aus der Kirche raus, und es war kein Polizist weit und breit zu sehen.“ In | |
diesem Moment habe Bernd Albani realisiert, dass dies ein Wendepunkt sei. | |
„Mir war klar: ab jetzt ist alles anders. Die können nicht so weitermachen. | |
Von daher war für mich der 9. Oktober immer der eigentliche Wendepunkt und | |
der [3][9. November 1989] nur eine Folge davon.“ | |
12 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Carlotta Kuhlmann | |
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