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# taz.de -- Album und Tour von Wreckless Eric: Winter, Möwen, nasse Müllsäcke
> Wreckless Eric ist das One-Hit-Wonder des Punk. Warum der kauzige
> Troubadour immer noch auf Tour geht und dabei unmittelbar hart, aber
> gerecht klingt.
Bild: Wreckless Eric, hier vor einem Spielcasino an der englischen Ärmelkanalk…
Der sicherste Weg zum erfolgreichen Song? Ihn im Finale der US-Football
Liga NFL spielen. Als Ewan McGregor vor 200 Millionen
Super-Bowl-Zuschauenden 2022 Werbung für einen Reiseanbieter machte, lief
dazu Wreckless Erics „Whole Wide World“ im Hintergrund. Und alle sangen
mit. Seither feiert das Lied einen weiteren Frühling. Der Spotify-Zähler
steht inzwischen knapp vor 14 Millionen. 13,5 Millionen mehr als jedes
andere Stück des Künstlers.
Eric Goulden, wie Wreckless Eric bürgerlich heißt, will sich darüber nicht
beschweren. Dabei hätte der Brite Grund, ein bisschen verbittert zu sein.
Darüber, dass seine inzwischen im fünften Jahrzehnt angelangte
Musikerlaufbahn von den allermeisten auf seine Debütsingle von 1977
reduziert wird. „Whole Wide World“ schwamm damals auf der Punk-Welle mit.
Musikalisch ein schlichtes, sehr eingängiges Liebeslied. Der sprunghafte
Energieanstieg nach einem ruhigen, Spannung aufbauenden Intro und der
ungeschliffene Vortrag machten den Gassenhauer anschlussfähig [1][für eine
neue, junge Hörerschaft, die genug hatte vom virtuosen Mucker-Bombast der
1970er].
## Unter der Dusche aufgenommen
Gouldens Gesang könnte auch unter der Dusche aufgenommen sein. Handclaps
helfen, auch unter stärkerem Alkoholeinfluss halbwegs im Takt dazu zu
tanzen. Ein unprätentiöser Ohrwurm, der es damals nicht in die Charts
schaffte, aber seither immer wieder auftaucht: Von den Monkees bis Green
Day covern über die Jahrzehnte alle möglichen Bands „Whole Wide World“.
Regelmäßig taucht das Stück in Film- und Serien-Soundtracks auf. Mit den
Tantiemen bestreitet Goulden den Lebensunterhalt.
Das Touren hat Wreckless Eric trotzdem nie gestoppt. Mit schlohweißem
Resthaar und der Elvis-Costello-Brille im rundlichen Gesicht sieht er nicht
ganz so „rücksichtslos“ aus, wie sein Punk-Alias glauben machen will.
Ende der 1970er bestand sein Frühstück aus einer Bloody Mary und einer
Packung Erdnüsse. Heute ist er nüchterner, ruhiger, aber immer noch ein
großer Alleinunterhalter. Er mag es, jeden Abend Leute zu treffen. Für
einen Solisten ist der Aufwand überschaubar, körperlich und seelisch.
[2][Keine schwere Technik schleppen, keine Dramen im Tourbus.] Das Auto
fährt er selbst.
## Null Glanz, nur Elend einer Küstenstadt
Seine jüngstes Album, Nummer 19, erschien beim Hamburger Label Tapete.
„Leisureland“ ist eine doppelte Rückkehr, musikalisch und thematisch. Nach
Jahren in Frankreich und den USA kehrte Goulden zurück auf die Insel und
besingt das Phänomen der englischen Küstenstadt, Orte wie seine Heimatstadt
Newhaven.
Im Sommer stecken sie voller Urlaubender, deren Reisekasse in
Franchise-Pubs, Daddelautomaten und Fish&Chips-Imbisse wandert, während die
Einheimischen in Wohnblocks hinterm Supermarkt bleiben. Im Winter bilden
sie ein trostloses Trauerspiel des Niedergangs, in dem Möwen nasse
Müllsäcke zerpflücken. [3][„Leisureland“ ist ein Musik gewordener
Martin-Parr-Fotoband.]
Aufgenommen hat Goulden die Songs in den Catskills, der ländlichen Gegend
nördlich von New York, in der er zuletzt mit seiner Frau lebte. Es ist ein
krude arrangiertes Album aus Gitarren, Soundeffekten und Keyboards. Die
gaben Wreckless Eric früher eine semi-psychedelische Note. Hier aber wirken
sie wie eingeklebt in eine mutwillig kantige Collage. Eine Rückkehr zum
Punk, zumindest in der Attitüde.
Live, nur mit der Akustischen vorgetragen, ziehen diese Songs sich auf
ihren Kern zusammen. Das macht sie härter, unmittelbarer. Alles klangliche
Bindegewebe wird amputiert. Möwenschreie in der Musik verklingen, Synthies
bleiben stumm. Bis nur noch dieser knurrige Kauz erklingt, der im nasalen
Tonfall Geschichten über eine verblassende Heimat singt. Nach allem, was
man über Großbritannien und seine Post-Brexit-Probleme erfährt, ist hier
ein hochaktueller Musiker auf Tour.
22 Nov 2023
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## AUTOREN
Gregor Kessler
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