| # taz.de -- Buch über Kunst und Ökologie: Absichtslos Sensibilität schaffen | |
| > Robert Fleck denkt darüber nach, wie die Kunst am besten für die Natur | |
| > eintreten kann. Sein überzeugend geschriebenes Buch ist ein Augenöffner. | |
| Bild: Schock in einer orangefarbenen Aschelandschaft: Arbeit von Latifa Echakhc… | |
| Tomatensuppe auf [1][Vincent van Goghs Sonnenblumen]. Beim Thema Kunst und | |
| Ökologie schnellen im kollektiven Bewusstsein zumeist Bilder wie die der | |
| zwei Frauen auf, die im Oktober 2022 zwei Dosen „Heinz“-Tomatensuppe auf | |
| den Publikumsmagneten von Londons National Gallery warfen. | |
| Die Klimaaktivist:innen kommen in Robert Flecks jüngstem Buch mit dem | |
| sachlichen Titel „Kunst und Ökologie“ nur am Rande vor. Darin zeigt der | |
| Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Düsseldorf, | |
| dass der Diskurs über die beiden Bereiche der Kunst und der Ökologie und | |
| ihr Verhältnis zueinander eine längere Geschichte hat, als es der Londoner | |
| Kamikaze-Populismus suggeriert. | |
| Zwei Schlüsselereignisse, die die Rolle der Kunst als dem zentralen Spiegel | |
| des „Epochenumbruchs“ markieren, von dem Fleck angesichts der ökologischen | |
| Bedrohung zu Recht wiederholt spricht, sind für den Wissenschaftler die | |
| documenta 1977 und die Venedig-Biennale ein Jahr später: „Dalla natura alla | |
| arte, dall’arte alla natura“ hieß das Motto in Italien, Kassel nutzte | |
| Joseph Beuys als Auftakt für seine Aktion „7000 Eichen“. | |
| Überzeugend arbeitet Fleck heraus, dass die ökologischen Reflexionen der | |
| Kunst seitdem nicht nur einen ästhetischen, sondern auch einen | |
| ideologischen Paradigmenwechsel spiegeln – die Abkehr vom Modus der Utopie | |
| hin zu dem der Dystopie. | |
| Die mit Bulldozern und Dynamit in die Wüste bei Las Vegas gegrabene | |
| „Negative Skulptur“ des Land-Artisten Michael Heizer atmete noch den | |
| Fortschrittsgeist des industriellen Zeitalters. In [2][Thomas Demands] | |
| fotografischer Nachbildung eines unaufhaltsam zusammenbrechenden | |
| „Kontrollraums“ in einem Atomkraftwerk ist der zum Geist der Apokalypse | |
| mutiert. | |
| ## Pflichtlektüre für den Kunstbetrieb | |
| Eine philosophische Grundlegung des Themas ist „Kunst und Ökologie“ nicht | |
| geworden, auch wenn sich Fleck gern als in den Poststrukturalismus | |
| Vernarrten geriert. Sein Versuch, analog zu Adorno und Horkheimers | |
| „Dialektik der Aufklärung“ mit dem Begriff „Dialektik der Ökologie“ zu | |
| erklären, warum sich trotz gestiegenen ökologischen Problembewusstseins die | |
| Zerstörung der Natur wie von unsichtbarer Hand fortsetzt, funktioniert | |
| heuristisch, nicht theoretisch. | |
| Dennoch schließt der Wissenschaftler, nach seinem ebenfalls hoch | |
| ansetzenden Essay „Kunst des 21. Jahrhunderts“ (2021), erneut eine Lücke in | |
| der zeitgenössischen Kunstpublizistik zu einem der basalen Themen von | |
| Kultur und Politik. Sein aktuelles Buch liest sich wie eine Einführung: | |
| anschaulich geschrieben, überzeugend strukturiert, mit vielen Beispielen | |
| gut belegt – Pflichtlektüre für den Kunstbetrieb, Augenöffner für | |
| interessierte Laien. | |
| Für Fleck ist die ökologische Herausforderung der Kunst nicht nur eine der | |
| Motive und Materialien. Angesichts der irrwitzigen Klimabilanz der | |
| globalisierten Kunstwelt sieht er Museen, Biennalen und Messen vor der | |
| schwierigen Aufgabe ihrer eigenen Selbstbeschränkung. | |
| Ganz nebenbei ist Flecks Buch auch ein Plädoyer für sein unaufgeregt | |
| vorgetragenes Credo einer absichtslosen Kunst. Sein Terminus einer „reinen | |
| Kunst“ ist zwar etwas nah an einem überholten Autonomiebegriff. Und die auf | |
| unmittelbare Praxis gerichtete Öko-Kunst hätte ein paar mehr Überlegungen | |
| verdient. | |
| ## Ohne sozialen Druck | |
| An vielen Beispielen kann Fleck aber zeigen, dass eine Kunst, die „aus sich | |
| selbst“, ohne den sozialen Druck, sich ökologisch „verantwortlich“ | |
| verortet, oft überzeugendere Werke schafft, um „Sensibilitäten“ für „n… | |
| Naturverhältnisse“ zu evozieren – damit beginnt jeder Wandel. | |
| Wer die Welt als orangefarbene Aschelandschaft gesehen hat, die die | |
| Künstlerin Latifa Echakhch 2022 im Schweizer Pavillon [3][auf der | |
| Venedig-Biennale] ausbreitete, braucht das Schockelement zerplatzter | |
| Nachtschattengewächse auf Alten Meistern nicht, um sich davon überzeugen zu | |
| lassen, wie dringlich der Mensch einen radikal anderen Stoffwechsel mit der | |
| Natur durchsetzen muss. | |
| 9 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
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