# taz.de -- Buch zur Kunst im 21. Jahrhundert: Bilder kommen vor der Sprache | |
> Die Digitalisierung des Kunstfeldes stellt Kunst und Künstler:innen | |
> vor neue Aufgaben. Robert Fleck beschreibt die „Kunst im 21. | |
> Jahrhundert“. | |
Bild: Gehört die Zukunft der Kunst der Malerei von Pierre Soulages, hier im Mu… | |
Hat die Kunst eine Zukunft? Kunstbetriebsfloskeln wie diese sind mit | |
Vorsicht zu genießen. Zerfällt doch die Entität, die damit beschworen wird, | |
bei näherem Hinsehen in hundertausende Individuen, die nicht mehr unter | |
eine Begriffshaube zu bringen sind. Und ihre Nonkonformität hochhalten. Wer | |
wollte dieser Avantgarde des Eigensinns etwas raten oder gar prophezeien? | |
All das weiß natürlich auch Robert Fleck. Wenn der Kunstwissenschaftler | |
sein jüngstes Buch dennoch mit der problematischen Formel übertitelt, dann | |
vielleicht, um dem ebenso problematischen Geraune vom „Ende der Kunst“ | |
etwas entgegenzustellen. | |
Jüngstes Beispiel ist die [1][kanadische Sängerin und | |
Neurowissenschaftlerin Grimes], Ex-Gefährtin des Techno-Unternehmers Elon | |
Musk. Als sie kürzlich vom „Ende der Kunst, dem Ende der menschlichen“ | |
sprach, klang das wie die postdigitale Version von Hegels und Adornos | |
berühmtem, bis heute allerdings nie eingetretenem Diktum. | |
Das heißt natürlich nicht, dass Robert Fleck naiv wäre und die | |
Herausforderungen der Kunst nicht sähe. Schon in seinem vorangegangenen | |
Buch „Das Kunstsystem im 21. Jahrhundert“ (2013) beschrieb der ehemalige | |
Intendant der Bonner Bundeskunsthalle und heutige Professor an der | |
Düsseldorfer Kunstakademie, wie das große Geld und die Globalisierung die | |
Kunst und ihre Institutionen verändern. | |
Als Kern der „Verschiebung der Kräfteverhältnisse“, die er in seinem | |
jüngsten Buch konstatiert, macht Fleck die Digitalisierung des Kunstfeldes | |
aus. [2][Neben der Digitalkunst] meint er damit die Tatsache, „dass | |
sämtliche Bereiche des Kunstgeschehens mit Ausnahme des physisch präsenten | |
Kunstwerks ins Internet verlagert sind und dort auch gesteuert werden“. | |
## Künstler mixen beständig analog und digital | |
Das betrifft den Kunsthandel oder das Online-Viewing. Aber auch die | |
künstlerische Arbeit selbst. Künstler:innen versenden ihre Arbeiten per | |
Mail, werben für sie auf Instagram. Sie entwerfen sie digital, realisieren | |
sie analog, mixen beständig analog und digital. | |
Mit den neuen Bildtechniken verfügten sie, so Fleck zutreffend, „über eine | |
ungeahnte Amplitude der Ausdrucks- und Gestaltungsräume, der Formgestaltung | |
und der Farbauswahl“. So wie fotografisches und filmisches Bild auf einem | |
einzigen Träger zusammenfielen, verschwindet für ihn gar die klassische | |
Fotografie. | |
Die Situation heute gleicht für Fleck der Revolution des Buchdrucks um | |
1500. Seine Formel von der „multiplizierten Bildergesellschaft“ ist eine | |
späte Beglaubigung der vergessenen Diskussion um den „iconic turn“. Bilder | |
stehen, so Flecks schwer widerlegbares Fazit, „in der Kommunikation dessen, | |
was stattfindet, vor der Sprache – und sie zirkulieren in ihrer eigenen | |
Sphäre.“ | |
## Sichert klassische Malerei die Zukunft der Kunst? | |
Flecks Argument ließe sich als Sieg der visuellen Künste, des Bildhaften | |
als Leitmedium der gesellschaftlichen Kommunikation generell | |
interpretieren. Zwinge Künstler:innen aber, auch darin ist ihm zu | |
folgen, das Eigenständige ihrer Arbeit gegen diese automatisierte | |
Bilderflut zu bestimmen. | |
Ein Patentrezept dafür hat er aber auch nicht parat. Dass ausgerechnet die | |
klassische Malerei die Zukunft der Kunst sichern könnte, lassen wir einmal | |
dahingestellt. Auch wenn Flecks Verweis auf Pierre Soulages etwas für sich | |
hat. | |
Wer einmal vor den riesigen, schwarzen Ölbildern des 101 Jahre alten, | |
französischen Malers stand, wird Flecks Argument nachvollziehen können, | |
dass die Reflexe, die von der Oberfläche dieser Werke ausgingen, so | |
unmittelbar das Nervensystem der Betrachtenden erreichten wie digitale | |
Effekte. | |
Für einen Schüler von Foucault und Deleuze bleiben Flecks Definitionen wie | |
die, dass Kunst die Aufgabe habe, „bleibende Bilder zu schaffen und | |
zugleich zur eigenen Zeit zu sprechen“, oft reichlich allgemein, die | |
künstlerischen Positionen, mit denen er sie zu belegen sucht, zufällig. | |
Dennoch gelingt ihm mit „Art“ ein sehr verständliches Panorama der Kunst im | |
Zeichen ihrer finalen Entmaterialisierung. | |
So eindringlich wie Fleck diesen fundamentalen Wandel herausarbeitet, nimmt | |
sich der Wandel der Inhalte, mit denen er beschreibt, wie die Kunst zur | |
äußersten Gegenwart aufschließt, fast nebensächlich aus: die neuen Konzepte | |
von Körper und Geschlecht, die Reflexion des Postkolonialen, des | |
Ökologischen und der neuen Kriege. | |
Eine wichtige Herausforderung klammert er leider aus: die künstliche | |
Intelligenz. Nicht zufällig hat die Sängerin Grimes ihre kürzlich | |
gegründete AI Girls Band NPC mit den Worten gepriesen, dass sie all das | |
könne, was „Menschen nicht können“. | |
Aber gerade, wenn Roboter eines Tages tatsächlich die Kunst übernehmen | |
sollten, käme es auf das an, was Fleck als Kernkompetenz lebendiger | |
Künstler:innen sieht: die Fähigkeit zum symbolischen Handeln, zur | |
symbolischen Setzung. | |
12 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Konzeptalbum-von-Grimes/!5665091 | |
[2] /Hype-um-digitale-NFT-Kunstwerke/!5779827 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
## TAGS | |
Buch | |
Kunst | |
Digitalisierung | |
Zukunft | |
Ästhetik | |
Kunst | |
Deutsche Universitäten | |
Politisches Theater | |
Bildende Kunst | |
Kunstmarkt | |
Blockchain | |
Millennials | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Buch über Kunst und Ökologie: Absichtslos Sensibilität schaffen | |
Robert Fleck denkt darüber nach, wie die Kunst am besten für die Natur | |
eintreten kann. Sein überzeugend geschriebenes Buch ist ein Augenöffner. | |
Neues Museum in Hamburg: Ein Haus für digitalen Kitsch | |
Hamburg bekommt das weltgrößte Rekordmuseum für digitale Kunst. Es soll ab | |
2025 superbunte Bildchen begehbar machen – klimaneutral natürlich. | |
Lehrstühle für künstliche Intelligenz: Zwölf neue im Norden | |
Schleswig-Holstein will zwölf neue Lehrstühle im Bereich künstliche | |
Intelligenz schaffen. Aktuell steht das Land im Vergleich schlecht da. | |
Performance im Hebbel am Ufer Berlin: Mit bohrenden Geräuschen | |
Nicoleta Esinencus „Sinfonie des Fortschritts“ thematisiert illegale | |
Arbeitsbedingungen und Ausbeutung. Nach der Premiere tourt die Performance. | |
Buch über Kunst: Die allgegenwärtige Kunst | |
Von Politik wie Religion gefürchtet: Der Philosoph Markus Gabriel | |
analysiert die Kunst als fremde Macht, die sich der Kontrolle entzieht. | |
Streaming in Coronapandemie: Kunst am Bildschirm | |
Der Kunstbetrieb streamte während der Coronarestriktionen. Am | |
erfolgreichsten taten das die Auktionshäuser. | |
Hype um digitale NFT-Kunstwerke: Virtuelles Nichts oder Kunst? | |
Zertifikate sollen an sich kopierbare Digitalkunst zu Unikaten machen. | |
Unser Autor hat sich solch ein NFT-Werk gekauft und war genervt. | |
Neues Konzeptalbum von Grimes: Alles Tesla, oder was? | |
Eine eigene Ästhetik, aber zu viel Konzept: Die kanadische Elektroniksirene | |
Grimes verhebt sich mit ihrem neuen Album „Miss Anthropocene“. |