# taz.de -- Neues Museum in Hamburg: Ein Haus für digitalen Kitsch | |
> Hamburg bekommt das weltgrößte Rekordmuseum für digitale Kunst. Es soll | |
> ab 2025 superbunte Bildchen begehbar machen – klimaneutral natürlich. | |
Bild: Schön bunt soll’s dereinst zugehen: Vorausblick ins Digitalmuseum | |
HAMBURG taz | Ein buntes Blumenmeer, dessen Blüten durch den Raum gleiten, | |
ein mit Hängeleuchten bedeckter Himmel, der sich im Boden spiegelt, | |
farbintensive Pixel, die an meterhohen Decken wasserfallartig hinabgleiten | |
– immersive Bildwelten in ihrer Vielfalt zu beschreiben, fällt schwer. | |
Als wären die erzeugten Bildwelten digitaler Raumkunst nicht gewaltig | |
genug, begleitet sie passend abgestimmte Musik, mal sind es die Sinfonien | |
der Wiener Klassik, mal ertönt futuristischer Sci-Fi-Ambient. Einfach | |
fühlen, sich überwältigen lassen, in symbiotische Audiovision eintauchen: | |
„Erleben“ lautet die Devise immersiver Ausstellungen. | |
Diese Form von digitaler Kunsterfahrung handeln Teile der Kunstwelt | |
momentan als den aktuellen Trend. [1][Schon jetzt locken virtuelle | |
Installationen auch in Deutschland ein Riesenpublikum in ihre | |
Ausstellungshallen]: Mehr als 60.000 Besucher*innen flanierten allein | |
in Hamburg binnen sechs Monaten durch „Monet’s Garden“, um die Werke des | |
französischen Malers Claude Monet in der Wanderausstellung zum Leben | |
erwacht zu sehen. | |
Abgelöst wurde diese Installation dann direkt von der immersiven | |
Ausstellung „Viva [2][Frida Kahlo]“, in der Hamburger Tourist*innen seit | |
Mitte April das bewegte Leben der mexikanischen Malerin und uneigenmächtig | |
zur Merch-Ikone verkommenen Kommunistin nachfühlen können. | |
## Immersiv kommt an | |
Doch bald erhalten Fans immersiver Erfahrungen in Hamburg neben solchen | |
Wanderausstellungen auch dauerhaft einen Anlaufpunkt: 2025 soll in der | |
Hafencity das Digital Art Museum eröffnen, für das Ende April der erste | |
Spatenstich stattfand. Damit erhält ein weiteres Superlativ Einzug in | |
Hamburgs „Zukunftsstadtteil“: Das Digital Art Museum soll mit mehr als | |
6.500 Quadratmetern das größte Digitalmuseum Europas werden. | |
Dort sollen auf zehn Meter hohe Decken die Installationen des | |
internationalen Digitalkunst-Kollektivs teamLab projiziert werden. teamLab | |
hat sich 2001 aus einer Freundesgruppe im japanischen Tokio gegründet und | |
ist seitdem auf eine interdisziplinäre Gruppe aus Programmierer*innen, | |
Ingenieur*innen, Künstler*innen, Computeranimator*innen, | |
Mathematiker*innen und Architekt*innen angewachsen. | |
Deren immersive Installationen wurden bereits in weiten Teilen der Welt | |
ausgestellt, darunter im Silicon Valley, in Peking, Melbourne, Taipeh, | |
London oder Singapur. Daneben präsentiert teamLab seine Arbeiten seit 2018 | |
in Tokio und seit 2019 zudem in Shanghai dauerhaft in Museen. | |
Die Ausstellungen des Kollektivs sind ein Geldgarant: Mit etwa 2,3 | |
Millionen verkauften Tickets zählte die Ausstellung in Tokio im Jahr nach | |
seiner Eröffnung mehr Besucher*innen als beispielsweise das | |
Van-Gogh-Museum in Amsterdam mit 2,1 Millionen Gästen. Ein Weltrekord als | |
meistbesuchtes, nur einer Gruppe oder Künstler*in gewidmetes Museum! | |
Auch Xing-Gründer und Unternehmer Lars Hinrichs besichtigte die | |
[3][teamLab-Ausstellung] in Tokio, deren Besuch ihn zu einem weiteren | |
Großprojekt inspirierte: „Als ich zum ersten Mal die teamLab-Ausstellung in | |
Tokio besucht habe, war ich überwältigt. Seitdem war mir eins klar: Das | |
möchte ich in Deutschland erlebbar machen“, visioniert Hinrichs. 2019 | |
begann der Unternehmer dann, die Entwicklung des Digital Art Museums in | |
Hamburg anzustoßen – eine „Herzensangelegenheit“, wie er sagt. | |
Mit diesem Gründungsmythos sollen nun Massen an zahlenden | |
Erlebniskund*innen in die Hafencity gelockt werden. Die | |
Verantwortlichen erwarten mehr als 700.000 Museumsbesucher*innen pro | |
Jahr. Genau diese Magnetwirkung bezeichnen Befürworter*innen | |
immersiver Ausstellungen als großes Potenzial: [4][Digitale Installationen] | |
demokratisierten den Zugang zu Kunst, sodass auch Menschen, die | |
normalerweise selten in Kunstmuseen anzutreffen wären, dorthin gelockt | |
würden. | |
Kritiker*innen digitaler Kunst entgegnen, die Reduktion aufs reine | |
Erleben der Werke würde sie aus ihrem kunsthistorischen Zusammenhang reißen | |
und eine kritische Auseinandersetzung mit ihnen verwehren. Dementsprechend | |
gehe keinerlei Subversion aus immersiven Ausstellungen hervor. Auf diese | |
Weise betäube Digitalkunst das Publikum eher, als es zum kritischen | |
Hinschauen zu verführen. Sie gerät zum puren Konsumgut, das bestenfalls | |
berauscht. | |
Mit der Ausstellung im Digital Art Museum verfolgt das teamLab-Kollektiv | |
ein Ausstellungskonzept, dessen Titel „Borderless“ irreführend kritisch | |
klingt. „Die Kunstwerke bewegen sich frei aus den Räumen heraus, stellen | |
Verbindungen und Beziehungen zu Menschen her, kommunizieren mit anderen | |
Werken, beeinflussen und vermischen sich manchmal miteinander und haben das | |
gleiche Zeitkonzept wie der menschliche Körper“, heißt es vom | |
teamLab-Kollektiv. Dadurch solle eine „kontinuierliche, grenzenlose Welt“ | |
abgebildet werden. | |
Auch das Motto, unter dem das Hamburger Digital Art Museum stehen soll, | |
verweist mit „touch. be touched“ auf die zu erwartende Interaktion mit den | |
Werken. Dazu passend weist das Museum auf seiner Website explizit darauf | |
hin, dass das Anfassen und Fotografieren der Installationen erwünscht sein | |
werde. Schließlich sind gefühlige Erfahrungsberichte, die überwältigte | |
Besucher*innen mit ihren Follower*innen auf Social Media teilen, | |
immer noch die beste Werbung. | |
5 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Pioniere-der-Netzkunst-in-Frankfurt-aM/!5948487 | |
[2] /Ausstellung-The-FWord-in-Hamburg/!5912832 | |
[3] https://www.teamlab.art/ | |
[4] /Buch-zur-Kunst-im-21-Jahrhundert/!5822456 | |
## AUTOREN | |
Nina Nevermann | |
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