Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hype der Kryptokunst: Das uneingelöste Versprechen
> Kryptokunst war mal wild und nerdig, jetzt ist sie im Museum angekommen.
> Würde sie heute noch so glänzende Dilettanten hochspülen wie Osinachi?
Bild: Hergestellt mit dem Schreibprogramm Word: „Man in a pool, III“ von Os…
Sie verkörpern den derzeitigen Hype um NFT-Kunst, die CryptoPunks. Die
winzigen digitalen Porträts von Männern und Frauen erinnern an Charaktere
früherer Konsolenspiele. In groben Pixeln sind die schrägen Konterfeis
gezeichnet, schwarz-, weiß-, grünhäutig; mit Brille, mit Kappe, mit Fluppe.
Genau 10.000 solcher CryptoPunks soll es geben, generiert aus einem
Algorithmus.
Ihr Erfolg könnte der Sammelwut von Spekulanten im Web zugeschrieben
werden, die sich auf dem Kryptomarkt ihre Wertsteigerung erhoffen. Doch als
in diesem Februar das Pariser Centre Pompidou 18 NFT-Zertifikate von 13
Künstler:innen erwarb, erteilte es auch den CryptoPunks den
kunsthistorischen Ritterschlag. Die 2017 vom US-Duo Larva Labs entwickelten
Pixel-Punker sind jetzt Teil einer nationalen Kunstsammlung, in einer Reihe
mit Arbeiten von Medienkunst-Ikonen wie Valie Export oder Bruce Nauman.
Genau genommen ist ein NFT, ein [1][Non-Fungible Token,] keine Kunst. Es
ist ein Zertifikat und weist nach, dass es sich bei digitalen Bildern nicht
um austauschbare Objekte handelt. Künstler:innen wie der für seine
Deep-Data-Kompositionen gehypte Refik Anadol oder Monica Rizzolli haben NFT
zum Teil ihres Portfolios gemacht.
Das Folkwang Essen widmet jetzt [2][Rafaël Rozendaal] die erste
monografische NFT-Ausstellung eines europäischen Museums, das MoMA in New
York sammelt NFTs, die großen Kunstauktionshäuser haben sie in ihrem
Programm, ebenso wie der Megagalerist David Zwirner – sie alle gestalten
mittlerweile den NFT-Markt mit.
Als berühmtester NFT-Künstler des afrikanischen Kontinents gilt Osinachi.
Bei einer Christie’s-Auktion im Oktober 2021 erzielte seine Pool-Serie
„Different Shades of Water“ auf Anhieb hohe fünfstellige Summen.
## Leuchtendes, waberndes Blau
Der 1991 geborene Prince Jacon Osinachi Igwe aus Nigeria ist Autodidakt.
Seit 2017 verkauft er seine Kunst NFT-zertifiziert übers Web – nachdem
Versuche, bei regulären Galerien unterzukommen, zunächst erfolglos blieben.
Seine am Heimcomputer erlernte Digitalmalerei liegt zwischen technischem
Dilettantismus und hoher Kunstfertigkeit. Osinachi arbeitet ausschließlich
mit dem Schreibprogramm Word.
Aus dessen begrenzter Formenpalette schafft er dann das leuchtende wabernde
Blau des Wassers in der Pool-Serie oder er zeichnet mit wenigen,
kontrastierenden Flächen die lässige Pose eines Manns, der mit weißer
Badehaube und blauer Schwimmbrille aus der Bildfläche schaut. Die
Reduzierung auf wenige Elemente und einzelne Figuren erinnern an David
Hockneys Poolbilder Ende der 1960er Jahre. In „Pool Day II“ nimmt Osinachi
sogar direkten [3][Bezug auf dessen „Portrait of an Artist (Pool with Two
Figures)“,] es erzielte seinerseits 2018 einen Rekordwert bei Christie’s.
Die Bilder von Osinachi, der in der nigerianischen Industriestadt Aba
aufwuchs, haben einen interessanten Twist: Er stellt ausschließlich
schwarze Menschen dar. Wie der für seine analoge Malerei gefeierte Maxwell
Alexandre setzt auch Osinachi ganz selbstverständlich schwarze Personen in
Räume, in denen sie in der Kunstgeschichte bislang nicht auftauchten.
Und Osinachis Figuren unterwandern binäre Geschlechterrollen. Wenn er in
„Becoming Sochukwuma“ einen schwarzen Tänzer mit Bart, Dreadlock-Dutt und
Tutu auftreten lässt, zeigt er einen queeren Gegenentwurf zum konservativen
Nigeria, in dem Homosexualität strafrechtlich verfolgt wird.
## Ohne Zertifizierung keine Beachtung
Bezüge zum Kunstkanon, technische Finesse und politisch engagierte Themen –
das macht Osinachi weltweit für Sammler:innen interessant. Ohne die
entscheidende Zutat der NFT-Zertifizierung bliebe sein Werk aber wohl
unbeachtet. Noch vor wenigen Jahren konnte ein digital erstelltes, durch
die Weiten des World Wide Web migrierendes Bild unendlich oft kopiert
werden. Erst die Verknüpfung mit einem NFT-Zertifikat und der damit
einhergehende Eintrag auf der Blockchain-Datenbank macht digitale Bilder zu
einzigartigen Kunstwerken, die sich erwerben und besitzen lassen.
Osinachi ist der erste Künstler des afrikanischen Kontinents, dessen
NFT-Kunst über das traditionsreiche Londoner Auktionshaus Christie’s
versteigert wurde. Mit QkweQkwe.io entstand 2022 auch eine eigene
Onlineplattform für NFT-Künstler:innen aus Afrika. Die nigerianische
Kunstmesse Art X Lagos kooperierte mit der Plattform SuperRare und
präsentierte Digitalkünstler:innen wie Taesirat Yusuf aus Lagos oder
Kevin Kamau aus Nairobi. Ohnehin besitzen in Nigeria nach Schätzung des
Statistikunternehmens Finder mehr als 13 Prozent der
Internetnutzer:innen allgemein NFT-zertifizierte Produkte, in
Deutschland seien es nur 4 Prozent.
Ein paar Jahre war der Markt für NFT-art wild und nerdig, lebte vom
direkten Austausch zwischen Künstler:innen und Käufer:innen im Web.
Das wandelte sich spätestens, als Christie’s im März 2021 weltweit
Aufmerksamkeit mit der Versteigerung einer Collage des US-Künstlers Mike
Winkelmann [4][für 69 Millionen US-Dollar] erregte. Winkelmann, auch
bekannt als Beeple, stellte dreizehneinhalb Jahre lang jeden Tag ein Bild
online. Dann fügte er sämtliche 5.000 Arbeiten zur Collage zusammen. Deren
Erlös machte den 1981 Geborenen zu einem der drei teuersten lebenden
Künstler:innen, neben David Hockney und Jeff Koons.
## Ein junger, unreifer Markt
Cem Tekin, Gründer eines Berliner Web3-Start-ups und Autor der Podcastserie
„NFT-Mania“, sammelte schon vor dem Beeple-Rekord NFT-zertifizierte Kunst.
Im Gespräch charakterisiert Tekin den Markt für Kryptokunst als „sehr jung,
unreif, schnelllebig“, der sich zunehmend kommerzialisiere.
Sein oft formuliertes Versprechen, einzigartige Digitalkunst vorbei an
Galerist:innen, Händler:innen und Kurator:innen zu verkaufen, sei
jedoch schon vor dem Markteintritt von Christie’s und Co. nicht eingehalten
worden: „Die gesamte Kommunikation über NFT findet auf Twitter statt. Dort
werden NFT-artists bekannt, oder eben nicht“, so Tekin. Doch nicht jede:r
Künstler:in kann für die eigene Kunst werben. So gilt die Logik von
Social Media: Sichtbar sind vor allem jene Künstler:innen, die bereits
berühmt sind. Heute übernehmen das nötige Marketing dann oft die
Auktionshäuser oder Galerien.
Dennoch gab es kurze Momente einer Dezentralisierung und Demokratisierung
des Kunstmarkts durch die NFT-Technologie, meint Tekin. Insbesondere die
Blockchain Tezos habe sich mit der Plattform Hic et Nunc bis zu ihrer
Abschaltung 2021 als günstig und daher zugänglich hervorgetan. Die Szene
dort sei „global, divers und inklusiv“ gewesen.
Über Tezos sind auch heute noch die CryptoPunks zu erwerben. Ihr
Pixel-Retrostyle verweist jetzt geradezu nostalgisch auf die kurze Zeit,
bevor sich NFT-art auf dem regulären Markt etablierte. Dass Autodidakten
wie Osinachi ihre NFT-zertifizierte Kunst weltweit selbst vermarkten,
dürfte heute noch viel mehr die Ausnahme sein.
3 Apr 2023
## LINKS
[1] /Hype-um-digitale-NFT-Kunstwerke/!5779827
[2] /Simulation-fuer-digitale-Kunst/!5838506
[3] /Ausstellung-von-David-Hockney/!5847239
[4] /Auktion-bei-Christies/!5757562
## AUTOREN
Fabian Lehmann
## TAGS
Kunst
NFT
Kunstmarkt
Digitalisierung
Museen
Kunst
NFT
zeitgenössische Fotografie
wochentaz
Internet
Buch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Museum in Hamburg: Ein Haus für digitalen Kitsch
Hamburg bekommt das weltgrößte Rekordmuseum für digitale Kunst. Es soll ab
2025 superbunte Bildchen begehbar machen – klimaneutral natürlich.
Podcast „Billion Dollar Apes“: Die Kunst macht sich zum Affen
Der Podcast „Billion Dollar Apes – Kunst, Gier, NFTs“ thematisiert
cool-uncool jüngste Verwerfungen in der Kunstszene. Ein echter
Geldwäsche-Krimi.
Foto-Ausstellung in Berlin: Europas Nabel wandert
Die Fotografin Patricia Morosan begab sich auf die Suche nach dem
Mittelpunkt Europas. „(I) Remember Europe“ ist in der Galerie Franzkowiak
zu sehen.
Restituierte „Benin-Bronzen“: Protest gegen Rückgabe an Nigeria
Das Herrscherhaus in Benin war massiv am Sklavenhandel beteiligt. Dennoch
restituiert die Bundesrepublik Kunstobjekte vorbehaltlos an Nigeria.
Onlinespiel „Axie Infinity“: Digitaler Feudalismus
„Axie Infinity“ ist ein Play-to-Earn Game. Vor allem Spieler aus dem
Globalen Norden profitieren finanziell, indem sie philippinische Nutzer für
sich spielen lassen.
Bildband über Mode und die Sapeurs: Bilder einer eleganten Gesellschaft
In Kinshasa und Brazzaville inszenieren sich die Sapeurs mit flamboyanter
Mode. Der Londoner Fotojournalist Tariq Zaidi hat sie porträtiert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.