# taz.de -- Ausstellung „The F*Word“ in Hamburg: Frauen nicht mehr nur Obje… | |
> Uuups! Künstlerinnen hat das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe | |
> bislang konsequent gemieden. Jetzt will es sich bessern. | |
Bild: Eine Künstlerin, die es (im Jahr 2025) ins Hamburger Museum für Kunst u… | |
Hamburg taz | Das Rosa der Wände im ersten Ausstellungsraum wird, wie | |
zufällig, durch ein sattes Gelb aufgebrochen – als hätte ein*e Maler*in | |
angefangen, den Raum zu streichen. Das scheinbar Unfertige irritiert kurz. | |
Es ist Anfang Februar, „wir sind jetzt zwei Wochen vor Eröffnung“, sagt | |
Julia Meer, aber fest steht: Die Irritation soll bleiben. Meers Stimme | |
hallt durch die menschenleere Architektur, der Boden knarzt unter den | |
Schritten, eine Oase der Stille im freitäglichen Besucher*innen-Betrieb des | |
Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG). | |
Nachhaltigkeitsüberlegungen hatten auch eine Rolle gespielt für die | |
Entscheidung, den Anstrich der vorherigen auch für die kommende Ausstellung | |
zu verwenden. Aber, sagt Meer, das Aufbrechen der eher biederen Grundfarben | |
passe vor allem inhaltlich: Denn die Ausstellung „[1][The F* Word – | |
Guerilla Girls und feministisches Grafikdesign]“, die am 17. Februar | |
eröffnet, hinterfragt das Alte und markiert einen Aufbruch, eine | |
Neuorientierung. | |
Julia Meer leitet seit zwei Jahren die [2][Sammlung Grafik und Plakat des | |
MKG]. „The F* Word“ ist ihre erste große Ausstellung. Die Idee entstand | |
2021, als Meer das 100 Arbeiten umfassende Gesamtwerk des feministischen | |
[3][Künstler*innen-Kollektivs Guerilla Girls] ankaufte und die New Yorker | |
Gruppe kontaktierte. Die hatte sich 1985 gegründet – als Aufschrei gegen | |
die Unterrepräsentanz von weiblichen und BIPoC, also Schwarzen, Indigenen | |
sowie Künstler*innen of Color, im Kunstbetrieb. Um darauf aufmerksam zu | |
machen, zählten sie die von Frauen stammenden Werke im Metropolitan Museum | |
of Arts. Das Missverhältnis ist drastisch: Im Jahr 1989 stammten nur 5 | |
Prozent der gesammelten Werke von Frauen, während 85 Prozent der | |
abgebildeten nackten Körper weiblich waren. Das Kollektiv, dessen | |
Mitglieder als Kampfnamen die Namen berühmter Künstlerinnen tragen, | |
kritisierte den „männlichen Blick auf den weiblichen Körper“ und die | |
bestehenden Machtstrukturen in Museen. | |
Das Zählen ist weiterhin ein zentraler Bestandteil des Ansatzes, die | |
entstehenden Statistiken formulieren sie auf Plakaten, Flyern und | |
Broschüren. Ihre Arbeit habe sich in den letzten Jahren verändert, erzählt | |
die Künstlerin, die sich Frida Kahlo nennt: „Während wir früher auf den | |
Straßen New Yorks plakatiert haben, kommen heute Museen auf uns zu und | |
fragen uns an, mit ihnen zusammenzuarbeiten und ihre Institution zu | |
evaluieren.“ | |
So auch Julia Meer. Sie wollte den Blick der Guerilla Girls einnehmen und | |
zählen – einmal durch alle 400.000 grafischen Arbeiten des Museums für | |
Kunst und Gewerbe: „Wir haben quasi die Hosen heruntergelassen und uns | |
selbst als Institution unter die Lupe genommen. Die Erkenntnisse taten | |
weh.“ Zusammen mit ihrem Team durchforstete sie die Gesamtwerksammlung, | |
machte alle Schubladen auf, schrieb Namenslisten der Gestalterinnen und | |
wertete diese aus. Das Ergebnis: 6.000 Werke konnten Frauen zugeordnet | |
werden. Das entspricht 1,5 Prozent der Sammlung. „Ich dachte, wir haben uns | |
verzählt“, so Meer. „Ich hatte in unserer Sammlung mit vielleicht 10 | |
Prozent gerechnet.“ | |
Die Resultate dienten auch als Grundlage weiterer Statistiken. | |
Sammlungsmanagerin Katharina Müller wertete unter anderem auch die Herkunft | |
der Gestalterinnen aus. All diese Erkenntnisse wurden in einem Raum der | |
Ausstellung zusammengefasst. Er dient der Selbstreflexion und | |
Faktensammlung und bildet zusammen mit einer Auswahl der 6.000 Arbeiten von | |
Gestalterinnen eines von drei Kapiteln der Ausstellung. | |
Dabei sei ihnen wichtig gewesen, aus allen Zeitepochen Arbeiten abzubilden. | |
„Es gab immer aktive Grafikdesignerinnen, sie sind keine | |
Ausnahmeerscheinungen“, sagt Meer. „Sie sind nur aus der Geschichte | |
herausgeschrieben worden.“ Die Ausstellung bringt die Arbeiten miteinander | |
in Dialog, durch Form – und Farbgebung werden Verbindungslinien geschaffen | |
und der Erzählleitfaden der Ausstellung durch die Ästhetik unterstrichen. | |
Dabei entschied sich das Team bewusst gegen eine chronologische, lineare | |
Hängung der Arbeiten. „Wir wollten eine vergleichende Position verhindern | |
und durch Leerstellen an den Wänden zeigen: Das ist erst der Anfang, wir | |
wollen die Sammlung erweitern!“ | |
Über die Frage, ob das feministisches Kuratieren sei, denkt Julia Meer | |
etwas länger nach: „Ich weiß gar nicht, ob das eine Schublade ist, die mir | |
gefällt.“ Die Vorstellung der Zusammenarbeit spiele eine große Rolle. In | |
der siebenmonatigen Vorbereitungsphase habe stets ein respektvoller | |
Ideenaustausch stattgefunden, kein Ego habe im Vordergrund gestanden. | |
Der Prozess der Selbstreflexion zieht sich wie ein roter Faden durch die | |
Ausstellung. Besonders deutlich wird das in einem Kapitel, das in die | |
Zukunft gewandt versucht, erste Konsequenzen aus den Statistiken zu ziehen. | |
Als Antwort auf den Vorwurf der Guerilla Girls, den „männlichen Blick auf | |
den weiblichen Körper“ zu konservieren, schafft das Gestalter*innen-Team | |
hier einen Raum der Selbstrepräsentation. In dem nehmen neben | |
feministischen Publikationen vor allem Zines einen zentralen Stellenwert | |
ein: Bei einem erneuten Besuch, eine Woche vor Eröffnung, sind die kleinen, | |
selbst publizierten und verlegten Hefte eingetroffen. | |
Die Ausstellungsräume sind mittlerweile perfekt ausgeleuchtet. Ein | |
Arbeitstisch, der Anfang des Monats noch im hinteren Ausstellungsbereich | |
stand, ist verschwunden. | |
In Schlangenlinien ziehen sich die Regale nun durch den Raum. Im Juli 2022 | |
hatte das [4][MKG einen Open Call für feministische Zines] gestartet. | |
Gesucht wurden vor allem queerfeministische Designs, auch Amateur*innen | |
konnten Arbeiten einschicken. „Ich darf als Leitung, in Absprache mit der | |
Museumsleitung, entscheiden, welche Arbeiten in die Sammlung für Grafik und | |
Plakat kommen“, erklärt Julia Meer. Sie wünsche sich für die Zukunft der | |
Sammlung neue Perspektiven. Der Open Call habe das Prinzip des Sammelns | |
umgedreht und Kriterien der bisherigen Sammlungswürdigkeit aufgebrochen. Es | |
seien unter anderem Arbeiten aus Rumänien, Kanada oder Südamerika | |
eingeschickt worden, ein tolles Gefühl für die Kuratorin: „Es war wie zwei | |
Monate Weihnachten.“ | |
Ein Museum habe die Machtposition, Relevanz zu erzeugen, dabei könne es in | |
Zukunft nicht immer um die Medienwirksamkeit von Arbeiten gehen. Findet | |
auch die Guerilla Girl-Frida Kahlo: „Museen sind Orte der Repräsentation“, | |
sagt sie. „Wenn Museen den Anspruch haben, die Geschichte einer Kultur zu | |
repräsentieren, dann sollten alle Stimmen dieser Kultur im Museum vertreten | |
sein.“ | |
Das Museum habe eine Sammlungsstrategie entwickelt, in Zukunft würden | |
Arbeiten von Frauen und marginalisierten Gruppen priorisiert werden, | |
erklärt Julia Meer den Prozess, den die Ausstellung in Gang gebracht hat. | |
Es brauche momentan feministische Ausstellungen, um Sichtbarkeit zu | |
schaffen. Aber eigentlich möchte sie genau diese Aussonderung überwinden: | |
Weder werde man künftig ausschließlich Werke von Frauen, Lesben, inter-, | |
nonbinären, trans* und agender-Personen (Flinta) sammeln, noch mache jede | |
Gestalterin automatisch feministische Kunst. Diversere Ausstellungen seien | |
aber eine Bereicherung für alle. Darüber gelte es aufzuklären. | |
## Nur die Krümel vom Franzbrötchen | |
Die Räume der eigenen Auseinandersetzung mit den Statistiken bilden den | |
Rahmen ums Hauptkapitel der Ausstellung – das Gesamtwerk der Guerrilla | |
Girls. „Wir erwarten eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Fakten, die | |
wir durch unsere Arbeit schaffen“, formuliert Frida Kahlo die Anforderungen | |
des Kollektivs an die Museen, mit denen es kooperiert, und lobt das | |
Hamburger Team. | |
Die Arbeiten der Guerilla Girls wurden auf Wunsch der Gruppe an die | |
Ausstellungswände tapeziert. „Wir sind natürlich trotzdem noch eine | |
Institution, wollten aber die Ästhetik des Plakatierens als zentralen | |
Bestandteil des Protests auch widerspiegeln“, sagt Julia Meer. Dessen Witz | |
spricht aus der unmittelbar einleuchtenden Arbeit, die von den Guerilla | |
Girls eigens fürs Museum für Kunst und Gewerbe angefertigt wurde: ein | |
Plakat, was sonst, auf dem ein Franzbrötchen zu sehen ist. Auf demselben | |
Teller liegt daneben ein Krümel, genau 1,5 Prozent der Backware. Das | |
Nichts, auf das die Sammlung bislang den weiblichen Anteil an der | |
Geschichte von Kunst und Gewerbe reduziert. | |
17 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mkg-hamburg.de/veranstaltungen/the-f-word-guerrilla-girls-und-f… | |
[2] https://www.mkg-hamburg.de/ausstellungen/poster-und-papierkram | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Guerrilla_Girls | |
[4] https://www.mkg-hamburg.de/veranstaltungen/normen-formen-gender-unter-lupe-… | |
## AUTOREN | |
Nele Aulbert | |
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