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# taz.de -- Schauen feministischer Künstlerinnen: Da bleibt keine Wand mehr we…
> Grimassen, gebogene Körper, queere Ikonografien und der weibliche
> Körper. Gibt es in der jungen Kunst eine feministische Groteske?
Bild: „Female Remedy“ von Leila Hekmat, Installationsansicht Haus am Waldse…
In Dijon gibt es das kleine Museum für zeitgenössische Kunst namens „Le
Consortium“. Versteckt in einer Seitenstraße liegt sein schlichter, heller
Bau auf einem Gewerbehof der 1920er Jahre. Architekt Shigero Ban, der
Pritzker-Preis-Träger, der auch den spektakulären Ableger des Centre
Pompidou in Metz entworfen hat, stellte hier dem historischen Industriebau
zwei schöne Würfel aus Glas und Beton vorn an.
Die transparente Front, eine freie Rampe im Foyer, dahinter sichtbar der
Hof, zu dem sich die Ausstellungshalle mit einem riesigen Schiebetor öffnen
lässt. So viel geschmackvoller Minimalismus. Man vermutet, dass sich nun
auch die ausgestellte Kunst in diese kanonische Ästhetik des White Cube
einfügen müsste.
Doch im Inneren von „Le Consortium“ bietet sich stattdessen ein groteskes
Körperschauspiel. Runde Ärsche, ausladende Oberschenkel, lang gebogene
Finger, kugelige Bäuche, die wohlausgeformten Silhouetten des weiblichen
wie männlichen Geschlechts. [1][Die US-amerikanische Künstlerin Tschabalala
Self] hat hier gerade ihre Einzelausstellung „Make Room“ aufgebaut. Und den
im Titel eingeforderten Platz holen sich ihre Plastiken und großformatigen
Leinwände.
Auf letzteren collagiert Tschabalala Self mit zeichnerischen Konturen,
flächigem Farbauftrag und aufgenähten Textilien lebensgroße menschliche
Figuren, zumeist Frauen, aber auch Männer, die, nackt oder angekleidet,
unmöglichen Verrenkungen und frivolen Posen nachgehen.
Gleich zu Beginn der Ausstellung, auf einer Sichtachse zur kleinen
Zufahrtsstraße, hängt ein weiblicher Akt. In die Knie gebeugt und die Beine
gespreizt wie in der Gebärhaltung einer antiken Gottheit zeigt er im
Zentrum des Bildes, auf Blickhöhe, eine mit schwarzem Baumwollgarn zackig
konturierte Vulva. Baumwolle – ein in den USA und ihrer Geschichte der
Sklaverei bedeutungsträchtiges Material.
Noch ließ Tschabalala Self ihre Bilder an weiße Wände installieren, doch
vereinzeltes Mobiliar aus geschnörkeltem Stahl und mit bunten Sitzkissen,
das die junge Künstlerin – sie ist Jahrgang 1990 und in den USA derzeit
überaus erfolgreich – zunächst 2021 für ein Bühnenstück des New Yorker
Festivals Performa begann, kündigt an, dass ihre nächsten Ausstellungen
gewiss auf den ganzen Raum übergehen und selbst zu Bühnen werden könnten.
Womöglich wird da keine Wand mehr weiß bleiben.
## Die queere Sister trägt Netzstrumpfhosen
Eine derart totale Installation breitet nämlich [2][Leila Hekmat] derzeit
im Haus am Waldsee aus. Die zwei Etagen des Berliner Kunsthauses wandelte
die 1981 in Los Angeles Geborene in ein beklemmendes Krankenhausszenario
um. Das „Hospital Hekmat“ ist ausgestattet mit Betten, einem
Operationssaal, einer Kapelle und Behandlungsräumen. Verhangen sind sie mit
Stoffen, auf denen scheinbar historische Aufnahmen von Frauen und Männern
zu hybriden, in Gegenwart und Geschichte gleichsam stehenden Figuren
fusionieren.
Ihr Krankenhaus ist mit seltsamen Charakteren bevölkert. Alles Frauen,
Schaufensterpuppen in stereotypen Schaufensterpuppenkörpern. Hekmat hat
ihnen allen wilde Grimassen verpasst. Schiefe Zähne, übergroße Augen,
schräge Nasen – unheimlich. Insbesondere aber sind sie mit Zeichen und
Codes aus Religion, Pop- und Mediengeschichte versehen, die sich zu einer
schrägen Ikonografie der Frau zusammenfügen.
In Hekmats Figurenkabinett taucht eine „Maria Popper“ auf, heilige
Muttergottes, Snobistin und Gouvernante zugleich. Es gibt die
„Krankensister“ mit Kittel und Haube. Man fühlt sich bei ihr an die „wei…
Krankenschwester“ in der Freikorpsliteratur erinnert, jenes sexualitätslose
Staffageobjekt, das [3][Klaus Theweleit in den „Männerphantasien“]
ausmachte.
Doch die queere Sister im Haus am Waldsee trägt dazu Netzstrumpfhosen. Eine
Fülle an Zeichen und Motiven aus dem gesellschaftlichen Bildgedächtnis holt
Leila Hekmat hervor. Wie auch Tschabalala Self in „Le Consortium“, obgleich
sich beide unterschiedlicher künstlerischer Mittel bedienen, schafft Hekmat
in dieser Ausstellung ein groteskes Abbild des weiblichen Körpers.
## Die Groteske lässt die Gesellschaft ihre Grimassen ziehen
„The Female Grotesque“ nannte die US-amerikanische Kunstwissenschaftlerin
Mary J. Russo ihre prominente Studie, in der sie 1995 aufzeigte, wie der
weibliche Körper durch seine überzogene Darstellung geschlechtliche Normen
überschreiten, sich letztlich von ihnen emanzipieren kann. Mit dem Risiko,
das wohlgefällige Schöne zu verlassen.
Die feministische Kunst der 1970er bis 1990er Jahre bediente sich häufig
einer Ästhetik des Grotesken. In einer hässlichen Form, wie etwa bei Sarah
Lucas, deren berühmte Bunnies mit hängenden Brüsten und gebogenen Beinen
den greisen, reproduktionsunfähigen weiblichen Körper darstellen. Oder aber
in der splendiden Form wie in den Filmen, Kostümen und Bildern der großen
Ulrike Ottinger, wenn sie zum Beispiel [4][1979 im Experimentalfilm
„Bildnis einer Trinkerin“ ihre Muse Tabea Blumenschein] auf allen Ebenen
ins Abseitige abrutschen lässt.
Die Überzeichnung und das ästhetisch und sozial Grenzwertige schaffen in
dieser Kunst das Groteske. Was zu sehen ist, ist letztlich plakativ, wie
der auf runde Gesichtszüge, dicke Pobacken und verrenkte Beine reduzierte
Körper einer Tschabalala Self, häufig ihr eigener schwarzer Körper.
Dieses Plakative sei die „Grimasse der Gesellschaft“, um mit Friedrich
Dürrenmatt einen grotesken Erzähler der Literatur und des Theaters zu
zitieren. Und es scheint, als würden derzeit viele junge Künstler:innen
zur Groteske zurückkehren, um auf ihren Bildwerken diese Grimassen
abzuzeichnen. Dabei wird der Körper zu einer Bühne, mit den Mitteln der
Bühne, überschminkt und überzogen.
Im Kunstmuseum Basel läuft die Ausstellung „Fun Feminism“. Neben der Komik
einer Sylvie Fleurie und dem Pop einer Kirsi Mikkola ist dort auch das
pastellfarbene, wunderbare, ikonografische Potpourri von [5][Pauline
Curnier Jardin] zu sehen. Sie zeigt dort mit „Q’un Sang Impur“ die lose
Neuverfilmung von Jean Genets „Un Chant d’Amour“ (1950).
Curnier Jardin ersetzt aber Genets glänzende Männerkörper durch Frauen nach
der Menopause. Im Schutz der bröckelnden Wände ihrer Gefängniszellen
zelebrieren sie ihre neu gewonnene erotische Kraft. Und im Moment des
Begehrens bluten sie wieder. Auch die 1980 geborene Pauline Curnier Jardin
bettet ihre Filme häufig in theatrale Installationen. Als sie „Un Chant
d’Amour“ 2019 in Berlin zeigte, war er von Bäumen aus Pappmaché umwuchert,
ein visuelles Geflecht um Begehren und Reproduktion.
Ebenfalls in der Baseler Ausstellung zu sehen sind Melanie Jame Wolfs zwei
anachronistische Komikerpersönlichkeiten Stand-up Ron und Pierrot der
Clown. Die beiden schon an sich grotesken Figuren, von der Künstlerin
selbst dargestellt, belustigen in der ewigen Schleife der
Zwei-Kanal-Videoarbeit ein Publikum. Man hört es zwar lachen, doch die
Zuschauerreihen des Theatersaals sind leer. Der überzogene Körper, wie er
von einem selbst und wie er von anderen gesehen wird, ist hier nun nicht
mehr gesellschaftlich, er hat sich schon längst in die Psyche gelegt.
Die Recherchen in Dijon wurden von der Galerie Eva Presenhuber
unterstützt.
28 Oct 2022
## LINKS
[1] /New-Museum-in-New-York/!5454136
[2] /Ausstellung-bei-Eden-Eden/!5855221
[3] /Neuauflage-der-Maennerphantasien/!5702731
[4] /Austellung-ueber-Tabea-Blumenschein/!5708256
[5] /Ausstellung-Fat-to-Ashes/!5764623
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Feministische Kunst
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Bühne
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