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# taz.de -- HipHop-Ausstellung in Frankfurt: So progressiv, das alte Königreich
> Die Frankfurter Schirn Kunsthalle feiert in der Ausstellung „The Culture“
> HipHop-Musik als Antrieb für die Künste – und bleibt in den USA haften.
Bild: Brillierende Gerätschaft im Mund: „Black Power“ von Hank Willis Thom…
Zwei Männer, Typ Gangster-Rapper, auf einem Sofa: tätowiert, mit nacktem
Oberkörper und reichlich Gold behängt. Während einer den Zeigefinger auf
die Betrachter:in richtet, trägt der andere eine furchteinflößende
Gerätschaft im Mund, auch diese vergoldet. Der Wandtext zu dieser Arbeit
von [1][Deana Lawson] spricht von einem Wangenspreizer, wie er beim
Zahnarzt zu Einsatz kommt. Doch eigentlich sieht das Ding nach Foltergerät
aus, das zudem Sprechen unmöglich macht – wo Sprache doch ein zentrales
Element des HipHop ist, ob nun im Rap oder beim Graffiti-Writing.
Die Kultur des HipHop zu beleuchten, ist der Anspruch einer Ausstellung in
der Frankfurter Schirn Kunsthalle. Kuratiert wurde sie in St. Louis und
Baltimore, USA. In „The Culture“, so der Titel der Schau, geht es weniger
darum, fünf Jahrzehnte HipHop-Geschichte abzubilden, als zu zeigen, wie
Musik einen eigenen Kanon in der bildenden Kunst hervorbringen konnte.
Alle hier ausgestellten Kunstwerke sind seit den Nullern entstanden, seit
nämlich aus der einstigen Subkultur ein globales Phänomen geworden war –
mit Ausnahme [2][von Jean-Michel Basquiats „Lester Yellow“ von 1987], ein
Tribut an den Saxofonisten Lester Young. Der mit 27 Jahren in New York
gestorbene Basquait war der erste Schwarze, dem in der weiß dominierten
Kunstwelt der Durchbruch gelang; neben der von [3][Keith Haring] nahm seine
Kunst eine Scharnierfunktion zwischen Street Art und dem Kunstbetrieb ein.
Dass HipHop längst ein Mega-Business ist, wird zwar in dieser Ausstellung
nicht negiert, aber weitgehend ausgeblendet; wenn, dann wird Fixierung auf
Materielles in den Arbeiten eher affirmativ abgefeiert, Aneignung von Luxus
als progressiver Akt gedeutet.
## Das Gebiss von George Washington
Doch zurück zu Lawsons fast lebensgroßer Arbeit. Oben in die Ecke
gequetscht, findet sich ein kleines Foto des Gebisses von George
Washington, dem ersten US-Präsidenten. Anders als gerne behauptet, war das
nicht aus Holz, sondern aus Golddraht, Elfenbein und den Zähnen versklavter
Menschen. Das Ganze trägt den Titel „Nation“ – ein Kommentar, der in sei…
Drastik unter den Exponaten heraussticht.
Und aus dem doch durch den Wandtext wieder etwas Luft herausgelassen wird:
„In dem vielen Gold, das getragen wird und wie es im HipHop verwendet
wird“, so die Künstlerin, „steckt etwas Nobles und Majestätisches. Ich
denke, dass HipHop tatsächlich alte Königreiche heraufbeschwört.“ Echt
jetzt? Das klingt doch nach einem verkitschten Runterkochen recht komplexer
Dynamiken.
„HipHop didn’t invent anything, but it reinvented everything“, so zitierte
Schirn-Kurator Matthias Ulrich Grandmaster Caz, Rapper und DJ der ersten
Stunde. Daran hat sich bis heute wenig geändert, doch eine
Rekontextualisierung von Bestehendem erzeugt Reibung. Davon kommt in der
gut besuchten Ausstellung, die sich offenbar auch für Schulausflüge
anbietet, wenig an – auch wenn sie bunt, laut und oft scheinbar
konfrontativ daherkommt.
Durchaus begrüßenswert ist, dass die Wandtexte ausführliche Erläuterungen
bieten. Ohne sie bliebe der Kontext vieler Exponate rätselhaft. Dass fast
jedes als kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, Gender- oder
Identitätsdiskursen gedeutet wird, ist etlichen der Arbeiten allerdings
nicht immer anzusehen. Der an Ambivalenzen reichen Kultur von HipHop wird
es nicht gerecht, so glattgebürstet zu werden.
## Zoom auf Compton, Los Angeles
Erfreulich, dass sich manche Verankerung auch intuitiv erschließt. Etwa
beim 15-minütigen Zweikanal-Video „m.A.A.d.“ des Filmemachers Kahlil
Joseph. Der hat wunderbar immersive Impressionen aus dem Alltag in Compton
eingefangen, dem Vorort von Los Angeles, der in den Neunzigerjahren als
Gang-Terrain und Wiege des Gangsta-Rap galt.
Aber eben auch Heimat des Rap-Messias [4][Kendrick Lamar] ist, der
spätestens mit seinem zweiten Album „Good Kid, M.A.A.D. City“ (2012) zum
sozialen Gewissen des Genres wurde. Von diesem Album stammt auch der
Soundtrack zu den mal abgründigen, oft poetischen Alltagsbildern, die
Joseph auf magisch-realistische Weise verdichtet.
Da die Ausstellung, ohne größere inhaltliche Veränderung aus den USA
übernommen wurde, findet die hiesige Kultur, die HipHop hervorgebracht hat,
ausschließlich im Rahmenprogramm der Schirn statt. Den urbanen Ursprüngen
des HipHop entsprechend, ragt das in den Stadtraum hinein. Im Kunstverein
Familie Montez projiziert [5][Stan Douglas] mit seiner Videoarbeit „ISDN“
einen HipHop-Battle auf die Wände. Im [6][MOMEM, dem Museum Of Modern
Electronic Music], etwa lässt sich erfahren, welche Tracks hiesige
Szenegrößen von Murat Güngör und Materia über Torch bis Sabrina Setlur
prägte.
Aus ihren häufigsten Nennungen sind 20 sogenannte Milestones destilliert,
die sich vermutlich jenseits des Atlantiks ähnlich lesen würden: „Planet
Rock“ von Afrika Bambaataa & The Soul Sonic Force ist da zu finden, Missy
Elliotts „Get Ur Freak On“ und [7][Public Enemy]s „Rebel Without A Pause�…
Einzige deutsche Nennung stammt von der Frankfurter Crew Konkret Finn und
gilt bezeichnenderweise als Startschuss für den deutschen Battle Rap: „Ich
Diss Dich“ von 1994.
29 Apr 2024
## LINKS
[1] /Zeitgenoessische-Kunst/!5538177
[2] /Afro-amerikanische-Kunst-in-London/!5452032
[3] /Keith-Harings-Lieblingssongs/!5616567
[4] /Neues-Album-von-Rapper-Kendrick-Lamar/!5855724
[5] /Kleine-Utopien-in-der-Videokunst/!5643931
[6] /Techno-Museum-in-Frankfurt-am-Main/!5960044
[7] /Chuck-D-von-Public-Enemy-ueber-neues-Album/!5720569
## AUTOREN
Stephanie Grimm
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