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# taz.de -- Ausstellung über „Empowerment“: Alle Feminismen im Blick
> Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt feministische Kunst der vergangenen 20
> Jahre. Deutlich wird dabei auch, wie heterogen die Problemlagen sind.
Bild: Noch viel zu verschieben: Nona Faustines Fotoarbeit „They Tagged the La…
Wolfsburg taz | Ist unsere Sicht der Welt, oder enger gefasst: Ist unser
Blick auf die bildende und darstellende Kunst, auf Literatur, Musik und
weitere künstlerische Äußerungen wirklich so euro- bis westzentriert,
heteronormativ und auf das singuläre Künstler:innen-Ego abonniert, wie uns
derzeitige Ausstellungen und Veranstaltungen weismachen wollen?
Auch das Kunstmuseum Wolfsburg beschritt für sein großes Vorhaben
[1][„Empowerment“ über globale „Feminismen“] – soll heißen: feminis…
orientierte Kunst aus der „Vierten Welle“ ab etwa der Jahrtausendwende –
den Weg, auf die Recherchen und Zuträgerdienste von weltweiten Netzwerken
und künstlerischen Kollektiven zu vertrauen. So wurden 700 künstlerischen
Positionen ermittelt, schwerpunktmäßig wohl aus dem sogenannten Globalen
Süden.
Diese gingen dann durch die Auswahlmühlen des eigenen Hauses, einer
Gastkuratorin und eines wissenschaftlichen Beirats, um ein Konzentrat zu
identifizieren, das in einer Ausstellung noch zu bewältigen ist. Dabei
waren stets die künstlerische Qualität und die Relevanz das entscheidende
Kriterium, beteuern es die Vertreter:innen des Projektes. Als lokale
Vernetzung sind noch die [2][Städtische Galerie] und der [3][Kunstverein
Wolfsburg] mit flankierenden Ausstellungen dabei.
Und auch der [4][umfangreichen Begleitpublikation], die weit über einen
Ausstellungskatalog hinausgeht, standen rund 50 internationale
Autor:innen zur Seite. Das fertige, knapp 500-seitige Druckwerk, ein
„Bildungsbuch“ laut Museumsdirektor Andreas Beitin, wurde von der
Bundeszentrale für politische Bildung gefördert und kann deshalb zum
Kampfpreis von lediglich 7 Euro angeboten werden.
Was zeigt nun die Ausstellung anhand ihrer rund 115 Positionen auf über
2.000 Quadratmetern Fläche? Sieben als „dynamisch und zugleich fluide“
aufgefasste Themenfelder werden abgesteckt, die sich mit stereotypen
Erwartungen an den weiblichen Körper, seinen Schändungen und seinem
gewaltvollen Tod beschäftigen, und dabei von weiblichen Narrativen über
planetarische Herausforderungen bis hin zu einem Ökofeminismus als globaler
Zukunftsperspektive reichen. Zudem steuern fünf internationale
Künstlerinnen-Kollektive weitere Beiträge in eigenen kleinen Gasträumen
bei.
Direkt am Eingang beginnt es mit dem titelgebenden Empowerment, also der
Selbstermächtigung besonders in der körperlichen Präsenz. Dass dabei
männlich geprägte ästhetische Vorstellungen genauso über den Haufen
geworfen werden wie Normen aus dem weißen Globalen Norden versteht sich von
selbst. Die Techniken differieren.
Die ivorische Künstlerin [5][Laetitia Ky] nutzt ihr langes, schwarzes
krauses Haar, um temporäre, lebende Skulpturen zu formen. Sie erhalten dann
die Umrisse zweier kräftiger Oberarme, eines weiblichen Torsos oder eines
Uterus, dieser wiederum mit zwei muskulösen Armen versehen. Aus dem
rassifizierenden Merkmal einer afrikanischen Frau werden so visuelle
Statements gegen Unterdrückung, individuell durchlittene und strukturelle
Gewalt.
Die Chinesin [6][Lin Tianmiao] greift zu einem anderen Requisit
traditioneller Weiblichkeit, dem Stickrahmen. Dessen übergroße Versionen
versieht sie mit englischen und chinesischen Begriffen, gestickt auf edler
Seite, die in der Regel abwertend für Frauen gebraucht werden.
## Punk-Gebet gegen Putin
Eine spektakuläre und für die Akteurinnen mit hohen Strafen bezahlte Form
weiblicher und vor allem politischer Selbstermächtigung war 2012 das
Punk-Gebet gegen Putin und die orthodoxe Kirche, aufgeführt durch die
[7][Performerinnen von Pussy Riot]. Mitglied und [8][Polit-Aktivistin
Marija Aljochina] sieht aktuell den Westen in einer Mitschuld an der
Ukraine-Invasion des russischen Regimes: zu heuchlerisch und naiv war seine
Politik.
In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung benennt sie zudem die
fundamentalen [9][Unterschiede zwischen der Kunstszene Russlands und der
des Westens]: „In Putins Russland kann man der Macht entweder zudienen,
indem man ihre Institutionen künstlerisch dekoriert. Oder man nutzt die
Kunst als Mittel des Protests. Dazwischen gibt es nichts.“
Diese Polarisierung scheint auch systemisch für Beiträge aus dem eingangs
erwähnten Globalen Süden. Denn hier müssen in der Regel zahllose Formen der
Zensur unterlaufen aber auch Rückständigkeiten gegenüber selbst minimalen
kulturellen Konsensen des Westens angegangen werden.
In China etwa gibt es nach der Ein-Kind-Politik der 1980er-Jahre nun
propagandistische Versuche, die [10][Vollzeitmutter mit mehreren Kindern]
wieder schmackhaft zu machen: eine neue Form der Domestizierung der Frau
also anstelle der alten revolutionären Maxime, sie von übermäßigen
Reproduktionspflichten zu befreien. Beides aber sind Eingriffe eines
totalitären Staates in die Selbstbestimmungsrechte einer Frau.
Anderes Beispiel: Weite Teile Südamerikas [11][versinken in Femiziden],
also Tötungsdelikten allein aufgrund des Geschlechts des Opfers. Die
Mexikanerin [12][Teresa Margolles], die in ihren Installationen auch schon
mal mit dem Wasser operiert, das in Leichenschauhäusern zur Reinigung toter
Gewaltopfer vor deren Obduktion diente, zeigt eine Bildserie
[13][vermisster Frauen aus Ciudad Juárez]. Bis heute bedecken solch
erschreckende Suchmeldungen dortige Häuserwände.
Und [14][Regina José Galindo] schlüpft für ihre Fotoperformance in die
Kleider ermordeter Frauen aus ihrer Heimat Guatemala. Auch hierzulande gibt
es diese Kategorie der Tötungsdelikte, dann gerne als „Beziehungstat“
verharmlost. Aber wir verfügen über Ermittlungsbehörden und
Strafgesetzbücher, die hoffentlich ein sich schärfendes gesellschaftliches
Bewusstsein für diese Straftatbestände in ihrer Praxis zu reflektieren
beginnen.
So bleibt die Ausstellung ein wichtiger Überblick über die weltweite
Kunstproduktion im Dienste der Frauenrechte. Vor allem aber zeigt sie, wie
heterogen die Problemlagen sind. Am besten also, wir beginnen vor der
eigenen Haustür. Und verteidigen dabei die Autonomie der Kunst als eine
Form radikalen Selbstdenkens, das sich nicht für oder gegen eine Sache
selbst instrumentalisiert. Denn vielleicht besteht darin ja momentan die
höchste Errungenschaft in dem so viel gescholtenen globalen Norden und
Westen.
24 Oct 2022
## LINKS
[1] https://www.kunstmuseum.de/ausstellung/empowerment/
[2] https://www.staedtische-galerie-wolfsburg.de/ausstellungen#feminismus
[3] https://kunstverein-wolfsburg.de/exhibition/tamiko-thiel/
[4] https://www.kunstmuseum.de/wp-content/uploads/2022/08/Empowerment-Blick-ins…
[5] https://www.instagram.com/laetitiaky/?hl=de
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Lin_Tianmiao
[7] /Pussy-Riot-Aktivist-ueber-Ukraine/!5860833
[8] /Pussy-Riot-in-Bremen/!5474383
[9] https://www.nzz.ch/feuilleton/pussy-riot-ein-interview-mit-saengerin-marija…
[10] https://www.spiegel.de/ausland/china-fuehrt-drei-kind-politik-per-gesetz-e…
[11] /Gewalt-gegen-Frauen-in-Mexiko/!5847725
[12] /!367582/
[13] /Kriminalitaet-der-Drogenkartelle/!5873578
[14] /!5650161/
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
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