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# taz.de -- Sexismus an Kunsthochschulen: Unsichtbare Muster
> An Kunstakademien herrscht zwischen Studierenden und Professoren meist
> Vertrautheit und Autorität zugleich. Das begünstigt Machtmissbrauch.
Bild: Ulla von Brandenburg, „Quilt III“, 2008, 8 Westen, 8 Kravatten auf Ho…
Sie ähneln überdimensionalen, kristallin geformten Schneeflocken oder aus
Papier geschnittenen, ornamentalen Weihnachtssternen. Künstlerin Ulla von
Brandenburg, die immer wieder Verfahren des Theaters nutzt, bediente sich
für diese Bilder alltäglicher Requisiten: Herrenhemden ordnete sie
konzentrisch an, bunt gemusterte Krawatten lässt sie sternförmig in der
Mitte aufeinandertreffen. Ein Sinnbild für Old-Boys-Networks?
Oder geht es um die Macht der Muster, ihre visuelle Kraft, oder sind
tiefsitzende Verhaltensmuster und festgefahrene Perspektiven gemeint?
Die Kunst lässt das offen und kann auch wenig Konkretes sagen über die
realen Probleme an den Kunstakademien, wo Struktur und Freiheit, Distanz
und Nähe vielfältig miteinander verwoben sind. Einerseits entwickelt sich
in den Klassen zwischen Professor*innen und Studierenden eine große
Vertrautheit, andererseits steht fest, wer in diesem Gefüge über Autorität
und Deutungshoheit verfügt. Das kann mitunter zu Machtmissbrauch führen, zu
mentalen Verletzungen und sexuellen Übergriffen.
Seit MeToo wächst das Bedürfnis, dieser problematischen Gemengelage etwas
entgegenzusetzen, doch gibt es keinen Schalter, den man einfach umlegen
könnte. Schnelle Erfolge sind nicht zu erwarten, der Druck aber ist groß.
Welche Kunstakademie kann sich schon negative Schlagzeilen leisten?
## Professor muss Hochschule verlassen
Dass sexuelle Belästigung ernst genommen und geahndet wird, belegen Fälle
wie in Leipzig, wo ein Professor die Hochschule für Grafik und Buchkunst
verlassen musste. Viele ähnlich gelagerte Fälle werden gar nicht
öffentlich. Und solange es sich nicht um prominente Personen handelt, die
sich schuldig gemacht haben, muss rein rechtlich Diskretion gewahrt werden.
Die Soziologin Mathilde Provansal fand heraus, dass Sexismus in den
vergangenen dreißig Jahren an Kunsthochschulen an der Tagesordnung war. Auf
dem Symposion „Talking Back. Gegen Machtmissbrauch“ an der Staatlichen
Kunstakademie Karlsruhe gab die Französin in diesem November Einblick in
ihre Forschungsergebnisse.
Sie befragte für ihre Studie fünfzig Männer und Frauen einer renommierten
Kunsthochschule, die nach 1990 ihr Studium abgeschlossen hatten.
Interessanterweise war sexueller Missbrauch nicht der Schwerpunkt ihres
Feldversuchs, vielmehr sprachen die Interviewpartner*innen das Thema
von sich aus an.
Sie berichteten von sexistischen Witzen, sowohl von Professoren als auch
von männlichen Studierenden. Letztere gefielen sich darin, die Arbeit der
Frauen negativ zu kommentieren. Unerwünschter körperlicher Kontakt und eine
männliche Dominanz im Arbeitsraum wurden genannt. Frauen wechselten
daraufhin mehrfach die Klasse, [1][was zu Instabilität ihrer künstlerischen
Arbeit führte].
## Tendenz zur Heterosexualisation
Professoren unterhielten wie selbstverständlich sexuelle Kontakte zu
Studentinnen. Perfekte Opfer seien Frauen aus Ländern gewesen, in denen
männliche Dominanz vorherrscht. Mathilde Provansals Untersuchung belegt
zudem eine Tendenz zur Heterosexualisation der Frauen, also eine Festlegung
der Frauen auf vermeintlich typisch weibliche Denk- und Verhaltensnormen.
2017 machte das französische Kulturministerium für Kunsthochschulen eine
Gleichstellungssatzung verbindlich sowie ein internes Gremium, das bei
Diskriminierungsfällen Beschwerden entgegennimmt. Auch eine externe
psychologische und juristische Beratung wird angeboten.
An deutschen Kunstakademien werden solche Aufgaben von den Lehrenden
übernommen. Ulla von Brandenburg ist Professorin an der Karlsruher
Kunstakademie und seit vier Jahren Gleichstellungsbeauftragte. Sie fordert
die Einrichtung einer vollen Stelle und deren Besetzung mit einer
entsprechend ausgebildeten Person. Für die international agierende
Künstlerin ist klar, „sexueller Missbrauch ist nur da möglich, wo es auch
einen Machtmissbrauch gibt“.
Sie kritisiert die „pyramidale Struktur“. Das Klassensystem, in dem die
Studierenden über Jahre mit einem oder einer Professor*in zu tun haben,
der oder die über Preise, Stipendien und damit über Karrierechancen
entscheidet, sei nicht mehr zeitgemäß.
## Eine Klasse, die sich vom Namen der Professorin löst
Mancherorts hat sich im Zuge des neuen Bewusstseins bereits der Zuschnitt
der Akademieklassen verändert, die verhärtete Machtstrukturen begünstigen.
Die Klasse von Hito Steyerl an der Universität der Künste in Berlin etwa
löst sich vom Namen der Professorin, heißt „Lensbased Class“ und tritt
selbstbewusst mit eigener Agenda online an die Öffentlichkeit.
Die Frankfurter Städelschule bekennt sich zwar weiterhin zum Klassensystem,
begreift aber laut Mission Statement die Hochschule als „permanentes
Experiment“ und legt Wert auf eine „Ausbildung im Dialog“.
Die Studierenden würden das Machtgefälle nicht länger hinnehmen, sagt Ulla
von Brandenburg. „Viele der Student*innen fühlen sich von uns nicht
gehört. Sie sagen, dass wir Professor*innen ihre Belange nicht ernst
nehmen.“ Sie will wissen, warum sich die Studentin*innen so machtlos
fühlen, und fragt sich, wie an einer Akademie Empowerment funktionieren
kann.
In Karlsruhe hat sich eine Gruppe gegründet, die sich
„ZusammenAntiDiskriminieren“, kurz ZAD, nennt und sich an der Formulierung
des „Code of Conduct“ der Hochschule beteiligt hat.
## Revision tiefsitzender patriarchaler Muster
Ohne eine Revision tiefsitzender patriarchaler Muster werden solche Ansätze
jedoch ihre Grenzen haben. Das legt zumindest Christian Dittloffs
autofiktionale Recherche nahe. Am Beispiel seines Vaters zeigt der
Schriftsteller in seinem demnächst erscheinenden Buch „Prägung – Nachdenk…
über Männlichkeit“, wie selbst bei einem „lieben Mann“ archaische Muster
greifen und emotionale Sprachlosigkeit herrscht.
[2][Männlichkeit sei ein Mythos, der in den Medien wie im Alltag]
weitergetragen werde. Mikrobilder hätten sich in seiner Jugend blitzartig
in ihn eingeprägt und Gedanken von Neid, Vergleich und Mangel in ihm
ausgelöst, sagte er auf der Karlsruher Tagung.
Was wurde bislang an deutschen Kunstakademien erreicht? 1992 wurde die
[3][Bildhauerin Inge Mahn] zur ersten Gleichstellungsbeauftragten der
Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ernannt. Seit den
neunziger Jahren stieg die Zahl der Professorinnen und anderer weiblicher
Mitarbeiterinnen an den Kunsthochschulen stetig an und wurde regelmäßig
bundesweit evaluiert.
## Adaption männlicher Verhaltensmuster
Und schon vor MeToo, seit 2010 gab es an der Hochschule für bildende Künste
Hamburg eine Richtlinie gegen geschlechtsbezogene Diskriminierung und
sexuelle Gewalt. Ist alles auf gutem Weg?
Prinzipiell schon. Doch adaptierten Frauen, die in einem patriarchalen
Kunstsystem zu Einfluss gekommen seien, oftmals männliche Verhaltensmuster,
sagt [4][Ulla von Brandenburg]: „Sie sind manchmal schlimmere Machos als
die Männer und treten andere Frauen weg. Es betrübt mich, wenn Frauen
untereinander nicht solidarisch sind.“
Das ist jedoch ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht allein mit
rechtlichen Maßnahmen gelöst werden kann. Es setzt die Bereitschaft voraus,
auf einer persönlichen Ebene Verhaltensmuster zu erkennen und zu
verändern.
13 Dec 2022
## LINKS
[1] /Benachteiligung-von-Kuenstlerinnen/!5800014
[2] /Fleischkonsum-und-Maennlichkeit/!5895554
[3] /Kunst-sehen-trotz-Lockdown/!5738528
[4] /Tanz-in-der-Weimarer-Republik/!5762817
## AUTOREN
Carmela Thiele
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