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# taz.de -- Übergriffe von Professor in Erfurt: Gericht besiegelt Rausschmiss
> Im Jahr 2015 drängte ein Professor in Erfurt Studentinnen zum Sex.
> Seitdem versuchte der Freistaat Thüringen ihn loszuwerden. Das war gar
> nicht so einfach.
Bild: Eingang zur Uni Erfurt: An der kleinen Fakultät konnte man dem Professor…
Weimar/Berlin taz | Transparente weisen den Weg zum Gerichtsgebäude. „Kein
Raum für Täter“, steht darauf und „Gegen Macker und Sexisten“. Rund 40
Studierende demonstrieren hier gegen einen Philosophie-Professor der Uni
Erfurt. Er hat zwei Studentinnen sexuell bedrängt, mit einer hatte er Sex.
Seit Jahren versuchen die Uni und das Thüringer Wissenschaftsministerium,
den Beamten loszuwerden. An diesem Dienstag Mitte März soll das
Oberverwaltungsgericht in Weimar entscheiden.
Die Protestierenden finden es unvorstellbar, dass der Mann an die Uni
zurückkehrt. Denn, so sagt eine Rednerin, das Vertrauen in diesen Professor
sei „nachhaltig zerstört“. Die meisten, die hier demonstrieren, kennen ihn
gar nicht. Seit Jahren war er nicht mehr an der Uni, die Fälle, um die es
geht, sind 2015 passiert.
Professor Carsten H., Jahrgang 1963, hat seine grauen Haare zurückgekämmt,
er trägt ein graublaues Jackett über dem Pullover, als er den Sitzungssaal
1 betritt. Dreizehn Jahre hat er an der Uni Erfurt gelehrt, zwei Jahre war
er Dekan, seit 2017 ist er suspendiert.
Carsten H. ist in diesem Verfahren der Beklagte. Der Freistaat Thüringen,
der Kläger, wird vertreten durch eine Regierungsdirektorin aus dem
Wissenschaftsministerium und die Personaldezernentin der Uni Erfurt. Der
Fall, der hier verhandelt wird, ist ein MeToo-Fall aus Zeiten, in denen es
den Begriff noch gar nicht gab. Der Professor ist schuldig, das hat ein
Strafgericht längst geurteilt. Jetzt geht es darum, was das für seine
Professur bedeutet. Darf er weiter forschen und lehren?
## Unis sind besonders anfällig für Machtmissbrauch
Auch an anderen Universitäten erleben Studierende und Promovierende
übergriffige Professoren. Der Wissenschaftsbetrieb ist mit seinen
Hierarchien, seinen prekären Arbeitsbedingungen und Abhängigkeiten
besonders anfällig für Machtmissbrauch.
Der Spiegel berichtete im Dezember über einen Professor der Uni Köln, der
Studentinnen belästigt haben soll. In Göttingen wurde vor einem Jahr
[1][ein Professor verurteilt, der seine Doktorandin mit einem Bambusstock
auf das nackte Gesäß geschlagen haben soll]. Der Bundesgerichtshof hat das
Urteil gerade teilweise aufgehoben, weil es zu milde ausfiel.
Bei Carsten H. geht es um zwei Fälle: In seinem Büro soll er zwei
Studentinnen zum Sex gedrängt haben. Er hat das im Wesentlichen gestanden.
Die eine fragte er, ob sie nicht eine Beziehung beginnen sollten. Ein
anderes Mal erkundigte er sich nach ihrer Privatadresse, weil er mit ihr
„ins Bett“ wollte. Die Studentin lehnte ab, woraufhin er gesagt haben soll,
dass er Professor sei und seine Position ausnutzen könnte.
Um diesen Satz geht es auch vor dem Oberverwaltungsgericht. Hat Carsten H.
versucht, die Studentin unter Druck zu setzen? Dazu brauche es nicht viel
bei seiner Stellung als Professor, führt ein Richter aus. Carsten H. sagt,
er habe diesen Satz niemals geäußert.
## Angst, durch die Prüfung zu fallen
Die zweite Frau belegte bei ihm die Pflichtveranstaltung „Einführung in die
Logik“. Bei einem Treffen in seinem Büro soll sie erzählt haben, dass sie
Angst habe, durch die Prüfung zu fallen. Der Professor soll sie zum
Geschlechtsverkehr aufgefordert haben, sie ließ sich auf Oralsex ein. So
hat sie es damals ausgesagt.
Vor dem Oberverwaltungsgericht stellt Carsten H. den Ablauf anders dar: Die
Initiative sei von der Studentin ausgegangen. Mit einem breitem Grinsen
habe sie gesagt: „Jetzt aber keine Logik.“ Und auf seine Frage, ob sie
beide etwas miteinander anfangen sollten, sei ein „begeistertes Ja“
gekommen. „Das war das eindeutigste Ja von der Weltgeschichte.“
Die Frauen wandten sich damals an Professor:innen der Uni. Das
Wissenschaftsministerium setzte eine Disziplinarermittlerin ein, die Zeugen
befragte. Unterdessen meldeten sich noch mehr Frauen, die von
Grenzüberschreitungen durch den Professor berichteten.
Die Erfurter Uni ist klein, 6.000 Menschen studieren dort. Geschichten wie
die von Carsten H. machen hier schnell die Runde. Die Philosophische
Fakultät hat vier Lehrstühle, an ihr studieren überwiegend Frauen. Dem
Professor aus dem Weg zu gehen, sei unmöglich gewesen, erzählen Personen,
die zu der Zeit dort studiert haben. Er sei für seine Anzüglichkeiten
bekannt gewesen.
## In der Privatwirtschaft hätte man ihm längst kündigen können
Als die Ermittlerin nach einem Jahr ihren Bericht vorlegte, wurde der
Professor suspendiert – und bekommt seitdem weiter einen Großteil seines
Beamtensoldes. Die Uni hat dadurch Mehrausgaben: Um seine
Lehrveranstaltungen zu ersetzen, muss sie externe Dozent*innen
engagieren.
Die Erfurter Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen H. ein. Im Juni
2019 akzeptierte er einen Strafbefehl über 200 Tagessätze. Der Professor
ist nun wegen Vorteilsannahme und versuchter Nötigung im besonders schweren
Fall vorbestraft. Wäre er Mitarbeiter einer Firma, hätte diese ihm längst
kündigen können. Weil er aber Beamter ist, muss ein Gericht entscheiden, ob
er entlassen wird. Das dauert. Und es gibt einen recht großen Spielraum.
## Vorinstanz: Vergehen nicht schwerwiegend genug
Das Verwaltungsgericht Meiningen folgte 2020 nicht der Argumentation des
Wissenschaftsministeriums: Zwar sah das Gericht ein „schwerwiegendes
Dienstvergehen“, allerdings nicht schwerwiegend genug, um ihn zu entlassen.
Die Taten hätten sich „im unteren Bereich des Denkbaren“ bewegt. Sexuelle
Kontakte zwischen Studierenden und Professor*innen seien an Hochschulen
ja nicht verboten, Studierende keine Schutzbefohlenen. Das Gericht
entschied, dem Professor für 30 Monate sein Gehalt um 20 Prozent zu kürzen,
er bekommt nun 4.500 Euro im Monat überwiesen.
Nicht nur auf dem Erfurter Campus stieß das Urteil auf Wut. Medien
berichteten bundesweit, der Studierendenrat protestierte, die
Mitarbeitenden der Uni waren beunruhigt und befürchteten, dass Carsten H.
zurück an die Uni kommen könnte. So erzählen es ehemalige und aktuelle
Hochschulangehörige heute. Wie der Uni-Alltag mit dem Professor
funktionieren sollte, habe sich kaum jemand vorstellen können. Das
Wissenschaftsministerium ging in Berufung.
## „Das Vertrauen ist verloren“
Drei Stunden dauert die mündliche Verhandlung vor dem
Oberverwaltungsgericht. Der Senat lässt durchblicken, dass er die
Angelegenheit grundsätzlich strenger sieht als die Vorinstanz.
Der Kläger erhält das Wort. „Das Vertrauen ist verloren“, sagt die
Vertreterin des Wissenschaftsministeriums. „Es ist nicht möglich, dass der
Beklagte den Dienst wieder aufnimmt, ohne dass unwiederbringlicher Schaden
entsteht.“ Bei der herausragenden Stellung eines Professors sei das auch
der Allgemeinheit nicht zuzumuten. Sie verweist auf die Studierenden, die
draußen protestieren. Die Personaldezernentin ergänzt: Es könnte sogar
sein, dass die Studierendenzahlen zurückgehen, wenn der Professor
zurückkehren würde.
Carsten H. spricht mit ruhiger Stimme. Natürlich habe er unheimlich viel
Vertrauen zerstört, sagt er. Aber er sieht sich offenbar auch als Opfer
einer größeren MeToo-Debatte. „Ich habe seit Dezember 2017 das
Universitätsgelände nicht mehr betreten. Sehr viele der Studierenden und
der Professoren kennen mich gar nicht.“ Er möchte zurück an die Uni.
Als die Richter*innen nach ihrer Beratung wieder in den Saal kommen,
erheben sich die Zuschauer:innen. „Das Urteil wird auf Berufung des Klägers
geändert“, sagt der Vorsitzende Richter Klaus Hinkel. „Der Beklagte wird
aus dem Dienst entfernt.“ Er wird damit an keiner Hochschule in Thüringen
mehr lehren oder forschen können. Revision ist nicht zugelassen.
## Der vorsitzende Richter wird grundsätzlich
Die Frage, ob Carsten H. die eine Studentin genötigt hat oder nicht, hält
der Senat nicht für relevant. Es reicht ihm schon, dass er in seiner
übergeordneten Funktion als Professor auftrat, als Amtsträger, der einen
Vorteil für sich fordert.
Das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn und der Allgemeinheit sei nicht
nur verletzt, sondern „nicht mehr herstellbar“, sagt Hinkel. Ein
Hochschullehrer, der Abschlussarbeiten und Mentees betreut; Studierende,
die Lehrveranstaltungen nicht frei wählen können und Prüfungen ablegen.
„Hier sehen wir nicht die Möglichkeit, dass der Professor wieder in den
Dienstbetrieb eingegliedert werden könnte.“
Und dann wird der Richter grundsätzlich: Das Ansehen des Professorenamts
leide bei solchen Verfehlungen erheblich. Anders als die Vorinstanz hielten
sie sexuelle Kontakte zwischen Professoren und Studierenden nicht für
normal: „Wir sind der Ansicht, dass das in einem hierarchischen Verhältnis
nichts zu suchen hat.“
Carsten H. und sein Rechtsanwalt verlassen rasch das Gerichtsgebäude.
Anwalt Jan Kühne sagt später am Telefon, es sei für ihn überraschend
gewesen, wie deutlich das Gericht seine Entscheidung formuliert hat. Er
will das schriftliche Urteil abwarten.
Die Initiative „Campus mackerfrei“, die sich wegen Carsten H. an der Uni
Erfurt gegründet und vor dem Gericht protestiert hat, will weitermachen. Es
gebe immer noch genug zu tun.
Anm. d. Red.: Wir haben im elften Absatz die Angaben zum Bekanntwerden der
Vorwürfe gegen den Professor präzisiert.
29 Mar 2023
## LINKS
[1] /Sexismus-an-der-Universitaet-Goettingen/!5826013
## AUTOREN
Sebastian Erb
Anne Fromm
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Schwerpunkt #metoo
Sexualisierte Gewalt
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Bildende Kunst
Janine Wissler
Universität Göttingen
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