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# taz.de -- Prozess gegen Weimarer Familienrichter: Juristischer Querdenker
> Ein Weimarer Familienrichter soll sein Amt missbraucht haben, um
> Coronamaßnahmen zu kippen. Nun kommt es zum Prozess.
Bild: Rosen und Kerzen vor dem Amtsgericht Görlitz im Mai 2021: Nach einer Raz…
Hamburg taz | An einem Freitagnachmittag Mitte Januar erfährt
Familienrichter Christian Dettmar, dass ihn das Richterdienstgericht beim
Landgericht Meiningen des Dienstes enthoben hat. Die stellvertretende
Direktorin des Amtsgerichts Weimar, an dem Dettmar tätig war, bittet ihn,
seinen Arbeitsplatz zu räumen, was er ohne Proteste tut. Der Hintergrund:
Im Mai 2022 wurde gegen den Familienrichter Anklage wegen des Verdachts der
politisch motivierten Rechtsbeugung erhoben. In wenigen Wochen beginnt der
Prozess.
Dettmar ist zunächst einmal nur vorläufig suspendiert, weil das zuständige
Landgericht Erfurt noch nicht über die Anklage entschieden hat – und ihn
bis dahin die Unschuldsvermutung schützt. Trotzdem bedeutet die
Freistellung einen persönlichen und beruflichen Absturz.
Unter den Kollegen des kleinen Amtsgerichts galt Christian Dettmar als
verschrobener Einzelgänger. Mit Ausnahme eines Sympathisanten hatten sie
wenig Verständnis für seinen Beschluss vom 8. April 2021, mit dem er als
Familienrichter eine Verordnung der Thüringer Landesregierung zur
Maskenpflicht in Schulen für [1][verfassungswidrig und nichtig erklärt]
hatte. Er war auch der Einzige, der in der Hochphase der Pandemie vor
Prozessterminen Paragraf 176 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorlas, nach
dem an einer Verhandlung beteiligte Personen „ihr Gesicht während der
Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen dürfen“. Anschließend forderte
er alle Anwesenden auf, im Saal keine Maske zu tragen, und vermerkte das im
Protokoll. Ein [2][juristischer Querdenker].
## Zerstörtes Vertrauen
Die Anklage gegen Dettmar wegen des Verdachts auf Rechtsbeugung, die
voraussichtlich ab dem 18. April vor dem Landgericht Erfurt verhandelt
wird, ist ein Novum in der Justizgeschichte – denn die Biegung des Rechts
war mutmaßlich politisch motiviert. Ebenso ungewöhnlich ist es, einen
Robenträger vor einem rechtskräftigen Strafurteil vorübergehend seines
Amtes zu entheben, noch dazu mit um 25 Prozent verminderten Dienstbezügen.
Trotzdem hat das Richterdienstgericht Meiningen den radikalen Schritt als
„entfernungsvorbereitende Dienstenthebung“ nach dem thüringischen
Richterdisziplinarrecht angeordnet. Dettmar sei „hinreichend verdächtig“,
das Vertrauen des Dienstherren und der Allgemeinheit in seine Amtsführung
„unheilbar zerstört“ zu haben.
Das Dienstgericht stützt sich auf drei Begründungen: die „überwiegende
Wahrscheinlichkeit“, dass Dettmar aufgrund der bisherigen
Ermittlungsergebnisse verurteilt wird, die rechtliche Kritik an seinem
Antimaskenbeschluss und den Vorwurf, die ihm übertragene Rechtsprechung
missbraucht zu haben, „um die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der
Coronapandemie auszuhebeln“ und dabei die richterliche Unabhängigkeit zur
Durchsetzung eigener Zwecke ausgenutzt zu haben.
Eine Schlüsselrolle bei den Ermittlungen spielen zwei Durchsuchungswellen
im April und Juni 2021, bei denen die Kriminalpolizei Handys, Computer und
Laptops von Dettmar sowie von acht Kontaktpersonen beschlagnahmt hat. Bei
der ersten Durchsuchung von Dettmars Wohnung erlebten die Beamten eine
Überraschung: Sie stießen auf einen neuen Computer mit neuer Festplatte.
Der gesuchte alte Computer war, wie sich herausstellte, Schrott. Im Stile
eines Ganoven hatte der Amtsrichter das Beweismittel einfach zerstört.
Die Vertuschungsaktion befeuerte wohl den Ehrgeiz der Kriminalbeamten.
Mithilfe des Providers und der Sicherstellung von Handys, Laptops und
Computern bei der zweiten Durchsuchungswelle ist es den Ermittlern
schließlich gelungen, die Kommunikation Dettmars zu rekonstruieren und die
Basis für einen Teil der Anklage wegen Rechtsbeugung zu legen.
## Inszeniertes Kindeswohlverfahren
Zu den Durchsuchten zählten die Mutter der beiden Schüler, deren Gesundheit
durch das Tragen von Masken angeblich geschädigt würde, deren Anwältin
Yvonne Peupelmann, die von Dettmar ausgewählten drei Gutachter, ein
Richterkollege und Gesinnungsgenosse vom Amtsgericht Weimar sowie ein
befreundetes Ehepaar. Aus Nachrichten und Chatverläufen soll sich nach
Ansicht des Richterdienstgerichts ergeben, dass das Verfahren zur
Maskenpflicht in Schulen „von langer Hand geplant und wohlüberlegt“ war. Um
das Ungeheuerliche der Anschuldigung zu verdeutlichen: Er soll als
Familienrichter ein Kindeswohlverfahren selbst mitinszeniert und
organisiert haben.
Auch für das rein rechtliche Vorgehen Dettmars fand das
Richterdienstgericht deutliche Worte. In seinem Antimaskenbeschluss hatte
er eine Rechtsverordnung der Thüringer Landesregierung zur Maskenpflicht
und zum Abstandsgebot in Schulen wegen Verstoßes gegen mehrere Grundrechte
und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für verfassungswidrig erklärt. Nach
Ansicht des Dienstgerichts war diese Entscheidung rechtswidrig, weil nur
Verwaltungsgerichte die Befugnis haben, „andere staatliche Behörden in
ihrem Tun oder Unterlassen anzuweisen“. Und er habe die Wirkung des
Beschlusses in unzulässiger Weise über die zwei betroffenen Kinder hinaus
auf die gesamte Schülerschaft der Schule ausgedehnt.
Der Schwerpunkt des Rechtsbeugungsvorwurfs liegt nach Meinung des
Richterdienstgerichts indes bei einem Verstoß gegen das Neutralitätsgebot:
Dettmar soll sich noch vor dem Prozess um die Maskenpflicht bei der damals
in Gründung befindlichen Gruppe „Klappe auf! Für Kinderrechte – Eltern in
Thüringen“ engagiert haben. Ihr Zweck: Zuarbeit zu einer „Klage gegen die
Maskenpflicht unserer Kinder“.
Was darunter zu verstehen ist, zeigt ein Beitrag der Rechtsanwältin Yvonne
Peupelmann im Netz vom März 2021. Darin forderte sie die Eltern aus dem
Amtsgerichtsbezirk Weimar auf, sich „unbedingt an einem von mir geführten
Kindeswohlverfahren vor dem Familiengericht Weimar zu beteiligen“. Weiter
heißt es: „Mitmachen können Eltern, die mit folgenden Buchstaben beginnen:
BFHIJLQRSTUVX“. Das sind – wohl kaum zufällig – die Anfangsbuchstaben von
Parteien in Gerichtsverfahren, für die Familienrichter Dettmar zuständig
war. Außerdem soll er das „Anregungsschreiben“ zur Einleitung der
Kindeswohlverfahren „mitentwickelt“ haben.
Angesichts dieser Vorgeschichte und seiner „vorgefassten Meinungen zu den
staatlichen Maßnahmen in der Coronapandemie“ hätte er laut dem
Dienstgericht eigentlich seine Befangenheit anzeigen müssen. Irgendwann
muss ihm gedämmert haben, dass er sich auf rechtlich gefährliches Terrain
begeben hatte. Laut einer Whatsapp-Nachricht soll er daraufhin an einer
Veranstaltung dieser Gruppe nicht teilgenommen haben, um sich keinen
Befangenheitsantrag einzuhandeln. Der Amtsrichter war sich also offenbar
durchaus bewusst, dass er grenzwertig handelte, und hegte die Hoffnung,
nicht ertappt zu werden.
Sollte sich im nun anstehenden Gerichtsverfahren der Rechtsbeugungsvorwurf
gegen Dettmar bewahrheiten, wäre dies eine Verletzung elementarer
richterlicher Grundsätze. Zunächst einmal aber will sich der Richter nicht
mit seiner – noch vorläufigen – Suspendierung abfinden. Sein Anwalt hat
bereits Beschwerde beim Dienstgerichtshof für Richter beim Thüringer
Oberlandesgericht in Jena eingelegt.
Der Autor ist Jurist und Journalist. Sein Buch „Rechte Richter:
AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den
Rechtsstaat?“ ist kürzlich in der zweiten, erweiterten Auflage im Berliner
Wissenschafts-Verlag erschienen.
4 Apr 2023
## LINKS
[1] /Rechte-und-Querdenker-in-der-Justiz/!5908625
[2] /Verfassungsfeinde-in-den-Behoerden/!5903868
## AUTOREN
Joachim Wagner
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