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# taz.de -- #MeToo an Berliner Unis: Der lange Weg zur Veränderung
> Sieben Jahre nach #MeToo zeigen Berliner Hochschulen Engagement gegen
> sexualisierte Gewalt. Ein Blick auf ein ebenso tabuisiertes wie
> drängendes Thema.
Bild: Eingang der Hochschule für Technik und Wirtschaft(HTW) in Schöneweide
Wir müssen nicht mehr von ganz vorne anfangen und sagen, dass sexualisierte
Diskriminierung an Universitäten ein Thema ist“, sagt Wendy Stollberg,
zentrale Ansprechperson bei sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und
Gewalt an der Freien Universität (FU) Berlin. Seit Beginn der
#MeToo-Debatte im Jahr 2017 ist das Thema an deutschen Universitäten in den
Fokus gerückt. Vor gut zwei Jahren wurde das [1][Kollektiv #metooscience]
gegründet: Auf dem deutschen Onlineportal und in den Netzwerken des
Kollektivs haben sich seither zahlreiche Berichte über abwertende
Kommentare, Anmerkungen zum Aussehen und hartnäckige Einladungen von
Vorgesetzten im akademischen Bereich angesammelt. Bis heute bietet die
Plattform Beratung und Workshops für Betroffene an.
Öffentlich taucht das Thema immer nur auf, wenn ein besonders krasser Fall
ans Licht kommt. Etwa der eines [2][übergriffigen Professors der Humboldt
Universität (HU), der sich ab Januar vor Gericht] verantworten muss. Dabei
betrifft es viele: Laut [3][einer europäischen Umfrage von 2022] erlebt
mehr als die Hälfte der Studierenden während des Studiums eine Form von
geschlechtsspezifischer Gewalt. Ein Drittel von ihnen sowie der
Uni-Mitarbeitenden erlebt sexuelle Belästigung an ihrer Einrichtung.
Aber die Studierenden seien heute viel besser über das Thema aufgeklärt,
stellt Stollberg in den Stunden der vertraulichen Beratung mit denjenigen
fest, die ihre Hilfe suchen. Doch bleibe die Arbeit der Frauen- und
Gleichstellungsbeauftragten – eine gesetzlich verankerte Stelle zur
Förderung der Chancengleichheit, die meist prekär und nebenberuflich ist
und keine besonderen Voraussetzungen oder Schulungen erfordert – an den
Universitäten nach wie vor schwierig. Auf den Führungsebenen stoße man
immer noch auf Widerstand und Unwissenheit, sowohl in Bezug auf die
Machtdynamiken als auch auf die Konsequenzen für Betroffene. „Hochschulen
sind Orte, an denen man lernt, aber ich habe den Eindruck, dass es Menschen
in Leitungspositionen gibt, die meinen, schon alles zu wissen“, sagt
Stollberg.
„Man möchte sexualisierte Gewalt nicht unbedingt als Problem der
Universität darstellen“, stellt Lina Knorr fest. Im Sommer veröffentlichte
die Konfliktforscherin am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften an
der HU zusammen mit Kolleg:innen die wissenschaftliche Publikation
„[4][#MeToo in der Hochschullehre – Sexualisierte Belästigung,
Diskriminierung und Gewalt als Thema und Vorfall in Lehrveranstaltungen]“.
Darin berichten sie, wie ein Präsidiumsmitglied sie gebeten habe, ihr
Seminar über sexualisierte Gewalt an Universitäten auf die Migrationsfrage
auszurichten. Diese Forderung zeigt für sie, wie schwer es den
Universitäten falle, sich in der Lehre mit dem Thema zu beschäftigen.
Im Gespräch mit der taz mochte sich Knorr zu diesem Vorfall nicht weiter
äußern. Besonders schwierig sei es für die Hochschulen, verpflichtende
Schulungen für ihre Mitarbeitenden anzubieten. „Es gibt wenig Personal, das
Lehrveranstaltungen dazu anbieten möchte. Es ist nicht unbedingt förderlich
für die eigene Karriere, die Institution zu kritisieren“, erklärt sie.
Virale Fälle wie das [5][über Jahre hinweg andauernde übergriffige
Verhalten eines HU-Dozenten] zeigten vor allem, „dass die meisten
Hochschulen keine wirklich institutionalisierten Prozesse haben. Die größte
Baustelle ist, dass die Richtlinien nicht weitreichend genug sind und es an
deren Umsetzung mangelt“, fasst Knorr zusammen.
## Suche nach Lösungen
Eine klare Richtlinie will die Berliner Hochschule für Technik und
Wirtschaft (HTW) [6][mit ihrem „Schutzkonzept“] vorgeben. Im Jahr 2020
begann die Hochschule in Zusammenarbeit mit dem Studierendenreferat, ein
Gesamtverfahren zur Bearbeitung von Beschwerden und Meldungen wegen
sexualisierter Diskriminierung zu erarbeiten. In dem von der Hochschule
veröffentlichten Dokument werden alle Etappen – von der ersten
Ansprechpartnerschaft bis hin zu möglichen Maßnahmen – Schritt für Schritt
beschrieben.
Dabei gelte das Prinzip der „Betroffenengerechtigkeit“, so Ulrike Richter,
Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an der HTW. Im Fall einer unter
Verdacht stehenden Lehrkraft kann dies beispielsweise bedeuten, dass dem
gesamten Kollegium Schulungen und Coachings zu ihrer Nähe während der
Laborpraktika oder zu ihren didaktischen Methoden angeboten werden. Damit
will die Hochschule die Identität der betroffenen Studierenden schützen.
## Vieles bleibt ungesagt
Damit soll bei jeder Fallintervention auch Prävention betrieben werden.
2021 führte die Hochschule die Möglichkeit ein, Vorfälle anonym online zu
melden. Dass das Antidiskriminierungsreferat der Studierenden in seiner
Peer-to-peer-Beratung nicht extrem viele Fälle hat, sei zumindest ein
Zeichen dafür, dass die Strukturen der Hochschule gut funktionieren, findet
Katharina Tomaschko, Antidiskriminierungsreferentin des
Studierendenausschusses. Bei Vorfällen außerhalb der Lehrräume arbeite die
Hochschule eng mit den Wohnheimen zusammen. Doch auch für die
Studierendenvertretung ist klar: „Bei 40.000 Studierenden auf dem Campus
kann man nicht bei allen den Überblick behalten.“ Vieles würde weiterhin
unter den Studierenden bleiben.
Gerade in den ersten Wochen des Semesters stellen studentische
Veranstaltungen für die Hochschulen eine besondere Herausforderung dar.
Mitte Oktober durfte Nora Tuchelt zum zweiten Mal ihre Rolle als
stellvertretende zentrale Frauenbeauftragte bei den neuen Erstsemestern
vorstellen. Am selben Einführungstag war auch das
Studierenden-Awareness-Team mit einem Stand vor Ort.
Vor zwei Jahren rief Tuchelt gemeinsam mit zwei Kolleg:innen die ersten
Schulungs-Workshops gegen sexualisierte Gewalt ins Leben, um Sicherheit und
Präsenz auf dem Uni-Sommerfest zu gewährleisten. Die Idee der sogenannten
[7][Awareness-Teams] hatte sie aus ihrer Erfahrung in der Jura-Fachschaft,
die sich für ihre Partys die Inspiration aus dem antirassistischen Kampf
und der Frauenbewegung der 1970er Jahre holte.
Das Angebot sei von den Studierenden gut angenommen worden und kam sowohl
beim Sommerfest als auch bei den Erstsemesterveranstaltungen in diesem Jahr
zum Einsatz, berichtet Tuchelt. Pro Schicht standen etwa vier bis fünf
Ansprechpersonen für über tausend Studierende zur Verfügung. „Diese Quote
finde ich zu gering. Aber die Organisator:innen mussten das im Rahmen
ihrer Finanzierungsmöglichkeiten entscheiden“, sagt Tuchelt.
Ob das Projekt im nächsten Jahr fortgeführt werden kann, ist noch offen,
die weitere Finanzierung steht noch nicht fest. Dass es solche
Awareness-Teams in allen Fachschaften und für alle Studierendenpartys gibt,
nicht nur bei offiziellen Uni-Veranstaltungen, wäre Tuchelts „Forderung“.
29 Oct 2025
## LINKS
[1] https://portal.metoo.science/
[2] https://www.tagesspiegel.de/wissen/vorwurf-der-sexuellen-notigung-professor…
[3] https://unisafe-gbv.eu/wp-content/uploads/2022/11/UniSAFE-survey_prevalence…
[4] https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-45515-6_9
[5] /Machtmissbrauch-an-Universitaeten/!5946448
[6] https://www.htw-berlin.de/fileadmin/HTW/Zentral/Antidiskriminierung/SDG_Sch…
[7] https://blogs.fu-berlin.de/frauenbeauftragte/2024/08/29/pilotprojekt-awaren…
## AUTOREN
Gabrielle Meton
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
Hochschule
Sexualisierte Gewalt
Social-Auswahl
Bildende Kunst
Harvey Weinstein
Universität Göttingen
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