# taz.de -- 5 Jahre #metoo: Unumkehrbare Wirkmacht | |
> Noch nie hat ein Hashtag so stark das Bewusstsein für sexualisierte | |
> Belästigung und Gewalt verändert wie #metoo. Es wurde zur globalen | |
> Bewegung. | |
Bild: Protest in Paris vor fünf Jahren, der sich gegen sexuelle Übergriffe un… | |
Alyssa Milano löste eine Lawine aus. Wenige Tage, nachdem im Herbst 2017 in | |
der New York Times ein Text erschien, in dem der frühere | |
Hollywood-Produzent Harvey Weinstein beschuldigt wird, Dutzende Frauen aus | |
der Filmindustrie sexuell belästigt und vergewaltigt zu haben, rief die | |
US-amerikanische Schauspielerin das Hashtag #MeToo ins Leben. | |
Mit dem Satz: „Wenn du sexuell belästigt oder angegriffen wurdest, schreibe | |
MeToo“, forderte sie am 15. Oktober 2017 Frauen dazu auf, auf Twitter und | |
in anderen sozialen Medien ihre Erlebnisse mit sexuellen Übergriffen | |
öffentlich zu machen. Innerhalb kürzester Zeit reagierten darauf Tausende | |
Frauen. | |
Seitdem ist die Debatte über sexualisierte Gewalt aus dem öffentlichen | |
Diskurs nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile haben Millionen Frauen | |
weltweit das Hashtag genutzt, es wurde zum Symbol für den Kampf gegen | |
sexuelle und sexualisierte Gewalt. | |
Ohne #MeToo wäre diese breite Kritik an Macht- und | |
Abhängigkeitsverhältnissen, an Gewalt gegen Frauen nicht möglich gewesen. | |
#MeToo entwickelte eine virale Kraft, die es in diesem Bereich bislang so | |
noch nicht gegeben hatte. In der Kritik stehen seitdem nicht nur die Film- | |
und Kulturbranchen, sondern auch die Politik, die Kunst, der Sport. | |
## In den USA und Europa ebenso wie in Indien und Pakistan | |
#MeToo wurde zu einer globalen Bewegung – ähnlich wie später Fridays for | |
Future für eine ökologische Transformation und Black Lives Matter gegen | |
rassistische Gewalt. Selbst in Ländern, in denen noch immer starke | |
patriarchale Geschlechterverhältnisse vorherrschen, greift das Hashtag und | |
die dahinterstehende Gesellschaftskritik: in Indien ebenso wie in Pakistan | |
und Sri Lanka. Selbst in China, wo der Staat soziale Netzwerke streng | |
kontrolliert, äußerten sich Frauen zu sexueller Gewalt. Das ist neu – und | |
das ist unumkehrbar. | |
Dieses Phänomen wäre ohne soziale Netzwerke, die oft zu Recht auch | |
unsoziale Netzwerke genannt werden, nicht möglich gewesen. Durch die | |
Schnelligkeit und die Möglichkeit, über Twitter, Facebook, Instagram an | |
jedem Winkel der Erde jederzeit Betroffene zu erreichen, ist die Welt um | |
eine wichtige Debatte reicher. Und natürlich durch Milanos scheinbar | |
schlichte Aufforderung: Schreibe einfach MeToo. | |
Keine Frau musste dezidiert von ihren Erlebnissen berichten, so wie das bei | |
der Polizei und im Gerichtssaal nötig ist. Es genügte zu sagen: Ja, mir ist | |
das auch passiert. Für nicht wenige Frauen war es die allererste Chance, | |
über eine Vergewaltigung, einen Übergriff im Schwimmbad, beim Training, in | |
der Bahn zu reden – und allein dies als ein Stück Befreiung zu erleben. | |
In Deutschland fand #MeToo seinen Anfang ebenfalls in der Filmbranche und | |
war vor allem mit dem Namen eines preisgekrönten Regisseurs verbunden: | |
Dieter Wedel. [1][Die Causa Wedel entfachte auch in Deutschland eine | |
Debatte über Hierarchien, Geschlechterverhältnisse, Machtstrukturen und | |
sexuelle Gewalt], wie sie es so ähnlich nur in den 60er und 70er Jahren in | |
Westdeutschland bei der Debatte über Abtreibung gab. | |
## Schon for #metoo trendete #aufschrei | |
Seitdem wird insbesondere in der Filmbranche versucht, mit dem | |
Herrschaftsgebaren – [2][Männer sagen, wie sich Frauen zu verhalten und wie | |
sie auszusehen haben] – aufzuräumen. Die seit Jahrzehnten eingeschliffenen | |
Strukturen im Filmgeschäft, nach denen Frauen wegen einer Rolle auf | |
unmoralische Angebote „eingehen mussten“, stehen hart in der Kritik. | |
Seitdem wird ebenso in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen mächtig | |
gekämmt. | |
So mussten prominente Männer wie der Journalist Julian Reichelt und der | |
Theatermann Klaus Dörr ihre Posten nach Veröffentlichungen über sexuelle | |
Übergriffe und Machtmissbrauch gegenüber Mitarbeiter:innen räumen – | |
Reichelt die Bild-Chefredaktion, Dörr die Intendanz der Berliner | |
Volksbühne. Auch dem Comedian Luke Mockrigde warfen Frauen sexuelle | |
Übergriffe vor, darunter war auch seine frühere Lebensgefährtin. Doch die | |
Aussagen von Mockrigdes Ex-Freundin erwiesen sich als unstimmig, die | |
Anklage wurde fallengelassen. | |
Doch schon lange vor #MeToo trendete hierzulande ein anderes Hashtag, das | |
Alltagssexismus anprangerte: #aufschrei. Die Debatte, die im Januar 2013 | |
die Feministin Anne Wizorek bei Twitter angestoßen hatte, ist mit #MeToo | |
ein wenig in Vergessenheit geraten. Dabei war [3][#aufschrei die erste | |
breite öffentliche Debatte] zu diesem Thema in Deutschland. | |
Das Hashtag ging viral, nachdem der Stern ein Porträt der Journalistin | |
Laura Himmelreich über den FDP-Politiker Rainer Brüderle veröffentlichte. | |
Der [4][Text mit dem Titel „Der Herrenwitz“] beschrieb unter anderem, wie | |
Brüderle am Abend in der Bar Himmelreich auf den Busen schaute und sagte: | |
„Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“ Hierzulande sollte man #aufschrei | |
und #MeToo immer zusammendenken. | |
## Ein Fall für die Geschichtsbücher | |
Doch beide Hashtags finden und fanden nicht nur Zuspruch. So wurde | |
#aufschrei unter anderem kritisiert als Kampagne „für verbissene Emanzen“, | |
die nicht zwischen Flirten und Übergriffigkeit unterscheiden könnten. Die | |
Frauen, die sich äußerten, würden sich über Nichtigkeiten aufregen und sich | |
aufplustern. | |
Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck konnte keine „gravierende | |
Fehlhaltung von Männern gegenüber Frauen“ feststellen und bezeichnete die | |
Reaktionen auf #aufschrei als „Tugendfuror“. Die Philosophin [5][Svenja | |
Flaßpöhler hat als Widerspruch gegen #MeToo sogar ein Buch geschrieben: | |
„Die potente Frau“]. Darin argumentiert sie, grob zusammengefasst, #MeToo | |
stemple Frauen zu passiven Opfern und Männer zu aggressiven Tätern ab. | |
Doch die kritische Stimmen sind weitgehend verstummt, #MeToo könnte man | |
fast schon ikonografisch nennen. Sogar wenn das Hashtag in ein paar Jahren | |
nicht mehr die heutige Rolle spielt, ist #MeToo zweifellos ein [6][Fall für | |
die Geschichtsbücher]. | |
17 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /MeToo-und-Dieter-Wedel/!5868505 | |
[2] /Vorwurf-der-Vergewaltigung/!5756134 | |
[3] /Feministischer-Presseclub/!5424562 | |
[4] https://www.stern.de/politik/deutschland/stern-portraet-ueber-rainer-bruede… | |
[5] /MeToo-kritische-Streitschrift/!5502572 | |
[6] /Geplante-Studie/!5830226 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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