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# taz.de -- Dada-Feminismus an Berliner Volksbühne: Hodenlos an die Macht
> „Hyäne Fischer – Das totale Musical“ von Lydia Haider und Eva
> Jantschitsch macht an der Berliner Volksbühne kurzen Prozess. Mit
> panierten Schnitzeln.
Bild: Muss schwierige Nonsens-Texte vortragen: Katarina Maria Trenk in „Hyän…
Erst als beim Schlussapplaus alle auf der Bühne stehen, ist zu sehen, was
auf den Stofffetzen steht, die den Frauen (sofern dieser Begriff zulässig
ist) der Begleitband auf die schwarzen T-Shirts genäht wurden: „Kein
Matriarchat ohne Transfeminismus“. Ein Slogan mehr an diesem an Slogans gar
nicht armen Abend, die allerdings ausnahmslos alle in einem Gestus
vorgetragen wurden, der ob seiner absurd verrätselten Verquatschtheit auf
der einen beziehungsweise seiner brachialen Wortwahl auf der anderen Seite
letztlich verschwommen bleibt bezüglich seiner wahren Sendungsabsicht. Im
Klartext: Was soll das Ganze?
Sicher ist: Die Volksbühne in Berlin scheint sich unter der Intendanz von
René Pollesch zu so etwas wie einer Speerspitze des Feminismus im hiesigen
Theaterbetrieb entwickelt zu haben und die statistische
Unterrepräsentiertheit von Frauen auf deutschsprachigen Bühnen ganz im
Alleingang ausgleichen zu wollen.
Vor wenigen Wochen erst erlebte [1][Florentina Holzingers fulminante
Lauter-nackte-Frauen-Produktion „Ophelia’s Got Talent“] am
Rosa-Luxemburg-Platz ihre Premiere. Für „Hyäne Fischer“ – Untertitel: �…
totale Musical“ – nun sind wieder ausschließlich nicht-männliche Menschen
am Werk. Auch im Publikum sitzen auffällig viele junge Frauen; aber auch
etliche Nicht-Frauen gucken freundlich zu.
Das Libretto des Abends stammt von der österreichischen Autorin Lydia
Haider, die Musik von deren Landsfrau Eva Jantschitsch, und die Dramaturgin
Marlene Engel hat die künstlerische Leitung (der Begriff „Regie“ wird auf
dem Programmzettel vermieden) inne sowie das Konzept zu verantworten.
Musiknummern wechseln ab mit Wortbeiträgen, die sehr oft unverständlich,
weil sprachlich selbstreferentiell und so künstlerisch kleingedrechselt
sind, dass ihr Sinn sich gleichsam in den nicht vorhandenen Schwanz zu
beißen scheint.
## Völlig transparent transportiert
Da gibt es manchmal komische, um nicht zu sagen gewitzte Momente, weil sich
hin und wieder was lächerlich reimt, vieles sich penetrant um sich selbst
dreht, und zwischendurch wird auch mal eine Aussage völlig transparent
transportiert.
Eine Darstellerin im angedeuteten Reifrock tritt auf, sagt, sie sei die
Kaiserin, und hält einen Monolog, in dem es die meiste Zeit darum geht,
dass welche im Wald schlafen und von ihr skalpiert werden. Dass sie die
Identitären skalpieren wolle, sagt sie, weil die hätten ja jetzt Haare.
Eine andere Darstellerin im gestreiften Anzug einer Conférencière hat einen
musikalischen Auftritt, der das Panieren von Schnitzeln thematisiert und
von da aufs Panieren des „Beistrichs“ kommt. In den englischen Übertiteln
wird „Beistrich“ übersetzt mit „comma“; und da die Conférencière ihr
authentisches Wienerisch auch ansonsten ausspielen darf, ist mensch als
Preußin froh über diese Übertitel, die diffus erläutern, dass jetzt endlich
mal Schluss sein muss mit den Kerlen und ihren Schnitzeln. Oder hat frau da
was falsch verstanden?
Warum der Figur, die wie der Titel des Stückes „Hyäne Fischer“ heißt, nur
wenige Wortbeiträge zugewiesen sind, während das zentrale Lied „Hodenlos an
die Macht“ von einer anderen Figur, gespielt von Kathrin Angerer in blonder
Zopfperücke, gesungen werden darf, ist ebenfalls schwer zu verstehen.
(„Hodenlos an die Macht“ folgt natürlich der Melodie jenes enervierenden
Ohrwurms, mit dem eine deutsche Sängerin namens Helene Fischer einst sogar
dem schlagerhassenden Bevölkerungsteil bekannt wurde.)
In einer anderen Nummer schwebt Schauspielerin Angerer, befestigt am
Bundesadler, über die Bühne, um ein Lied darzubieten, in dem es irgendwie
gegen deutschen Wein geht. Da müsste man natürlich über entsprechendes
Hintergrundwissen verfügen, um das einzuordnen: Ist dieses Thema etwa, von
Österreich aus gesehen, ideologisch besetzt?
## Angefeuert vom Frauenensemble auf der Bühne
Ein Teil des Samstagabend-Publikums beginnt bei „Hodenlos“ mitzuklatschen,
angefeuert vom Frauenensemble auf der Bühne, das die meiste Zeit nur
herumlungert oder herumsteht, wenn es nicht gerade einen Chor zu performen
gibt.
Die gelingen im Allgemeinen sehr kernig. Einmal wird auch schön gekämpft
(choreografiert von Florentina Holzinger). Überhaupt sind die
Darstellerinnen insgesamt zu bewundern für die aufrechte Ernsthaftigkeit,
mit der sie die schwierigen Nonsens-Texte vortragen, die Lydia Haider ihnen
aufgeschrieben hat.
Diese Ernsthaftigkeit kennzeichnet den gesamten Abend und zeitigt auf jeden
Fall Wirkung, denn nur in der Kombination von Ernst und [2][Dada ergibt
sich ein theatral so absurder Effekt], wie er hier offensichtlich
beabsichtigt ist. Aber in der auf nichts zusteuernden Nummernrevue, die das
angebliche Musical eigentlich ist, erschöpft dieser Gestus sich schnell;
und die Zuschauerin ebenso.
16 Nov 2022
## LINKS
[1] /Neue-Spielzeit-an-Berliner-Volksbuehne/!5879194
[2] /Auftragsdichterin-ueber-ihre-Arbeit/!5618334
## AUTOREN
Katharina Granzin
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