# taz.de -- Auftragsdichterin über ihre Arbeit: All das kann nur ein Gedicht �… | |
> … Pizza jedoch kann das nicht. Ein Interview in Gedichtform über das | |
> Reimschema F, den Segen der Schreibmaschine und Themen, die immer gehen. | |
Bild: Sabine Magnet hat für jeden Moment den richtigen Reim, das passende Wort… | |
taz am wochenende: Frau Magnet, Sie schreiben Gedichte auf Bestellung. Was | |
kann Lyrik, was Pizza nicht kann? | |
Sabine Magnet: | |
Poesie bringt dich zum Lachen, | |
tröstet ohne dick zu machen, | |
bringt dir Welt- und Selbsterkenntnis, | |
fördert Selbst- und Fremdverständnis, | |
lässt dich wagen, lässt dich hoffen, | |
macht empfänglich, mild und offen … | |
All das kann nur ein Gedicht. | |
Pizza jedoch kann das nicht. | |
Apropos Essen: Eins meiner Lieblingsgedichte von Ihnen heißt „Pommes | |
Schranke“, gewünscht von Caspar, 3 Jahre alt. Sind Kinder die besseren | |
Auftraggeber? | |
Kinder sehen diese Welt | |
nicht emotional verstellt. | |
Sie sind mehr im Augenblick, | |
finden dort das große Glück: | |
Pommes Schranke, Sonne, Eis. | |
All der krasse Psychoscheiß | |
hat sie noch nicht in den Klauen. | |
Jedoch ist in Seelen schauen | |
ebenfalls sehr schön für mich. | |
Beide Parts ergänzen sich | |
wie im Leben so auch hier. | |
Alle Teile sind in mir. | |
Die Auftragsdichterin ist also auch immer Therapeutin. | |
Manchmal bin ich ein Kanal | |
für die ganzen Emotionen. | |
Manchmal ist es ganz banal | |
und ich schreibe über Bohnen. | |
Normalerweise schreiben Sie Ihre Gedichte auf der Schreibmaschine und nicht | |
wie jetzt am Computer. Liegt das womöglich an der heilsamen Abwesenheit der | |
Löschtaste? | |
Ich schrieb bis jetzt auf allen Wegen, | |
mit Laptop oder Stift und Block. | |
Die Schreibmaschine ist ein Segen, | |
allein der Sound bringt schon so Bock. | |
Ich bin nicht ständig abgelenkt, | |
ich weiß, perfekt wird’s einfach nicht. | |
Das Wissen hat mich sehr beschenkt – | |
mit Freiheit, Mut und neuer Sicht. | |
Was ist eigentlich zuerst da: der Reim oder der Rest? | |
Dieser Zeile Keim | |
ist der Reim. | |
Eine Zeile drunter | |
ist mitunter | |
reimen eine Qual, | |
das passiert schon mal: | |
Wenn ich etwas sagen will, | |
bleibt’s im Reimezentrum still. | |
Viele kennen die Reimschemata (aabb, abab, abba …) noch aus der Schule. | |
Gibt es auch ein Reimschema F – und, falls ja, wie sieht es aus? | |
Nach Wurst kriegt man Durst, | |
auf Brust hat man Lust, | |
die Sonne macht Wonne | |
und Regen macht Frust. | |
Es gibt ja auch Gedichte, die sich nicht reimen. Was ist denn der | |
Unterschied zwischen Lyrik und Prosa? | |
Lyrik ist freier in allen Aspekten, ich kann neue Formen und Wörter | |
erfinden, | |
Prosa hingegen muss Pflichten erfüllen und sich sehr viel stärker an Regeln | |
binden. | |
Und die Minimalanforderung an ein Gedicht? | |
Die Reaktion ist mindestens ein Schmunzeln, | |
ein Luftanhalten oder Stirnerunzeln. | |
Das Bayerische Fernsehen nannte Sie den „weiblichen Wilhelm Busch der | |
Gegenwart“. Finden Sie sich darin wieder? | |
Das ist ja wirklich eine Ehre, | |
mich mit dem Wilhelm zu vergleichen! | |
Und wenn ich selber Dichter wäre, | |
dann wäre das das größte Zeichen. | |
Doch bin ich’s nicht, ich bin kein Mann, | |
ich leb in einer andren Welt | |
und dichte mir, so gut ich kann, | |
mein Leben wie es mir gefällt. | |
Bei jedem Wort, das ich verfass’, | |
denk ich an die, die vor mir kamen: | |
Kaléko, Meier, Lavant – das | |
sind doch nur drei von vielen Namen … | |
Sie kommen aus München. Stimmt es, dass die Bayern eh von Geburt an zu | |
zünftigem Humor neigen? | |
Schweinigel, Gankerl, Goggolori – in Bayern gibt es allerhand – | |
Humor ist Bayerns Zaubertrank, er hilft gegen den Bayern-Grant. | |
In München hatten Sie auch Ihre erste Einzelausstellung. Passend zum Titel | |
„Amt für Lyrik und Gefühlsverarbeitung“ konnten Besucherinnen und Besucher | |
eine Nummer ziehen und einen Antrag auf ein Gedicht stellen. Wie viel Lyrik | |
steckt in der Bürokratie? | |
Sollte in Bürokratie | |
wirklich Lyrik stecken, | |
finde ich sie leider nie, | |
würd’ es auch nicht checken. | |
Formulierungen im Amt | |
saugen jedes Leben | |
aus der Sprache, doch, verdammt, | |
auch DAS muss es geben. | |
Ebenfalls Teil dieser Ausstellung waren die „Minutengedichte“, ein | |
Wortspiel mit dem Begriff „Minutengerichte“. Zum Beispiel: Nichtstun / muss | |
man / auch / erst mal / machen. Liegt die Würze in der Kürze? | |
Es ist doch so: Die Menschen haben wenig Zeit | |
und immer kürzer wird die Spanne der Aufmerksamkeit. | |
Und auf ihrer Suche nach Essenz baut die Poetin | |
aus paar Worten ne Skulptur so wie der Erwin. | |
Das Magische entsteht doch stets im Publikum – | |
die eine ist davon berührt, die andre findet’s dumm. | |
Was ist denn die häufigste Reaktion, wenn jemand sein persönliches Gedicht | |
in den Händen hält? | |
Ganz oft sehe ich die Überraschung im Gesicht von Leuten: | |
„Das trifft so gut. Wie kann das sein? | |
Was ist geschehen?“ | |
Und sehr oft fließen Tränen, die mir dann bedeuten: | |
„Danke. Ich bin wohl doch nicht so allein. | |
Ich bin gesehen.“ | |
Und wissen Sie, wo das Gedicht danach landet? Am Kühlschrank? In der | |
Schreibtischschublade? | |
Manche schicken nachher Fotos: „Dein Gedicht im Rahmen – hier!“ | |
Ich glaub aber, manchmal landet auch ein Werk im Altpapier. | |
Wie gemein! Es steckt doch bestimmt auch viel von Ihnen selbst in Ihrer | |
Auftragslyrik, zumindest Herzblut. | |
Die Gedichte sind wie Vögel, die ich aufzieh’ bis sie fliegen | |
und sie freilass’ in der Hoffnung, dass sie bald schon Junge kriegen. | |
Themen, die ja immer gehen: Tiere, Essen und Liebe. Was noch? | |
Oft gewünscht: Motivation, endlich einen Schritt zu machen. | |
Manche sehnen sich nach Klarheit, Leichtigkeit und schlicht nach Lachen. | |
Hoffnung ist ein großes Thema, viele Menschen brauchen sie | |
und, sehr wichtig: Trost. Das alles sucht man in der Poesie. | |
Wenn Sie sich entscheiden müssten: Dichtung oder Wahrheit? | |
Immer Wahrheit. Doch was ist das? Ist es das, was wir erkennen? | |
Was wir nach dieser Erkenntnis bei bestimmten Namen nennen? | |
Die wir von den Alten lernten ohne sie zu hinterfragen? | |
Wahrheit ist doch auch nur Dichtung. Ist das wahr? Wer kann das sagen … | |
Was kann Dada? | |
Dada kann gugut naneu. | |
Dada schnipselt sich fafrei. | |
Dada ruft lalaut kakrass. | |
Dada nennt mich Enibas. | |
Was ist besser, Rap oder Goethe? | |
Das ist so wie mich zu fragen: | |
Schokolade oder Eis? | |
Ich würd immer „Beides!“ sagen, | |
alles andre is’n Scheiß. | |
Wer bei der taz anruft und in der Warteschleife landet, bekommt Gedichte | |
von der Wahrheitsseite, der Satire-Seite der taz, vorgelesen. Ein Gedicht | |
über die Warteschleife fehlt allerdings noch im Repertoire … | |
Schau mal, wie ich in deiner Warte schleife | |
und dir in deine süßen Ohren kneife. | |
Ich trag mich ein zum nächsten Tanz in deiner Karte … | |
macht mir nix aus, wenn ich in deiner Schleife warte. | |
Und weil es so gut zum Abschied passt: Was bedeuten Floskeln wie „Herzlich“ | |
oder „Mit freundlichen Grüßen“ denn nun wirklich? | |
Das haben wir uns ausgedacht, | |
dann haben wir es abgemacht: | |
bestimmte Regeln und Verfahren – | |
schon sind wir nicht mehr wie Barbaren. | |
Die Nettigkeit ist gut und richtig, | |
Manieren sind für alle wichtig. | |
Was Floskeln tatsächlich bedeuten, | |
das lernt man manchmal erst beizeiten. | |
Im Endeffekt kann’s alles sein | |
von „hab dich lieb“ bis „stirb, du Schwein“. | |
Manchmal ist’s gut, zu hinterfragen, | |
Tacheles reden, sozusagen. | |
Doch meistens machen Floskeln Sinn | |
und sind für alle ein Gewinn. | |
18 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Franziska Seyboldt | |
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