| # taz.de -- Florentina Holzinger über Feminismus: „Ich habe niedrigen Blutdr… | |
| > Florentina Holzinger ist eine der angesagtesten Performer:innen der | |
| > hiesigen Theaterszene. Hier spricht sie über Nacktheit, Stunts und | |
| > Feminismus. | |
| Bild: Macht sich auf der Bühne gerne über Machotypen lustig | |
| Florentina Holzinger rauscht ein paar Minuten später als verabredet in den | |
| alten Ballettsaal der Berliner Volksbühne. Sie ist eine zierliche Person | |
| mit tiefer, kratziger Stimme. Für einen Auftritt in ihrer neuesten Show | |
| „Ophelia’s Got Talent“ ist sie mit dem Flieger aus Wien angereist. Jetzt | |
| ist sie etwas genervt. Sie war nicht darauf vorbereitet, fotografiert zu | |
| werden. Sie hat keine Lust dazu, grantelt auf Wienerisch. Ob sie sich noch | |
| frisch machen wolle? Holzinger winkt ab. | |
| Einen Augenblick später steht sie auf dem abgeschrammelten Konzertflügel, | |
| wo das erste Foto entsteht. Holzinger ist ein Phänomen. In der | |
| deutschsprachigen Theaterszene gibt es gerade kaum eine Performerin, die | |
| angesagter ist als sie. Während andere über Publikumsschwund klagen, sind | |
| ihre Shows fast immer ausverkauft. Sie sind ein Spektakel mit ausgefallenen | |
| Choreografien, viel Nacktheit und waghalsigen Stunts. | |
| taz: Wie sind Sie zum Tanzen gekommen, Frau Holzinger? | |
| Florentina Holzinger: Ich habe in der gymnasialen Oberstufe irgendwann | |
| damit angefangen, in so Bewegungsklassen zu gehen. Und daraus hat sich dann | |
| relativ schnell der Wunsch entwickelt, Tänzerin zu werden. | |
| Ich dachte, man muss viel früher anfangen, um gut zu werden. | |
| Wenn man klassisches Ballett tanzen möchte, ja. Bei anderen Tanzrichtungen | |
| ist es vielleicht sogar besser, spät anzufangen. Dann kommt einem die | |
| Pubertät nicht in die Quere. | |
| Was interessiert Sie am Tanzen? | |
| Ich empfinde es als befreiend, mich über meinen Körper auszudrücken. Worte | |
| sind im Gegensatz dazu bedeutungslos für mich. | |
| Wie bitte? Worte können doch auch sehr viel ausdrücken. | |
| Ja, aber hinter Worten kann man sich verstecken. Einem Körper siehst du | |
| sofort an, ob er sich wohlfühlt oder nicht. | |
| Sie haben an der School for New Dance Development in Amsterdam studiert. | |
| Warum dort? | |
| Das war die einzige Schule, die mich genommen hat. | |
| Was wurde dort unterrichtet? | |
| Neuer Tanz. | |
| Was ist das? | |
| Während moderner Tanz noch sehr vom klassischen Ballett abgeleitet ist und | |
| sich zeitgenössischer Tanz viel um Schwerkraft, Kontaktimprovisationen und | |
| die Integration des Bodens dreht, verfolgt neuer Tanz den Ansatz, dass | |
| letztlich alles Tanz sein kann. Wir wurden an der Schule dazu angehalten, | |
| unseren eigenen Tanzstil zu entwickeln. | |
| Das klingt überfordernd … | |
| Ja, zu Anfang war ich schon ein bisschen lost. Ich hatte ja selber nicht | |
| die krasseste Vorbildung, aber gleichzeitig Urbock, physisch zu trainieren. | |
| Und da steckte ich in einem Dilemma, weil für mich ja viele Züge schon | |
| abgefahren waren. | |
| Welche? | |
| Eine Ballettkarriere. | |
| Hätten Sie da Lust drauf gehabt? | |
| Jein. Ich hätte zwar Bock gehabt, in einer physischen Tanzkompanie zu | |
| arbeiten. Gleichzeitig habe ich aber schon immer ein problematisches | |
| Verhältnis zu Autoritäten gehabt und hätte mir nicht vorstellen können, für | |
| irgendeinen männlichen Kompanieleiter zu tanzen. | |
| Wie haben Sie Ihren eigenen Tanzstil gefunden? | |
| Ich habe mir in meiner Studienzeit viele Underground-Performances in New | |
| York angeschaut. Das waren meistens Sachen, die Hardcore waren. Irgendwie | |
| trashig und voll mit popkulturellen Referenzen. Ich fand es inspirierend, | |
| dass sich die Leute dort nicht so angeschissen haben, was Regeln, sexuelle | |
| Darstellungen und Tabus betrifft. | |
| In Ihrer Produktion „A Divine Comedy“, die an Dantes „Göttliche Komödie… | |
| angelehnt ist, spricht die 1943 geborene Performerin Beatrice Cordua davon, | |
| dass eine Tänzerin „zwei Tode“ stirbt. Was meint sie damit? | |
| Mit dem „ersten Tod“ meint sie etwas zynisch das Ende der Karriere als | |
| Tänzerin. Für die meisten Balletttänzerinnen ist nämlich mit 37 Jahren | |
| Schluss. Das ist aber jetzt auch kein so großes Drama, wie oft behauptet | |
| wird. Das Problem vieler klassischer Tänzerinnen ist, dass es für sie | |
| nichts anderes gibt als Ballett. Dabei könnten sie sich danach, so wie | |
| Beatrice es getan hat, durchaus anderen Tanzformen zuwenden. | |
| Wie sexistisch ist die klassische Tanzwelt? | |
| Da habe ich keinen großen Einblick, weil ich selber nie Teil von so rigiden | |
| Verhältnissen war. | |
| Aber Sie bekommen sicher eine Menge mit? | |
| Klar. Während der letzten Jahre sind jede Menge Erfahrungsberichte an mich | |
| herangetragen worden. | |
| Welche Probleme sehen Sie im Ballettbereich? | |
| Das Verhältnis von Ausbildenden und Tänzerinnen, ja die ganzen | |
| Arbeitsverhältnisse sind sehr gefickt. Die Repräsentation von Körpern ist | |
| da extrem engstirnig und die Hälfte des Repertoires problematisch. | |
| Was finden Sie dort problematisch? | |
| Da gibt es unzählige Beispiele … Die Narrationen selbst, die Exotismen, | |
| Black and White, oder wenn im „Nussknacker“ eine körperlich eingeschränkte | |
| Person so urcorny dargestellt wird … | |
| Man könnte ja sagen: Scheiß auf die alten Stoffe. Stattdessen arbeiten Sie | |
| sich gerne an stereotypen Frauenfiguren wie Meerjungfrauen oder Musen ab. | |
| Warum? | |
| Wenn man es einmal geschafft hat, eine Bühne zu bekommen, gibt es kaum noch | |
| Grenzen – doch ich bin an Grenzen interessiert. Deshalb baue ich mir gerne | |
| eine thematische Box, die ich dann durchbrechen kann. Das funktioniert am | |
| besten bei Stoffen, mit denen ich im ersten Moment nicht viel anfangen | |
| kann. Ich bin „Generation Netflix“, es ist nicht so, dass ich die Klassiker | |
| neben meinem Bett liegen habe. | |
| Sie machen sich in Ihren Shows gerne über männliche Helden und Hobbys | |
| lustig. In „A Divine Comedy“ persifliert Annina Machaz den Dichterkönig | |
| Dante, indem sie ihn verzweifelt nach einem Dixi-Klo suchen lässt. In einer | |
| anderen Szene zerlegt eine Performerin mit einer Motorsäge einen Baumstamm. | |
| Wieso? | |
| Weil es uns Spaß macht, in solche hypermännlichen Rollen zu schlüpfen. Wir | |
| wollen am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, Motocross zu fahren | |
| oder als besoffene Matrosen über die Bühne zu torkeln. | |
| Warum macht so etwas Spaß? | |
| Es fühlt sich halt gut an, sich über solche Machotypen lustig zu machen, | |
| von denen die Bühnen normalerweise übersättigt sind. Und dann ist es sicher | |
| auch eine Art Drag, bei der die binäre Geschlechterordnung auf die Spitze | |
| getrieben und damit ad absurdum geführt wird. | |
| Sind Sie Feministin? | |
| Auf jeden Fall. | |
| Warum? | |
| Weil ich an die absolute Gleichberechtigung in allen Bereichen glaube. | |
| Sie leben in Wien. Sind Sie Teil der Burschenschaft Hysteria, die mit ihren | |
| Kunstaktionen das goldene Matriarchat proklamiert? | |
| Das unterliegt dem Schweigegelübde. | |
| Wäre ein Leben im Matriarchat denn die Lösung? | |
| Ja! Das ist kein besonders realistischer Vorschlag, aber ein ziemlich | |
| interessanter Denkansatz, finde ich, und darüber hinaus nicht mal ein | |
| besonders abschreckender. Das Patriarchat gibt es ja auch. | |
| Die Schriftstellerin Stefanie Sargnagel, die Kunstfigur Hyäne Fischer: | |
| Kennen Sie sich eigentlich alle in der feministischen Wiener Kunstszene? | |
| Klar. Wien ist ein Dorf. Wir sind alle miteinander befreundet. | |
| Und jetzt sind Sie alle mehr oder weniger mit der Volksbühne Berlin | |
| verbandelt. Wie kommt das? | |
| Das würde ich wirklich auch gerne wissen … | |
| Könnte es daran liegen, dass Ihre Kunst ein bisschen düsterer, politischer, | |
| abgründiger und damit auch interessanter ist als die von Ihren deutschen | |
| Kolleginnen? | |
| Ich finde, da schwingt ein gewisser Exotismus mit. Es war ja schon immer | |
| so, dass die Deutschen Österreich irgendwie charming finden. Vielleicht | |
| werden uns deshalb auch viele Sachen eher vergeben … | |
| Kann sein. | |
| Für uns ist es jedenfalls so, dass Deutschland die interessanteren | |
| Ressourcen bereithält. Ein so renommiertes Haus wie die Volksbühne wäre uns | |
| in Wien nicht passiert. | |
| Haben Sie eine Vermutung, warum? | |
| Vermutlich gibt es überall diese Art von Lokalhass. Das gilt für Wien | |
| genauso wie für Berlin. | |
| In Ihren Shows wird sich Blut abgezapft, ein Anglerhaken durch die Wange | |
| gebohrt, eine Person squirtet auf der Bühne. Das ist ganz schön extrem – | |
| oder? | |
| Wieso extrem?! Für mich ist es ein und dasselbe, ob ich auf Spitzenschuhen | |
| stehe oder mir einen Haken durch die Wange bohre. Im Übrigen ist es nicht | |
| mal besonders schmerzhaft und wächst sofort wieder zu. | |
| Wollen Sie damit auch zeigen, wozu der weibliche Körper alles fähig ist? | |
| Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht an Virtuosität | |
| interessiert bin, aber es hat auch viel mit der Überwindung von mentalen | |
| Barrieren zu tun. Es ist doch total absurd: Fast jede in ihren Dreißigern | |
| fängt irgendwann an, sich Botox zu spritzen, ohne wirklich zu wissen, wie | |
| schädlich das ist. Das ist doch viel extremer! | |
| Manchmal habe ich Angst, dass dies gerade die freieste Zeit ist, die wir | |
| als Frauen in Europa erlebt haben werden. Geht es Ihnen ähnlich? | |
| Wir leben gerade in einer extrem paradoxen Zeit, in der einfach vieles | |
| gleichzeitig passiert. | |
| Neben großen Fortschritten für Frauen und Queers auch die Rücknahme von | |
| Frauenrechten in vielen Ländern und der Kulturkampf von rechts. | |
| Da haben wir die ärgsten Erfahrungen in Italien gemacht. Nach unserem | |
| Auftritt bei einem Theaterfestival war die Kuratorin ihren Job los. | |
| Was ist passiert? | |
| Die konservative Presse hat sich damals daran aufgehängt, dass es bei uns | |
| auf der Bühne eine Penetrationsszene mit einem Dildo gab. Und behauptet: | |
| Dass wir Pornografie machen und die Kuratorin eine Puffmutter sei, die mit | |
| den Steuergeldern der armen Italiener finanziert werde. | |
| Sie arbeiten viel, reisen viel umher. Haben Sie eigentlich Angst vor einem | |
| Burn-out? | |
| Manchmal begegne ich Künstlerinnen, die Megaworkaholics sind. Ich glaube, | |
| das bin ich nicht. Für mich ist es wichtig, lange zu schlafen. Außerdem | |
| habe ich einen niedrigen Blutdruck. | |
| Ich habe gelesen, dass Sie zu Beginn Ihrer Karriere einen schweren Unfall | |
| hatten … | |
| Stimmt. Und ich habe gerade noch gesagt, dass ich so robust bin … (lacht) | |
| Was ist damals passiert? | |
| Wir waren in Norwegen bei einem Festival eingeladen. Und während ich an | |
| einem Seil turne, schraubt sich die Halterung aus der Decke – und ich falle | |
| auf die Fresse. In der Zeitung stand, ich sei fünf Meter in die Tiefe | |
| gestürzt. Das glaube ich aber nicht, ganz ehrlich. | |
| Welche Verletzungen hatten Sie? | |
| Ich hatte ’ne schwere Gehirnerschütterung, Nasenbrüche, ein paar Zähne | |
| weniger. Ansonsten war alles unversehrt. Zwei Monate später habe ich | |
| dieselbe Show wieder gemacht. | |
| Hatten Sie keine Angst? | |
| Nö. Man weiß ja, dass man sich am besten gleich wieder in dieselbe | |
| Situation begibt, damit man nicht blockiert. | |
| In Ihren jüngsten Shows waren Sie und die anderen Performerinnen meistens | |
| über weite Teile des Abends nackt. Warum spielt Nacktheit eine so große | |
| Rolle für Sie? | |
| Mich interessiert, welche Konnotationen ein weiblich gelesener nackter | |
| Körper auf der Bühne mit sich bringt. Womöglich hat das auch damit zu tun, | |
| dass ich mich viel mit Tanz- und Kunstgeschichte beschäftigt habe und | |
| dieser Körper dort seit jeher ein beliebtes Sujet ist. | |
| Können Sie das ausführen? | |
| Ich finde es urwichtig, den weiblichen Körper so zu zeigen, wie er auf | |
| Billboards oder in Pornos normalerweise nicht dargestellt wird. Da muss er | |
| sich ja meistens sehr spezifisch verhalten, während er bei uns einfach | |
| seiner Arbeit nachgeht: Holzhacken, Schwimmen, Hürdenlaufen, whatever … Ich | |
| finde es dann aber trotzdem immer sehr lustig, wenn jemand behauptet, dass | |
| er nach fünf Minuten nicht mehr gesehen habe, dass wir alle nackt sind. | |
| Warum? | |
| Wenn wir ehrlich sind, schwingt das Thema Sexualität immer mit, auch wenn | |
| das gerne geleugnet wird. Denn bisher ist es so: Entweder du bekommst | |
| extrem sexualisierte Frauenkörper zu sehen oder es herrscht Nippelverbot. | |
| Beides geht an der Realität vorbei. Ich will diesen Gap schließen. | |
| Macht es für Sie einen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau einen | |
| nackten Frauenkörper inszeniert? | |
| Klar! Gleichzeitig machen wir schon viele Sachen, bei denen vermutlich auch | |
| ein männlicher Choreograf sagen würde, dass das gut aussieht. Allerdings | |
| gibt es auch viele Momente, die ein Mann so noch nicht inszeniert hat. Und | |
| dann gibt es bei uns auch nicht diesen typischen Entblößungsmoment … | |
| … doch, in „Ophelia“ gibt es eine Szene, in der die Performerin Saioa | |
| Alvarez Ruiz einen Strip hinlegt. | |
| Stimmt – aber sie verkörpert einen männlichen Stripper. Neulich haben wir | |
| uns übrigens in London diese sehr berühmte Strip-Show namens „Magic Mike“ | |
| angeguckt. Die hat mir richtig gut gefallen. | |
| Warum? | |
| Ich habe vorher noch nirgendwo gesehen, dass sich Männer dermaßen | |
| objektifizieren. | |
| Was mochten Sie daran? | |
| Dieses Verkehrte-Welt-Ding, dass es ausnahmsweise mal Männer waren, die | |
| sich abarbeiten mussten. Und gleichzeitig dachte ich, das wäre ein Job, den | |
| ich gerne hätte. | |
| Den Job der Stripperin? | |
| Nein, den des Strippers. | |
| Was ist der Unterschied? | |
| Männliche Stripper spielen halt trotzdem immer den starken, aktiven Dude. | |
| Mögen Sie Ihren Körper? | |
| Ich bin in einer beständigen Hassliebe zu ihm. Durch meine Arbeit ist Leben | |
| mit ihm definitiv machbarer. | |
| In „Ophelia“ erzählen Sie an einer Stelle, dass Sie magersüchtig waren. | |
| Stimmt das? | |
| Ja, das ist meine eigene persönliche Geschichte. | |
| Sie wurden zwangsernährt. | |
| Ich denke nicht, dass ich da eine Ausnahme war, weil die Krankheit einfach | |
| so fucking weit verbreitet ist. Manche Frauen sterben daran, wieder andere | |
| erholen sich oder haben Ups and Downs. | |
| Wollten Sie besonders schön sein für die Jungs oder wollten Sie keine Frau | |
| werden? | |
| Bei mir war das präpubertär. Ich denke, ich wollte keine Frau werden. | |
| Gibt es etwas, das Sie aus dieser Zeit mitnehmen? | |
| Dass ich mich komplett von meinem eigenen Körper distanzieren und mich | |
| selbst objektifizieren kann. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Ich sehe das so: Bei einem traumatischen Erlebnis sollte man immer | |
| überlegen, was es einem zwangsläufig beigebracht hat und wie man das in | |
| Kunst umsetzen kann. Wie kann ich etwas daraus machen, das nicht die | |
| Kontrolle über mich hat, sondern wo ich die Kontrolle über das Erlebte | |
| habe? | |
| Der Umgang mit dem eigenen Körper lässt Sie nicht los … | |
| Nein – und da geht es jetzt nicht nur um Magersucht. Abwertende Blicke, | |
| Schimpfwörter, Vergewaltigungen: Jede Frau hat ihre eigenen negativen | |
| Erfahrungen in Bezug auf ihren Körper gemacht. Deshalb ist es für viele | |
| Frauen auch extrem befreiend, dass sie bei uns so viele unterschiedliche | |
| Frauenkörper und Erfahrungen auf der Bühne erleben. Gleichzeitig wissen | |
| wir, dass wir immer auch Männer im Publikum sitzen haben, die nur gekommen | |
| sind, um sich aufzugeilen. | |
| Wie gehen Sie damit um? | |
| Mir war von vornherein klar, dass das Teil von dem Paket ist, wenn man sich | |
| dafür entscheidet, nackt auf der Bühne zu stehen. Trotzdem ist eines der | |
| ersten Dinge, die ich zu neuen Leuten im Team sage: Hey, es könnte sein, | |
| dass dein Bild auf einer Pornoseite landet. | |
| Ist das denn schon mal passiert? | |
| Das passiert andauernd. | |
| Wo kommt das Material her? | |
| Das sind Trailer von unseren Shows oder Videos, die jemand heimlich | |
| mitgefilmt hat. Doch so etwas muss uns scheißegal sein, weil wir es sowieso | |
| nicht kontrollieren können. Ich meine, zu einem gewissen Zeitpunkt war es | |
| mir nicht scheißegal, da wollte ich wenigstens Geld damit machen. Dann | |
| fängt man an, sich zu überlegen, wie geht es noch besser? Aus welcher | |
| Perspektive wäre es noch lukrativer? Wir hatten sicher das ein oder andere | |
| Projekt, wo wir versucht haben, genau das zu bedienen. | |
| Ist Ihr Auftauchen auf irgendwelchen Pornoseiten der Beweis dafür, dass | |
| Nacktheit auf der Bühne noch notwendig ist? | |
| Ich meine, es ist nicht der ausschließliche Beweis, aber es ist ein Beweis | |
| dafür, dass die Frau selbst im Kunstkontext noch objektifiziert wird. | |
| Dann ist es also gar nicht möglich, sich vom patriarchalen Blick zu | |
| befreien, egal, wie sehr man es auch versucht … | |
| … oder nur schleppend. Jedenfalls gibt es immer noch genügend Männer, die | |
| bei einer nackten Frau auf der Bühne nur ihre gespreizten Beine sehen. | |
| Trotzdem unterhalte ich mich nach der Show manchmal mit ihnen. | |
| Was wollen Sie wissen? | |
| Ich frage sie, warum sie ins Theater kommen und ob sie das Gesehene sexuell | |
| befriedigt hat. | |
| Und was antworten die? | |
| Oft sagen sie, sie kämen wegen der Kunst, und dass wir sehr gute Kunst | |
| machen. (lacht) Es haben mir aber auch schon manche durch die Blume gesagt, | |
| dass sie es einfach geiler finden, empowered women nackt zu sehen als | |
| irgendwelche weiblichen Opfer in Pornos. | |
| Und wie finden Sie diese Antwort? | |
| Schon sehr lustig. | |
| Warum? | |
| Ich find’ es skurril, dass selbst die feministische Frau ein | |
| Porno-Stereotyp ist. | |
| Es gibt also kein Entkommen … | |
| Doch, schon. Ich habe das Gefühl, dass diese Art Männer langsam am | |
| Aussterben sind. | |
| 14 Jan 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
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