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# taz.de -- Die Künstlerin Leiko Ikemura in Berlin: Zerbrechlich wie Eierschal…
> Etwas Beschützendes und Unheimliches liegt in vielen Skulpturen von Leiko
> Ikemura. Ihre hybriden Wesen bewohnen jetzt das Kolbe Museum in Berlin.
Bild: Leiko Ikemuras „Usagi Kannon“ im großen Atelier des Kolbe Museums
Diese Skulptur ist eine Einladung. Groß, über drei Meter hoch, steht die
weibliche Figur mit dem Hasenkopf auf den Rändern ihres weiten, vorne
geöffneten Rocks. Man könnte hineinkriechen wie in eine Höhle und sich
geborgen fühlen. Licht dringt hinein, durch viele kleine Öffnungen in der
bronzenen Wand, die das Innere auch wie ein Sternenzelt erscheinen lassen.
Das ist eine tröstliche Vorstellung – dabei scheint die Figur selbst Trost
zu brauchen, denn ihr Gesicht ist von Trauer gezeichnet.
Jetzt steht die grün patinierte Häsinnenskulptur „Usagi Kannon“ im
[1][Georg Kolbe Museum] in Berlin, in dem lichtvollen Raum, den sich der
Bildhauer Kolbe als Atelier bauen ließ. Für den Ausstellungsaufbau war sie
eine Herausforderung; Zentimeterarbeit, sie durch die Tür zu bringen. Sie
ist, ein wenig wie eine Königin von ihrem Hofstaat, umgeben von drei
weiteren, kleineren Usagi-Skulpturen aus hell glasierter Keramik. Von denen
hat jede zwei Gesichter, was ihren geister- oder märchenhaften Charakter
betont.
Viele der Usagis von Leiko Ikemura sind schon weit gereist. Sie waren in
Museen und Skulpturenparks in Japan, Deutschland, Frankreich oder der
Schweiz zu sehen. Die Arbeit an ihnen begann Leiko Ikemura 2011 nach dem
Schock über die Atomkatastrophe von Fukushima. In ihre Form ist vieles
eingeflossen: Man kann in ihnen eine Verbindung sehen zur
Schutzmantelmadonna aus der christlichen Ikonografie, die eben ihren Mantel
öffnet, aber auch zu buddhistischen Mittlerfiguren, die für das Mitgefühl
stehen – darauf verweist der Name „Kannon“.
In ihrer hybriden Verschmelzung von menschlichem und tierischem Körper
deuten sie auch eine Sehnsucht an nach einem anderen Verhältnis zwischen
Mensch und Natur, das nicht auf Herrschaft und Unterwerfung beruht.
Ins Georg Kolbe Museum hat die junge Kunsthistorikerin und
Museumsvolontärin Elisabeth Heymer Ikemura geholt. „Witty Witches“ heißt
die Ausstellung. Heymer sieht in dem Werk der 1951 in Japan geborenen
Künstlerin viele Bezüge zur Gegenwart. Gerade auch in dem Verschmelzen von
tierischen, pflanzlichen, menschlichen und geisterhaften Wesen: Denn so
schlagen sie in ihrer Ästhetik Auswege aus einem von den Interessen des
Menschen bestimmten Verhältnis zur Natur vor.
## Die Spur der Hände
Leiko Ikemura hat in Japan und Spanien studiert, sie ist Malerin,
Bildhauerin und Dichterin, hat lange in Berlin an der Universität der
Künste (1990 bis 2016) gelehrt, hat international vielfach ausgestellt. Und
doch ist ihre Position ein wenig die einer Außenseiterin. Was vielleicht
damit zusammenhängt, dass sie den tradierten Techniken die Treue hielt, der
Arbeit mit Temperafarben in der Malerei, der Arbeit mit Ton, Bronze und
jüngst auch Glas in der Skulptur, in einer Zeit, die eher das Strategische
und das Konzeptuelle als die Ästhetik betonte.
Aber jetzt, so hat Elisabeth Heymer beobachtet, beginnen gerade junge
Künstler:innen sich wieder für das Haptische der Keramik, die Spur der
Arbeit mit den Händen, zu interessieren.
Die Ausstellung umfasst Arbeiten aus den 90er Jahren bis heute, darunter
auch Fotografien aus dem Atelier in Schwarz-Weiß, die den Prozess des
Werdens betonen, die Zonen des Übergangs. Im Untergeschoss sind Skulpturen
aus Glas zu sehen, mit dem Leiko Ikemura in Zeiten des Lockdowns zu
experimentieren begann. Die Oberflächen sind matt, Lufteinschlüsse sind
erkennbar, das transparente Material lässt die liegenden Köpfe und
träumenden Gesichter je nach Lichteinfall von innen leuchten. Selten ist
der Gedanke, dass jeder Kopf eine Welt umschließt in seinem Inneren,
visuell so schlüssig auf den Punkt gebracht.
Jede Skulptur von Leiko Ikemura umfängt Raum. Die Grenze zwischen innen und
außen hat dabei, wenn sie aus Keramik und selbst wenn sie aus Bronze ist,
beinahe immer die Anmutung von etwas Zerbrechlichem. Das Leben verletzlich
wie eine Eierschale.
## Antwort auf die Kunstgeschichte
Das wird besonders in einer Serie liegender Mädchenfiguren deutlich, aus
den neunziger Jahren, von denen einige in einem Raum auf runden Scheiben
liegen. Die Liegende ist in der Kunstgeschichte oft mit dem männlichen
Blick auf die Frau verbunden; darauf zu antworten, ist auch ein
feministisches Projekt. Es ist verblüffend, dass die Skulpturen als Mädchen
erkennbar sind, an der Schwelle zum Erwachsenwerden, in einer Phase der
Transformation, der Findung der Identität und Sexualität.
Verblüffend, weil sie zugleich unheimlich sind, etwa in der Geste, die
Hände der aufgestützten Arme in die Augen zu bohren. Oder kopflos
dazuliegen, den Kopf neben den gehobenen Rocksaum geschoben. Das Leben
dieser Mädchenwesen ist voller Gefahren und Risiko, Provokation ist ihnen
nicht fern, womöglich auch Angst und Lust und beides zusammen. Je länger
man sie betrachtet, desto mehr drängen sich eigenwillige Geschichten auf.
Mit einem Hauch von Monstern und Manga.
Ikemuras Skulpturen haben einen erzählerischen Überschuss. Das macht die
Begegnung mit ihnen so reizvoll. Selbst da, wo sie als „Memento Mori“ in
einem Bett aus Kies liegen, ähnlich einer barocken Grabfigur, hat der
aufbrechende Körper etwas Ambivalentes. Er könnte jetzt Nisthöhlen Platz
bieten. Ein Übergang zu einem anderen Leben scheint möglich.
Eine Memento-Mori-Skulptur Ikemuras, silbern patiniert, ist zurzeit auch im
Museum für Asiatische Kunst im Humboldt Forum in Berlin zu sehen. Eine
kleine Gruppe ihrer Werke ist dort zwischen älteren Kunstwerken Japans
ausgestellt.
Auf einer Wand des Kolbe Museums ist ein Gedicht von Ikemura zu lesen. In
ihm wiederholen sich die Zeilen „nichts ist lustig / zur zeit“. Die
Stimmung, die sie beschreibt, ist tief geprägt von der Sorge, dass der
Karren der Menschen auf dem sicheren Weg ist, gegen die Wand zu fahren.
In wenigen Worten liegt großer Schrecken und Trauer: „nicht nötig / stark
zu sein / durchzuhalten, nein.“
20 Jan 2023
## LINKS
[1] /Retrospektive-Mona-Hatoum/!5887169
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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