# taz.de -- Retrospektive Mona Hatoum: Minimalismus der Beklemmung | |
> Feministisch, politisch und ohne Schnörkel ist die Kunst der | |
> palästinensisch-britischen Mona Hatoum. Eine Retrospektive in Berlin in | |
> drei Orten. | |
Bild: Wirkt minimalistisch und leicht, doch die Konstruktion bricht ein: Mona H… | |
Die Welt wackelt und ist instabil. Diesen Allgemeinzustand kann die | |
palästinensisch-britische Künstlerin Mona Hatoum physisch erfahrbar machen. | |
In das 20 Meter hohe Kesselhaus einer ehemaligen Brauerei in Berlin, deren | |
Backsteinbau nun das Kindl Zentrum für zeitgenössische Kunst ist, ließ sie | |
die neunstöckige Gitterkonstruktion „all of a quiver“ (Alles ein Zittern) | |
einbauen. | |
Mal steht das Metallgestänge aus einer Vielzahl schwarzer Quadrate | |
aufrecht, als sei es eine Reminiszenz an die weißen Würfelkompositionen | |
[1][des Konzept- und Minimalkünstlers Sol LeWitt]. Dann beginnen plötzlich | |
die unteren Stangen nachzugeben. Sie knicken ein, rasselnd und quietschend, | |
ein Gigant fällt in die Knie. Doch noch bevor der gesamte Koloss | |
zusammenbricht wie ein mittelalterlichen Ritter unter der zu schweren | |
Rüstung, richten Motoren das Gebilde wieder auf. | |
Es war nur eine Erschütterung, noch nicht das Ende. So darf man „all of a | |
quiver“ deuten. Mona Hatoum entwickelte die riesige Installation speziell | |
für diese Ausstellung, die sich als Retrospektive an gleich drei Orten in | |
Berlin ausbreitet. | |
Hatoum lebte selbst an den Bruchkanten globaler Konflikte, das Gefühl einer | |
permanenten Bedrohung taucht – sehr direkt oder sehr subtil – stets in | |
ihrer Performance- und Installationskunst auf. Sie kam 1952 in Beirut zur | |
Welt, als Kind palästinensisch-christlicher Eltern, die wenige Jahre zuvor | |
aus Haifa im Zuge des israelisch-arabischen Kriegs geflohen waren. [2][Als | |
1975 der Bürgerkrieg im Libanon ausbrach], war Hatoum gerade in London. Der | |
Weg zurück blieb ihr dann lange verwehrt. | |
Internationale Aufmerksamkeit erhielt sie 1983 bei einem | |
Stipendienaufenthalt in Kanada durch ihre radikale Performance „The | |
Negotiating Table“: Hatoum legte sich nackt auf einen Tisch, ihr Körper war | |
mit einer Plastikfolie überzogen und mit blutigem Fleisch bedeckt. Jeder | |
Atemzug der Künstlerin versetzte auch den roten Fleischberg in Bewegung. | |
Aus dem Off ertönten Nachrichten zum Nahostkonflikt. Der Körper auf dem | |
Verhandlungstisch symbolisierte die zivilen Opfer des Konflikts. Und weil | |
es sich dabei um einen weiblichen Körper handelte, wurde er auch zum Symbol | |
für das mehrfache Leid von Frauen in patriarchalen Systemen im | |
Kriegszustand. | |
Videoaufnahmen von Hatoums frühen Performances sind auch im [3][Georg Kolbe | |
Museum] zu sehen. Viel beeindruckender allerdings sind die Installationen | |
aus den letzten zwei Jahrzehnten. Sie alle vermitteln einen Zustand von | |
Unsicherheit und Bedrohung. | |
„Tectonic“ etwa besteht aus großen Glasplatten, auf die Hatoum die Umrisse | |
der Kontinente auftragen ließ. Die Platten ruhen auf kleinen Metallkugeln. | |
Das macht die Installation fragil und erinnert daran, dass auch die | |
Erdmassen unter den Füßen nur an sich bewegenden Kontinentalplatten | |
gebunden sind. | |
Wurden Hatoums frühe Arbeiten vor allem wegen ihrer Herkunft auf den | |
Nahostkonflikt hin gelesen, so bemühte sie sich später um einen erweiterten | |
Blick auf ihre Kunst. Die Besucher*innen kämen mit dieser | |
„vorgefertigten Idee, woher ich komme, und neigen dazu, das, was ich in | |
meine Werke einbringe, in Bezug auf meine Herkunft zu überinterpretieren“, | |
zitierte sie 2015 die New York Times. | |
Seither tauchen häufig Weltkarte und Globus in ihrer Arbeit auf. In | |
signalroten Neonröhren leuchten jetzt etwa die Kontinente auf ihrer | |
Erdkugel „Hot Spot III“ aus Stahldraht im Neuen Berliner Kunstverein. | |
Am intensivsten wird der Zustand der Bedrohung, mit dem Hatoum so viel | |
operiert, wenn sie in ihren küchenartigen Rauminstallationen elektrischen | |
Strom durch Haushaltsutensilien fließen lässt. Der Stromfluss bringt Siebe, | |
Reiben oder Trichter zum Knistern und Sirren, Glühbirnen flackern von ihm | |
auf. | |
„Mobile Home II“ von 2006 oder schlicht „Home“ von 1999 heißen diese | |
minimalen, beklemmenden Interieurs, die nun in Berlin zu sehen sind. Sie | |
verdeutlichen, wie wenig sicher bei Hatoum selbst die innersten Zonen eines | |
Hauses sein können. Insbesondere die Küche, der Ort, der weithin als | |
„weibliches“ Territorium konnotiert ist. | |
Mona Hatoum ist [4][eine feministische Künstlerin]. Die Unterdrückung von | |
Frauen und Mädchen stellt für sie stets aber auch nur eine Form von | |
vielfältigen Gewaltverhältnissen dar. | |
„Feminismus hatte einen enormen Einfluss auf die Kunst seit den 1970er | |
Jahren. Ich merkte aber, dass die Untersuchung der Kluft zwischen den | |
Geschlechtern auch den Weg bahnte zur Befragung anderer Machtstrukturen | |
anhand der Linien von Herkunft, Klasse und kulturellen Unterschieden“, | |
stellte sie 2003 in einem Katalogtext des MoMA fest. | |
Für ihre klare, politische Kunst fand Mona Hatoum ab Mitte der 1990er Jahre | |
weltweit Anerkennung. 1994 hatte sie ihre erste Schau im Pariser Centre | |
Pompidou. Ein Jahr später wurde sie für den renommierten Turner Prize | |
nominiert. Seit einem DAAD-Stipendium 2003 ist sie auch Berlin verbunden. | |
Die jetzige Retrospektive ist nach vielen Jahren die erste | |
Einzelausstellung in Deutschland. | |
26 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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