| # taz.de -- Retrospektive über lesbischen Kunstraum: In Raum und Zeit grätsch… | |
| > Der Westberliner Off-Space „Pelze Multimedia“ räumte ab den 1980ern Platz | |
| > für freie, feministische Kunst ein, wie eine Schau in Frankfurt zeigt. | |
| Bild: Außenansicht des Kunstraums „Pelze“ in der Potsdamerstraße in Berli… | |
| Die Schau wirft ihre Schatten voraus. „Pelze“ prangt nun auf der | |
| Fensterscheibe im Ausstellungsraum Synnika, und „Pelze“ strahlt es am | |
| Eröffnungstag auch von der gegenüberliegenden Hauswand, hinter der sich | |
| heute ein Hotel befindet. Ob hier denn ein neues Pelzgeschäft eingezogen | |
| sei, soll schon ein Ladenbesitzer aus der Nachbarschaft interessiert | |
| gefragt haben. | |
| Nee, nur Kunst. Beziehungsweise Ausstellung. Dabei spielen ehemalige | |
| Pelzgeschäfte in diesem Fall tatsächlich eine schöne Nebenrolle. | |
| Der Projektraum Synnika im Frankfurter Bahnhofsviertel zeigt „Pelze“, eine | |
| Retrospektive des gleichnamigen lesbisch-feministischen Projekts Pelze | |
| Multimedia, das von 1981 bis 1996 in einem von Frauen besetzten Haus in der | |
| Potsdamer Straße in Berlin Quartier bezog. Zur Eröffnung präsentiert | |
| Künstlerin und Mitbegründerin [1][Roswitha Baumeister] eine Bild- und | |
| Tonprojektion, die sie in den vergangenen Jahrzehnten so oder so ähnlich an | |
| verschiedenen Orten dieser Welt aufgeführt hat. | |
| ## Parallelen einst und jetzt | |
| Es gibt einige grundlegende Parallelen: Sowohl der feministische Off-Space | |
| als auch dieser Ausstellungsraum befinden beziehungsweise befanden sich in | |
| einem ehemaligen Pelzhandel. Und auch Synnika, im Erdgeschoss eines | |
| genossenschaftlich verwalteten, selbst organisierten Mietsyndikats, hat | |
| sich die Aneignung des Stadtraums und dessen aktive Mitgestaltung zur | |
| Aufgabe gemacht. | |
| Im Gegensatz zum Frankfurter Projektraum wurde allerdings in Berlin damals | |
| auch drinnen viel geraucht und getrunken. Und Zutritt hatten ausschließlich | |
| Frauen: „Das PELZE-Projekt ist ein Raum für die weiblichen Künste – | |
| Austausch, Inspiration, Aufspüren, Entdecken, Kucken lernen und viel mehr | |
| –, der aus der Inspiration zwischen PELZE und den Interessierten entsteht. | |
| Ladies only“, schrieben seine Macherinnen. | |
| Und man wird sofort hineingezogen in diesen Ort, der hier nur rekonstruiert | |
| werden kann: Wie wohltuend und ungewöhnlich das wirkt, einen expliziten | |
| Kunst-Raum für Frauen zu besetzen! Dort wurden dann nicht nur Lesungen, | |
| Vorträge und Diskussionsabende veranstaltet, sondern auch Ausstellungen von | |
| Künstlerinnen gezeigt und Hörspiele aufgeführt, die ausschließlich von | |
| Protagonistinnen handeln (dies, man merkt es gleich, ist noch heute | |
| ungeheuerlich ungewohnt). | |
| ## Kopfloser Blick | |
| Auch die taz berichtete. 1988 schrieb [2][Katrin Bettina Müller] über | |
| Christiane Kaltenbachs Fotografie-Ausstellung bei Pelze Multimedia – und | |
| der Layouter (die Layouterin?) genehmigte sich den kessen, dabei durchaus | |
| bedenkenswerten Einschub: „Verdammt, warum ist denn immer noch selbst der | |
| weibliche Blick auf den Frauenakt kopflos?“ | |
| Kuratorin Sarah Happersberger lässt ihre Zeitzeugnisse und Zeitzeuginnen | |
| für sich sprechen und arrangiert eher assoziativ– eine gute Entscheidung. | |
| Der weitestgehende Verzicht auf eine einordnende Erzählerin wirkt wohl auch | |
| einer allzu starken Legendenbildung entgegen (wenngleich ein bisschen | |
| Nostalgie durchaus aufkommen kann). Und damit wäre man dann wieder in der | |
| Gegenwart angelangt und der Frage, ob und wie und wo Ähnliches überhaupt | |
| noch möglich wäre. | |
| Ein Selbstläufer, auch das macht diese Archivschau deutlich, war die | |
| Eroberung freier Räume schon damals keineswegs. Etliche Dokumente in der | |
| vertrauten Type elektronischer Schreibmaschinen erinnern an den | |
| Erfindungsreichtum ihrer Verfasserinnen, sich im zunehmend | |
| anforderungsintensiven Verordnungsdschungel der Bundesrepublik | |
| durchzuschlagen. | |
| ## Strategische Verve | |
| Da wurden Anträge auf Bezuschussung getippt, Forderungen formuliert, mit | |
| anarchischem Witz und strategischer Verve Vereine gegründet und bisweilen | |
| auch die Nähe zum Establishment gesucht. Man muss eben auch frech genug | |
| sein. | |
| Geschichte wiederholt sich nicht, so lässt sich auch der subkulturelle, | |
| lesbische Off-Space aus [3][dem Westberlin der 1980er und 1990er Jahre] | |
| nicht einfach so im Hier und Heute reproduzieren. Ebenso kann keine noch so | |
| generöse Stadtpolitik die Zeit zurückdrehen – wenngleich sie natürlich | |
| dafür verantwortlich ist, entsprechende Räume nicht allein dem Investment | |
| feilzubieten. | |
| Einen entscheidenden Hinweis auf das Zusammenwirken von Raum, Zeit und Geld | |
| lieferte Roswitha Baumeister selbst. In dieser Form sei ein Ort wie Pelze | |
| Multimedia heute nicht mehr zu betreiben, erklärte sie 2017 in einem | |
| Interview mit der Siegessäule. „Einmal könnte man die Miete für solche | |
| Räume nicht mehr zahlen. Zum zweiten waren damals unsere privaten Mieten | |
| auch äußerst gering, wir haben für unseren Lebensunterhalt ja nur wenig | |
| Geld gebraucht. Deshalb hatten wir mehr Zeit.“ | |
| Wenn über Freiräume, Lücken und Leerstellen gesprochen wird, dann sollte es | |
| also nicht allein um die physischen gehen. „Pelze Multimedia“. Da war in | |
| jeglicher Hinsicht noch Platz im Raum-Zeit-Kontinuum. | |
| 9 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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