| # taz.de -- Austellung über Tabea Blumenschein: Frau ohne Eigenschaften | |
| > Tabea Blumenschein setzte sich künstlerisch mit dem Erbe des Faschismus | |
| > auseinander. Ihre Gesten waren der Inbegriff des Queeren. | |
| Bild: Tabea Blumenschein spielte mit Identitäten. Hier in Ulrike Ottingers „… | |
| Als Punk schon für tot erklärt war, ich das geteilte Berlin nur von einer | |
| trostlosen Klassenreise kannte, auf der alle krank wurden und ich alleine | |
| in den Royal Palast gegangen war, um mir „Star Wars“ anzugucken, sah ich | |
| zum ersten Mal Tabea Blumenschein. Oder besser: ihr Foto in einem | |
| Zeit-Magazin. Da war ein Bericht über Claudia Skodas Studio Fabrikneu, wo | |
| Kippenberger, Bowie, Iggy Pop, Kraftwerk ein und aus gingen, Musik machten | |
| – und wo Skoda mit Tabea Blumenschein Strickmode designte, die russische | |
| Avantgarde ebenso beschwor wie den Glam von Roxy Music. | |
| Dieser jüdisch klingende Name, Blumenschein, ließ an durchschimmernde | |
| Seelen von Pflanzen denken. In meiner Fantasie verband sich dieses | |
| Poetische mit radikaler Modernität. Die Erscheinung von Tabea ließ an Mae | |
| West oder Marlene Dietrich denken – sie war die New-Wave-Version all der | |
| wasserstoffblonden Hollywood-Göttinnen, die von schwulen Kindern vor dem | |
| Fernseher angebetet wurden. | |
| Ohne es zu ahnen, fasste ich damals den Entschluss, nach Berlin zu gehen: | |
| „Allez – jamais retour“, wie es zu Beginn von Ulrike Ottingers Film | |
| „Bildnis einer Trinkerin“ (1979) heißt. Er machte Tabea nach „Die Betör… | |
| der blauen Matrosen“ (1975) und „Madame X – Eine absolute Herrscherin“ | |
| (1977) endgültig zum Star des Queer Cinema – zu einer Darstellerin, bei der | |
| es verwundert, dass sie niemals bei Fassbinder oder Warhol mitgespielt hat. | |
| Lange bevor Judith Butler postulierte, dass Geschlecht eine performative | |
| Konstruktion ist, spielten Ottinger und Blumenschein mit allen nur | |
| erdenklichen Identitäten und Rollenbildern. Sie entwarfen Looks und Gesten, | |
| die heute der Inbegriff des Queeren sind. Was diese Filme aber so | |
| revolutionär macht, sind Tabeas Entwürfe, die Haute Couture sind: ein | |
| Vogelkleid aus Marabu-Federn, das in seiner Raffinesse an Elsa | |
| Schiaparelli denken lässt, Piratenanzüge aus Leder und Latex, die mit | |
| Claude Montana mithalten können. | |
| Mit derselben körperlichen Präzision bringt sie weibliche Gewalt und | |
| Glamour ins Spiel, etwas wirklich Aufregendes, das den bildungsbürgerlichen | |
| Rahmen sprengt, mehr John Waters als Virginia Woolfs „Orlando“. | |
| Die Szene im Berlin der frühen 1980er glich trotz Häuserkampfs den Salons | |
| des Hochadels in Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Tabea | |
| hatte eine Affäre mit Iggy Pop und eine Liebesbeziehung mit Patricia | |
| Highsmith, sie kam scheinbar überall klar. Sie hatte etwas von einer | |
| Herzogin, die alle miteinander verband: Kippenberger, Vostell, die heftigen | |
| Maler, das Rolex tragende Kunstestablishment in der Paris Bar und im Exil, | |
| die Mode- und Musikszene im Dschungel, die Subkultur im SO36, die | |
| intellektuelle Crowd im Merve Verlag. | |
| ## Die Mandarine von Berlin | |
| Ich verliebte mich in Nikolaus Utermöhlen, der mit Wolfgang Müller [1][Die | |
| Tödliche Doris] gegründet hatte, einen amöbenartigen Hybrid aus Band und | |
| Künstlerprojekt, zu dem damals Käthe Kruse stieß. Tabea, eine Freundin | |
| Wolfgangs, war von Anfang an mit der Gruppe verbunden, hatte für sie Songs | |
| geschrieben, mit ihnen performt. Als ich Doris und sie kennenlernte, waren | |
| sie die Mandarine von Berlin, traten im legendären Kitchen in New York auf | |
| oder gaben ein Konzert auf Helgoland. | |
| Dabei war Tabea schüchtern. Sie wirkte wie eine Projektionsfläche für ihr | |
| Gegenüber. Sie konnte alles sein. Da war eine warholeske Leere, eine kühle | |
| Oberflächlichkeit, mit der sie ein Geheimnis bewahrte, von dem man nicht | |
| wusste, ob es überhaupt existierte. | |
| Eigentlich war sie ein Stummfilmstar. Ihre helle schwäbische Stimme hatte | |
| etwas Ländliches, Deftiges und passte nicht zu ihrer mondänen Erscheinung. | |
| Tabea bemühte sich, bei ihrem Sprechgesang diesen Bruch, den Eindruck des | |
| Dilettantischen, noch zu verstärken. Wenn sie etwas sagte, klang das oft | |
| wie eine Frage oder ein Haiku. Diese Ambivalenz ging verloren, wenn sie | |
| trank, ihre tatsächliche Faszination für Gewalt wurde dann unübersehbar. | |
| 1985 lebte Tabea, die im selben Jahr noch mit ihrer Freundin auf dem Titel | |
| des Stern mit der Headline „Frauen lieben Frauen“ zu sehen war, mit Freddy, | |
| einem szenebekannten Skinhead zusammen. Kurz darauf kam ihr Spielfilm | |
| „Zagarbata“ heraus, in dem Claudia Skoda, Marc Brandenburg, Wolfgang Müller | |
| mitspielten – und die Böhsen Onkelz, die damals als Nazi-Skinhead-Band | |
| galten. Der Film war ein Desaster, vor allem für die Onkelz, auf deren | |
| Website noch heute steht, dies gelte „mit Recht als der schlechteste Film, | |
| der jemals über Punks und Skinheads gedreht wurde“. | |
| Sicher hätte auch jeder Rechte über Tabeas androgyne, schwule und | |
| transsexuelle Skinheadbilder abgekotzt oder über die völkischen Halloween-, | |
| Weihnachts- und Ostermotive, die Trachtenpaare und Barbie-Frauen mit | |
| Brezelfrisuren, die aussehen wie aus einer faschistisch-feministischen | |
| Version des Fantasymusicals „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“. | |
| Tabea war in den 1990ern zeitweilig obdachlos, wohnte mit Sinti und Roma in | |
| einem Heim in Adlershof und zog in einen Plattenbau nach Marzahn. Fast | |
| scheint es, als hätten die letzten Jahrzehnte mit ihrem früheren Werk | |
| nichts zu tun. Doch ihre späteren Selbstinszenierungen, Bücher (wie der | |
| fantastische Band „Das Kreuz der Erfahrung“) und Bilder sind | |
| Weiterentwicklungen eines Identitätsexperiments. | |
| Man muss die frühe Blumenschein als Zeitgenossin von Fassbinder, Pina | |
| Bausch, Kluge, oder Syberberg sehen, dieser Künstlergeneration, die sich | |
| mit dem unbewältigten Erbe des Faschismus und den Traumata der | |
| Nachkriegszeit auseinandergesetzt hat. Ähnlich tief geht auch Tabeas Arbeit | |
| im Hinblick auf weibliche Körper und deutsche Geschichte. Nicht umsonst | |
| spielte sie bei der Tödlichen Doris, also bei einer Gruppe mit, zu deren | |
| Kernwerken eine Konzeptarbeit mit dem Titel „Material für die | |
| Nachkriegszeit“ (1979–80) gehört. | |
| ## Die Rolle des Skinhead-Girls | |
| Die stereotypen Frauenrollen in den Ottinger-Filmen könnten aus | |
| Nachkriegskomödien stammen. In „Madame X“ werden diese Klischees in | |
| surrealen Performances gekapert. Genauso kaperte Tabea die Rolle des | |
| Skinhead-Girls. Sie war die avantgardistische Vorhut für all die | |
| Nazifrauen, die später erblondeten und sich mit Tätowierungen bedeckten. | |
| Nur waren Tabeas Tattoos aufgeklebt, ihr Look ebenso wie ihre Wohnung Teil | |
| einer Performance, die mit Malereien, billigen bunten Klappstühlen, | |
| Plastiktrash im Miami-Hartz-IV-Look gestylt war. | |
| Ihre Besessenheit mit Deutschland trug psychotische Züge. Die Vorliebe für | |
| Feste, Religion, diese Frage, wo man hingehört, was Heimat ist, können mit | |
| Tabeas Kindheit zusammenhängen, die 1952 als Tochter von Aussiedlern in | |
| Konstanz geboren wurde. Manche ihrer psychedelischen Bilder erinnern an die | |
| Trachten der Donauschwaben. Immer wieder hat Tabea in einer an Brecht | |
| erinnernden Sprache über Krieg und Vertreibung geschrieben. Mit ihrer | |
| „Rechtsradikalität“ opponierte sie gegen die liberale Elite, die sie | |
| geprägt hatte, die in ihrer Selbstbezogenheit durch kaum etwas anderes zu | |
| provozieren war. | |
| Während des Berliner Gallery Weekends eröffnet jetzt im Conceptstore Townes | |
| die Ausstellung „Matriarchat Marzahn“ mit Zeichnungen, Fotos, Collagen, | |
| Rank-Xerox-Fibeln, die Tabea, die im März gestorben ist, am Ende ihres | |
| Lebens realisiert hat. Es bleibt zu hoffen, dass eine Stiftung für ihr | |
| geniales, outsiderisches Werk gegründet wird, das seinen absolut | |
| berechtigten Platz in den Institutionen noch finden muss. | |
| 8 Sep 2020 | |
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| [1] /Ausstellung-zur-Toedlichen-Doris/!5659762 | |
| ## AUTOREN | |
| Oliver Koerner von Gustorf | |
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