| # taz.de -- Wolfgang Müller über Westberlin: „Ich war immer nüchtern“ | |
| > Nick Cave war immer auf Koks, erinnert sich der Künstler und Buchautor | |
| > Wolfgang Müller. Das Westberlin der 80er Jahre kommt ihm im Rückblick wie | |
| > ein Therapieplatz vor. | |
| Bild: Hier kann man sich doch eigentlich nur zukübeln: Westberlin, ca. 1979. | |
| taz: Wolfgang Müller, dass Ihr Buch „Subkultur Berlin 1979–1989“ im Jahr | |
| der Maueröffnung endet, erscheint logisch. Aber warum setzen Sie den Anfang | |
| ins Jahr 1979? | |
| Wolfgang Müller: 1979 bin ich nach Westberlin gezogen. | |
| Als Sie in Westberlin ankamen, gab es dort demnach schon Geniale | |
| Dilletanten und Punks. | |
| Sie haben sich gerade formiert, waren aber ein undifferenzierter Haufen aus | |
| Einzelkämpfern. Mir kam Westberlin damals wie ein Therapieplatz vor. Ich | |
| kam aus Wolfsburg in die Stadt und wurde an der Kunsthochschule angenommen. | |
| Das gab mir soziale Sicherheit. Ich brauchte keine Drogen, ich fühlte mich | |
| in Gesellschaft der anderen Randexistenzen schon wohl. Man wusste, es gibt | |
| niemand, der das kommerzialisieren würde. | |
| Vor Punk gab es bereits eine alternative Szene abseits vom Mainstream. Wie | |
| war die? | |
| Provinziell. Es mag Zufall sein, aber David Bowie war der erste | |
| international bekannte Künstler, der 1977 nach Westberlin kam. Bowie war | |
| von Christopher Isherwoods Buch „Goodbye to Berlin“ beeinflusst. Wenige | |
| Hausnummern von Bowies Wohnhaus in der Schöneberger Hauptstraße lag das | |
| „Andere Ufer“, die erste offene coole Schwulenkneipe. Dort trafen sich auch | |
| Blixa Bargeld und Gudrun Gut. Es war ein gemischter Laden, der sich mit | |
| Glamrock und Punk verbunden fühlte. Protoqueer. | |
| Können Sie den Alltag in Westberlin beschreiben? | |
| Er war grotesk, muffig und gleichzeitig frei. Nur passte das alles | |
| überhaupt nicht zusammen. Spießertum, auch was die Politik angeht: SPD und | |
| CDU haben die Pfründe untereinander aufgeteilt, bei Immobilien und | |
| Bankengeschichten. Dann kam eben auch ein Bodensatz aus Leuten, die es | |
| weder in West- noch in Ostdeutschland ausgehalten hatten und sich in dieses | |
| Laboratorium flüchteten. | |
| In Ihrem Buch wird deutlich, dass die Punkszene auch gegen den linken | |
| Mainstream opponierte. Gegen die 68er? | |
| Es gab von links keinen Bezug zu moderner Kunst. Es war für mich nie ein | |
| Widerspruch, einer Subkultur anzugehören und gleichzeitig anzuerkennen, | |
| dass Warhol oder Rauschenberg tolle Künstler sind. Ende der Siebziger zog | |
| sich in die ästhetische Debatte so eine komische moralinsaure Ebene. | |
| Was sahen Sie, als Sie die Frauenband Mania D auf der Bühne erlebten? | |
| Für die Frauen in der linken Szene ging es darum, sich möglichst hässlich | |
| anzuziehen, um für Männer kein Sexobjekt zu sein. Mania D haben genau das | |
| Gegenteil gemacht. Sie haben sich schön gemacht, nicht zwangsläufig für | |
| Männer, auch für Frauen. Das ist der Unterschied. | |
| 1981 gab es eine Tour der Einstürzenden Neubauten und anderer als „Geniale | |
| Dilletanten“ bezeichneten Künstler unter dem Namen Westberliner Krankheit. | |
| Was sagt Ihnen das Motto? | |
| Westberliner Krankheit war mir zu eindeutig. Meine Band Die Tödliche Doris | |
| hat im Gegensatz zu den Neubauten nie die Apokalypse heraufbeschworen. Uns | |
| war auch das Pathos fremd. Man stirbt nicht durch den Weltuntergang, | |
| sondern durch sieben tödliche Unfälle im Haushalt, siehe den Titel unseres | |
| Debütalbums. | |
| Wie erklären Sie sich diese apokalyptische Weltsicht? | |
| Die Neubauten haben die Ruinen und den Trash in Berlin wahrgenommen. Aus | |
| dieser Resterampen-Atmosphäre haben sie sich ein Instrumentarium gebaut. | |
| Das hat der Stimmung schon entsprochen. Gudrun Gut hat gesagt, die Szene | |
| sei ihr zu männerdominiert gewesen. Letztlich waren das ja klassische | |
| Rock-’n’-Roll-Posen. Unsere Band hat sich eher dafür interessiert, die | |
| ganzen Geschlechtergeschichten offensiv anzugehen. | |
| War die Musik der Genialen Dilletanten ein Exorzismus des Faschismus? | |
| Blixa Bargeld war Mitglied der KPD/ML, es war eher der Exorzismus der | |
| K-Gruppen. Natürlich haben diese Instrumentarien, mit denen sie gearbeitet | |
| haben, auch noch den Geist der Nazizeit geatmet. Wenn ich mir das Cover des | |
| Neubauten-Debütalbums ansehe, das Bandfoto vor dem Berliner Olympiastadion, | |
| einem Nazibau, dann ist das gewissermaßen Teufelsaustreibung. | |
| Habe ich Sie in Ihrem Buch richtig verstanden? Durch Punk wurde in Berlin | |
| der queere Underground sichtbarer? | |
| Auf jeden Fall. Damals waren Leute, die man nicht zuordnen konnte, weit | |
| mehr Außenseiter als heute. Neubauten, Malaria oder Tödliche Doris sind | |
| immer noch kein Mainstream. | |
| Na ja, die Neubauten waren ein deutscher Exportschlager und mindestens bis | |
| zur Jahrtausendwende Stammgäste in den Goethe-Instituten im Ausland. | |
| Stimmt. Vor vier Jahren wurde ich nach Los Angeles eingeladen und sprach | |
| zum Thema, ob Die Tödliche Doris die Wiedervereinigung vorweggenommen hat. | |
| Wir haben 1982 vor der Mauer ein Video gedreht, haben sie unsichtbar | |
| gemacht und Ost- und Westberlin vereint. | |
| Hatten Sie Kontakte in den Osten? | |
| Wenn es hier ab 1983 im Westen ausdümpelte, entwickelte sich im Osten | |
| wieder eine interessante Szene. Mehrere DDR-Moderatoren haben unsere Songs | |
| im Radio gespielt. Die haben die Platten ins Land geschmuggelt. Wir haben | |
| beim größten alternativen Musikfestival 1987 in Warschau vor 4.000 Leuten | |
| gespielt. Es herrschte damals Kriegsrecht und wir wurden nicht zensiert. | |
| Die Londoner Punkband The Vibrators lebte 1978 in Berlin, in den Achtzigern | |
| waren Australier, Amerikaner und Kanadier in der Westberliner Musikszene | |
| aktiv. Warum erwähnen Sie die nicht in Ihrem Buch? | |
| Wenn, dann hatten sie einen Einfluss, der mich nicht so interessiert. Die | |
| Berliner Bar „Risiko“ wurde durch Nick Cave und seinen Existenzialismus | |
| machomäßiger. Das kann man musikalisch mögen, aber ich fand das nicht | |
| wirklich innovativ. Innovativ waren queere Sachen wie David Bowie. | |
| Wie haben Sie die zweite Hälfte der Achtziger in Erinnerung? | |
| Es gab 1983/84 einen Bruch, plötzlich war die Energie weg. Ich glaube, die | |
| Kulturindustrie hat sich bestimmte Themen aus der Subkultur rausgegriffen. | |
| Das „Risiko“ hat sich verwandelt, ab dem Moment, als Drogen eine größere | |
| Rolle spielten, durch Nick Cave und diese ganze Szene. Die war sehr | |
| konventionell und männlich. Herrenabende sind nicht so mein Ding. Gudrun | |
| Gut und Tabea Blumenschein waren wichtiger als Nick Cave. Cave war auf | |
| Koks, ich war immer nüchtern. | |
| Punk in Westberlin ist auch eine Geschichte des Scheiterns, von Leuten, die | |
| vor langer Zeit verschwunden sind, die gestorben sind. Das fehlt in Ihrem | |
| Buch. | |
| Das ist eine sehr romantische Idee von Punk und ein sehr | |
| männlich-existenzialistisches Konzept dazu. Menschen, die im Buch vorkommen | |
| und die ich noch persönlich kannte, sind tatsächlich erst in den zwei | |
| Jahren gestorben, während ich das Buch schrieb – allerdings relativ | |
| unspektakulär. | |
| 27 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
| Julian Weber | |
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