# taz.de -- Neues Album von David Bowie: Kein vorzeitiger Samenerguss | |
> Auf David Bowies neuem Album „The next Day“ geht es nicht um die Musik, | |
> sondern um die Selbstinszenierung. Und die funktioniert perfekt bei | |
> Facebook. | |
Bild: Der Beweis: Schöne Männer können in Würde altern. | |
„Oh! Oh! Ooooooh! (Die neue Bowie-Single)“, postet Moritz von Uslar (Die | |
Zeit, KiWi-Verlag), war auch schon mal eloquenter. „Nürnberger Strasse!“, | |
schreibt Thorsten Groß (Spex), „Potzdamer Platz!“ antwortet Joachim | |
Hentschel, er hat die Bowie-Titelstory im Rolling Stone geschrieben. | |
Wie die Nürnberger Strasse wird der ebenso falsch geschriebene Potzdamer | |
Platz in „Where are we now“ erwähnt, im Video läuft der Text mit, auch die | |
Worte „Dschungel“– Bowies alte Stammdiskothek – und „KaDeWe“ fallen… | |
Bilder aus dem Westberlin der Mauerzeit. Aber wem erzähle ich das? | |
Gibt es noch Leute, die „Where are we now“ noch nicht gesehen haben? Und | |
„The Stars are out tonight“, das neue Video mit Tilda Swinton und zwei | |
androgynen Lookalikes des jungen Bowie. Der Tumblr-Blog „That Tilda And | |
Bowie Are One Person“ liefert Indizien für die These, Swinton und Bowie | |
seien ein und dieselbe Person. | |
Zurück zur Bowiemania bei [1][Facebook]. „Ich will keine Kritik lesen. Nur | |
Begeisterung“, fordert Imran Ayata (Kiwi Verlag), Rainald Goetz (Suhrkamp | |
Verlag) paraphrasierend: „Es gibt keine andere vernünftige Weise über Pop | |
zu reden, als hingerissen auf das Hinreißende zu zeigen, hey, super.“ | |
Super am neuen Bowie ist nicht die Musik. Wen interessiert die? Super ist | |
das Making-of, die Inszenierung der Bowie-Dämmerung. Ein Hype der neuen | |
Art, sowas geht nicht ohne Facebook. Im Herbst wurde ein Foto gepostet, | |
Bowie in Jeans und Pulli an der Straße, er winkt ein Taxi herbei. Der | |
Existenzbeweis. Aufatmen im Freundeskreis nach all den Gerüchten. Bowie sei | |
krank, womöglich todkrank. Nein, er lebt und zeigt, dass schöne Männer | |
nicht altern müssen wie Depardieu und Berger. | |
## Ganz in Moll | |
Dann der 8. Januar, Bowies 66. Geburtstag. Plötzlich ist es da: das Video | |
zu „Where are we now“. Nicht vorab geleakt, keine ejaculatio praecox, was | |
für ein Coup. Der Clip, eine melancholische Reminiszenz an seine Berliner | |
Zeit, ganz in Moll, tausend Tränen tief. Kitsch? | |
Nein, Hey, super! sagen alle und sind total gerührt. Dass „Where are we | |
now“ wie „The Stars are out tonight“ mehr oder weniger originelle | |
Selbstplagiate sind, tut dem Bowiehype keinen Abbruch, im Gegenteil: es ist | |
konstitutiv für die Euphorie. Erst Bowies Selbstplagiat ermöglicht seinen | |
Fans das kathartische Erlebnis des Wiedersehens. | |
In der von Imran Ayata geforderten und allseits zelebrierten Begeisterung | |
schwingt die Erleichterung mit, dass man den so lange Abwesenden, womöglich | |
Todgeweihten, wiedererkennt, zwar älter geworden, aber doch ganz der Alte, | |
auch musikalisch. | |
Hätte Bowie – was mal seine Stärke war – sich mit Musikern zusammengetan, | |
die ihm voraus sind, ihm Impulse geben, hätte er ein Album produziert, das | |
nach 2013 klingt. Die Reaktionen wären so indifferent ausgefallen, wie bei | |
seinen halbherzigen Versuchen dem System Bowie, sagen wir, Drum & Bass | |
einzuverleiben. | |
## Die Ikonografie | |
Stattdessen spielt er visuell auf seine Berlin Trilogie an – die | |
bahnbrechenden Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“ entstanden mit Ro… | |
Fripp und Brian Eno. Er geht sogar so weit, sein neues Album in das | |
ikonische Cover von „Heroes“ zu packen: Über Bowies Hero-Kopf prangt ein | |
weißes Schild, darauf in schwarzer Schrift: The Next Day. Sonisch setzt er | |
auf soliden Senioren Glamrock, zuverlässig produziert von Tony Visconti, | |
Bowies ewiger Hansi Flick. Eine „Apologie des ehrlichen Rock“ bejubelt die | |
FAZ, nun ja, wenn es das ist, was man von Bowie erwartet; verlogener | |
Dubstep hätte besser gepasst. | |
Bei Facebook hingegen gibt das Video zu „Where are we now“ den Anstoß zu | |
einer faszinierenden medialen Kollektivpraxis, der sich vor allem Männer | |
widmen. Eine Art selbstreferentielle Massenhysterie, oder, mit Lacan | |
gesprochen, ein ins Präsenile verschobenes Spiegelstadium als Bildner der | |
Ich-Funktion: Bowie posten und sich selbst zu Bowie in Bezug setzen, sich | |
selbst und die eigene Geschichte spiegeln in Bowiegeschichte, sich wieder | |
erkennen in Bowie. | |
„Das war glaube ich sein letztes großes Lied“ schreibt Detlef Kuhlbrodt | |
(taz, Suhrkamp Verlag) und postet auf Facebook „I’m deranged“. „The | |
Laughing Gnome“ mag er „viel lieber als ’Heroes‘“, worauf Robert | |
Stockhammer (Freie Universität Berlin, Suhrkamp Verlag) erleichtert | |
erwidert „dass wir uns mal in einem zur Bowieistik gehörigen Punkt einig | |
sind…!“ „Hab mich nicht bis zur Nürnberger 50 getraut. Als jemand, der n… | |
im Dschungel war, möchte ich erst gar nicht wissen, was da jetzt ist“, | |
wirft Dirk Peitz (Die Welt, Musik-Express) ein. Darauf Thomas Meinecke (Die | |
Band FSK, Suhrkamp Verlag), einfühlsam: „verstehe. ich war in frankfurt | |
auch nie wieder in der lindenstraße.“ | |
Am Freitag dann der Stream bei iTunes, erste Meldung von Holger Liebs | |
(Monopol-Chefredakteur): „Meine Favoriten bis jetzt: ’Valentine’s Day‘ … | |
das hier: ’You will set the world babe, you will set the world on fire / I | |
can work the scene babe, I can see the magazines‘“. | |
## Die Gala der Kunsthefte | |
Ja, kein Magazin ohne Bowie-Cover, auch nicht Monopol, die Gala unter den | |
Kunstheftchen. Liebs postet das Cover gleich mit, maximale Ranschmeiße: | |
„Dieser Mann hat unser Leben verändert. Wie? Mit Stil. Ein Mode-Special.“ | |
Stil? „God only knows“ ruinieren in Karottenjeans? „Dancing in the street… | |
hinrichten mit dem rammdösigen Jagger. Thin White Gockels in Fiorucci – | |
bonbonfarben? | |
Das letzte relevante Bowiealbum stammt von 1980 und schon „Scary Monsters“ | |
pendelt zwischen Selbstmythologisierung und Selbstplagiat. Aber es geht | |
nicht um Musik bei der Bowieistik. Es geht um Bilder. Video ergo sum – Ich | |
sehe, also bin ich. Hey, super, die Hauptstraße 155 in Schöneberg! Bowies | |
Wohnung, Iggy Pop im Hinterhaus, gemeinsam produzierten sie Iggys Pendants | |
zur Berlin Trilogie, „The Idiot“ und „Lust for life“. | |
Auch die alten Medien spielen mit, Die Zeit räumt ein halbes Magazin frei | |
für Fotos von Iggy in Berlin 77. In der retrospektiven Verklärung sind | |
plötzlich alle schon damals Fans von Bowie & Iggy gewesen – auch | |
diejenigen, die Bots und Barcley James Harvest gehört haben. Man kennt | |
diesen Adabei-Effekt vom ersten Konzert der Sex Pistols 1975 in einer | |
kleinen Londoner Kunstschule. Wären alle, die das später behauptet haben, | |
tatsächlich dort gewesen, sie hätten Wembley ausverkauft. | |
8 Mar 2013 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Walter | |
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