# taz.de -- Neues Album von The Sea And Cake: An den Quellen des reinen Sounds | |
> Die Band The Sea And Cake aus Chicago kommt für drei Konzerte nach | |
> Deutschland. Das passiert nicht so oft. | |
Bild: Klingen nach Chicago: offen, freundlich, aber mit Biss. The Sea and Cake. | |
Wenn Sam Prekop über die Entstehungsweise seiner Musik spricht, benutzt er | |
gerne Metaphern aus dem Bereich der bildenden Künste. | |
Vom Fertigstellen eines Bildes mittels Sound ist da die Rede, die Farben | |
aufgetragen mit einem neuen, triefenden Pinsel. Was Musik anbelangt, | |
puzzelt Sam Prekop zunächst im Heimstudio an neuen Songideen herum. Später | |
nehmen seine Bandkollegen das Material im Übungsraum auseinander und setzen | |
es neu zusammen, erweitern es. In einem Song von The Sea and Cake sind, wie | |
in einem gelungenen Gemälde, immer neue Details zu entdecken: verschüttete | |
Melodien, Klangfarben, die sich aus dem Zusammenspiel ergeben. | |
Prekop, Absolvent der Kunsthochschule Art Institute of Chicago, gestaltet | |
Bilder und Fotografien, die auch die Cover der Alben von The Sea and Cake | |
zu Kunstwerken machen. Sie sind formstreng und zugleich leicht komponiert. | |
Den eher kleinformatigen Ölbildern – die in Deutschland erstmals 2008 in | |
der Hamburger Galerie Durstewitz Sapre zu sehen waren – haftet eine | |
impressionistische Luzidität an, die auch in der Musik von „Runner“ | |
durchschimmert, dem neuen Album von The Sea and Cake, der Band, der Sam | |
Prekop als Sänger und Gitarrist den unverwechselbaren Klang verleiht. | |
The Sea and Cake sind in Chicago verankert, wo sie in den neunziger Jahren | |
zusammen mit Tortoise und Gastr Del Sol einen Sound begründeten, der dann | |
als Postrock um die Welt ging. Befreit vom Ballast der Machogesten und | |
Rockklischees wendeten sich The Sea and Cake den Quellen des reinen Klangs | |
zu und erschufen eine Popmusik, die dem Charakter ihrer Heimatstadt | |
entspricht, freundlich, offen, pulsierend. Aber dennoch mit Biss. Bis heute | |
veröffentlicht The Sea and Cake ihre Alben auf dem unabhängigen Label | |
Thrilljockey, von der Aufnahme bis zur Covergestaltung, alles entsteht in | |
Eigenregie. Bis heute weigert sich die Band auch, Singles zu | |
veröffentlichen. Das Album hat für ihre Entwürfe eben die perfekte Länge. | |
## Flaneur im Sauseschritt | |
Wie ein Flaneur im Sauseschritt nimmt „Runner“ die Hörer mit durch die | |
sonnendurchflutete Stadt. Der Paukenschlag aus Gitarren gleich zum Auftakt | |
des ersten Songs „On And On“ ist ein mundöffnender Weckruf. Stehende | |
Gitarrenakkorde werden von John McEntires geradlinigem Schlagzeug, das nach | |
einem mit verbeulten Reißzwecken ausgekleideten Leichtmetallschuhkarton | |
klingt, entspannt vorangetrieben. Darüber segelt wie ein Raubvogel die | |
beängstigend sanfte Stimme Sam Prekops. Er entwickelte die Musik zunächst | |
an Synthesizer und Sequencer als Rohfassung. | |
Auch wenn es die elektronischen Partien nicht immer in den fertigen Song | |
schaffen, ihr Einfluss bleibt stets hörbar. So seien Melodie und Struktur | |
von „Harps“ undenkbar ohne die Möglichkeiten der elektronischen | |
Gerätschaften, erläutert Prekop. Der besondere Reiz von „Harps“ liegt denn | |
auch darin, dass die Gitarren Kaskaden aufführen, wie sie sonst eher | |
Tasteninstrumenten zugedacht sind – aber nicht im kunsthandwerklichen | |
Gniedelsinne, sondern auf eine luftige, flirrende Weise, die einen | |
perfekten Spätsommertag heraufbeschwört. | |
## Ätherische Erdung | |
Das, obwohl der Text den Eindruck des Arrangements konterkariert und ein | |
grau verhangener Tag mit verhinderter Liebe beschrieben wird. Bevor Prekop | |
die Songs mit seiner geradezu ätherischen Stimme erdet, geben die meist | |
ausgedehnten Intros den Hörern den Raum, sich auf eigene Faust in der | |
Soundlandschaft umzusehen, Gedanken zu haben, sie aber einfach mal nicht zu | |
verfolgen. Mitunter kann es vorkommen, dass man sich schon auf verlorenem | |
Posten fühlt, wie etwa bei „Four Corners“, dem ersten Song des Albums „O… | |
Bedroom“ von 2002. Dort mogelt sich Prekops Stimme erst nach gut drei | |
Minuten in ein treibendes Instrumentalstück, nur um nach einer weiteren | |
Minute wieder von einem Ufo abgeholt zu werden und unter dem Sound | |
abzutauchen. | |
Die Songs von „Runner“ vereinen Gegensätze ganz selbstverständlich. „Ha… | |
Bridges“, laut Prekop der erste Song, zu dem ihn seine beiden Kinder | |
inspiriert haben, klingt melancholisch und trotzdem lieblich, erwartend und | |
zugleich blauäugig. Und dem nach achtziger Jahren riechenden, | |
nordenglischen Darkwave heraufbeschwörenden Basslauf von „Neighbors and | |
Townships“ wird ein zeitlos-elegantes Mäntelchen angezogen. | |
## Abwesende Posen | |
Diese im Pop fast schon verpönte völlige Abwesenheit der aufgemantelten | |
Pose und die aufreizende Leichtigkeit mag auch von dem weiten Raum rühren, | |
der zwischen den vier Musikern ist. Prekop widmet sich neben der Kunst | |
regelmäßig abstrakter Elektronik und veröffentlicht von Zeit zu Zeit | |
Soloalben. Zuletzt hat er den Soundtrack für den Film „Pavillon“ | |
komponiert. Der andere Gitarrist, Archer Prewitt, unterhält auch ein | |
Soloprojekt und zeichnet hauptsächlich Comics, für die er schon mehrfach | |
mit Preisen bedacht wurde. Schlagzeuger John McEntire, inzwischen ein | |
hochdotierter Produzent, ist mit seiner Band Tortoise ebenfalls | |
erfolgreich. Schließlich Bassist Eric Claridge, der sich auch als | |
Illustrator und Maler einen Namen gemacht hat. Einige Cover-Illustrationen | |
von The Sea and Cake stammen von ihm. | |
Angstschürende Abhängigkeiten sind bei dieser künstlerisch vielfältig | |
aufgestellten Konstellation also Fehlanzeige. Wenn von den vier Musikern | |
aus Chicago ein neues Album ersonnen wird, geht es allein um die Musik. | |
Geht es darum, die Grenzen von Genres spielend zu überwinden. Mit „Runner“ | |
stellen The Sea and Cake diesen Künstlerethos nochmals auf äußerst elegante | |
Weise in den Dienst von Hooklines und Stimmungen. | |
## The Sea and Cake : „Runner“ (Thrill Jockey/Rough Trade) | |
24 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Sylvia Prahl | |
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