# taz.de -- Experimente am Synthesizer: Oszillierender Synästhetiker | |
> Songs zu Sinuswellen: Der Chicagoer Künstler Sam Prekop und sein | |
> beeindruckendes Elektronik-Album „The Republic“. | |
Bild: Nur echt mit Wollmütze: Sam Prekop. | |
Sam Prekops Homestudio stellt man sich vor wie einen riesigen Zauberkasten. | |
Dieser Kasten sieht ein bisschen so aus wie eine der ersten frei | |
programmierbaren Rechenmaschinen aus den vierziger Jahren, raumgreifend und | |
auf eine seltsam gleichgültige Art weltbezwingend. Ein im Vergleich zur | |
Maschine klein wirkender Mensch dreht an einer unüberschaubaren Vielzahl | |
von Knöpfen und wechselt souverän zwischen Filtern, Modulen und | |
Steckverbindungen. | |
Hätte Prekop nicht die für ihn charakteristische Wollmütze auf, sähe man, | |
wie selbst das kurz geschorene Haar von all der Steuerspannung elektrisch | |
aufgeladen in alle Richtungen steht. Eine Sinuswelle, anerkennend auch | |
„Atom aller Klänge“ genannt, brummt aus dem Zauberkasten. Der Mensch mit | |
der Wollmütze nickt zufrieden. | |
In Sachen Schönheit kann es kaum etwas mit einer reinen Sinuswelle | |
aufnehmen. So weit die Vorstellung. Der Zauberkasten ist ein selbst | |
gebauter Modular-Synthesizer, und Sam Prekop – hierzulande insbesondere als | |
Frontmann der Postrock-Institution The Sea And Cake bekannt –weiß diesem | |
retrofuturistischen Instrument auf seinem neuen Soloalbum „The Republic“ | |
wahre Klangwunder zu entlocken. | |
Mit Erstaunen und deutlichem Widerspruch muss man denn auch denen begegnen, | |
die sich bei Erscheinen des Albums enttäuscht zeigen angesichts der | |
Tatsache, dass Prekop nach dem Vorgänger „Old Punch Card“ (2010) abermals | |
ein ausschließlich instrumental-synthetisches Werk aufgenommen hat, anstatt | |
seinen eigenen Gesang und das zweifellos vorhandene Gespür für einprägsame | |
Pop-Melodien in den Vordergrund zu stellen. Denn „The Republic“ ist die | |
logische Konsequenz aus Prekops vorangegangenen Alben – solo und mit Band. | |
Es führt weiter, was bei aller stilistischen Vielfalt beinahe jede Arbeit | |
Prekops bislang ausgemacht hat: die Verbindung von Melodie und Experiment, | |
von Pop und Improvisation; die Offenheit und das In-der-Schwebe-Halten von | |
Stücken; das Ausbrechen aus vermeintlich vorhersehbaren Songstrukturen. | |
## Hörbarer genetischer Code | |
All dies ist auch in den 15 Synthesizer-Sequenzen des neuen Albums noch | |
implizit präsent, aber der konsequente Einsatz von Klangsyntheseverfahren | |
überführt Prekops Kompositionsqualitäten gewissermaßen in andere | |
Dimensionen, hebt sie auf eine neue Ebene und macht auf wundersame Weise | |
den genetischen Code hinter diesen Qualitäten zumindest für Momente hörbar. | |
Hier hat jemand offensichtlich sein Instrument der Stunde gefunden. Fünf | |
Jahre nach „Old Punch Card“ ist Sam Prekop endgültig „Synthesist“. „… | |
Republic“ lebt vom Fragmentarischen. Beim Hören wirkt es, als befände man | |
sich mitten auf dem Ozean und würde durch kleine Bullaugen auf unglaubliche | |
Gewässer schauen. Doch kaum fixieren die Augen einen bestimmten Punkt, | |
verschwindet dieser und die Aufmerksamkeit wird auf einen anderen gelenkt. | |
Die einzelnen Tracks oder Sequenzen haben weder Anfang noch Ende. Man wird | |
mitten in eine hochinteressante Geschichte geworfen und wieder aus ihr | |
herauskatapultiert, bevor man noch sicher weiß, um was für eine Erzählung | |
es sich dabei denn handeln könnte. | |
Die Musik schürt Erwartungen, öffnet sich harmonisch, um sich gleich darauf | |
wieder ins Dissonante zurückzuziehen. Dieses ständige Oszillieren | |
entwickelt über Albumlänge eine beeindruckende Sogwirkung und hinterlässt | |
eine rührende, weil unbestätigte Ahnung von etwas. | |
Die erste Hälfte des Albums war ursprünglich für die gleichnamige | |
Videoinstallation des in Chicago lebenden Künstlers David Hartt geschrieben | |
worden und zum ersten Mal 2014 in der David Nolan Gallery in New York zu | |
hören (und zu sehen). Prekop selbst ist auch als Maler und Fotograf | |
bekannt. Das Verschränken von Visualität und Musik hat sich in seinem | |
gesamten Werk niedergeschlagen, und zwar weit über die Gestaltung der | |
eigenen Plattencover hinaus. Das wird in seinen aktuellen Klangsynthesen | |
vielleicht am bislang deutlichsten. „Synthese“ und „Synästhesie“ liegen | |
offensichtlich nicht nur lautlich nah beieinander | |
9 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Ebba Durstewitz | |
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