| # taz.de -- Sphärenmusik von Prekop und McEntire: Transzendentalismus mit Haus… | |
| > Die US-Postrockprotagonisten Sam Prekop und John McEntire zollen mit | |
| > ihrem elektronischen Album „Sons Of“ dem House-Sound Chicago Anerkennung. | |
| Bild: Schalten und Walten mit Musik aus Strom: John McEntire und Sam Prekop | |
| Zwei dünne schwarze Katzen lagern auf einer riesigen weißen Waschmaschine. | |
| Ein Tier lehnt an deren silbriger Armatur, beide schauen alert Richtung | |
| Kamera. Irritiert sie die Person, von der sie abgelichtet werden? Oder | |
| elektrisiert die beiden Haustiere das Klick-Skrit-Skrit des Fotoapparats, | |
| als sein Auslöser gedrückt wird? Fühlen sie sich wohl, weil die Wärme, das | |
| Schleudern der Maschine abstrahlt? | |
| Weder Schrift noch grafische Eingriffe durchkreuzen diesen eleganten | |
| Schnappschuss, der zum Frontcover von „Sons Of“ wurde, dem neuen Album des | |
| US-Duos Sam Prekop und John McEntire. „Washing Machine“ hieß 1986 ein | |
| stilprägender Track des Chicago-House von Mr. Fingers. Housesound war auch | |
| für Postrock wichtig, einer Szene, zu der Prekop und McEntire zählen. | |
| Beide sind als Mitglieder der Chicagoer Band The Sea & Cake eingeführte | |
| Größen. McEntire spielt auch Drums bei der befreundeten Band [1][Tortoise]. | |
| Prekop veröffentlicht zudem Soloalben. Der Künstler:Innenkreis lebt | |
| allerdings inzwischen verstreut. McEntire etwa arbeitet als Produzent in | |
| Portland, Oregon. „Sons Of“ ist tatsächlich ihr Debütalbum als Duo. | |
| Die Musik besteht aus vier langen Tracks. Die Idee für diese entstand 2018 | |
| in Berlin, als Sam Prekop und John McEntire zum Festival „Synths and Drums“ | |
| eingeladen waren. Anders als im Bandkontext programmierte McEntire dafür | |
| elektronische Beats und spielte sie an einem Pad auf der Bühne live. Eine | |
| Form von Klangerzeugung, gegen die sich Prekop früher gesperrt hat. | |
| ## Beats auf Pads | |
| Der Albumtitel „Sons Of“ verweist auf einen gleichnamigen Song von | |
| [2][Scott Walker], dessen Urfassung wiederum ein Chanson von Jacques Brel | |
| ist. Auch die elektronische Musik von Prekop und McEntire folgt einer | |
| zweiten Ordnung. Die beiden Künstler interpretieren Klangmuster, wie sie | |
| oftmals mit dem elektronischen Dancefloor assoziiert werden, und überführen | |
| diese in ein transzendentales Gesamtrauschen. | |
| Dem Oberflächenreiz und der operativen Schnelligkeit von Dancefloor werden | |
| Klangtiefe und Resonanz hinzugefügt, ohne dass es überfrachtet wirkt. Als | |
| würde Michelangelo Antonioni einen Film über Deephouse drehen. „Die | |
| Ambivalenz des Albumtitels, die unbeantwortete Frage, die aus der | |
| unvollständigen Formulierung ‚Sons Of‘ folgt, kommt unserer Arbeitsweise | |
| nahe“, erklärt Prekop. „Wir lassen Rätsel unaufgelöst stehen und spielen | |
| mit deren offenen Enden weiter. Zunächst ergibt sich aus ‚Söhne von‘ | |
| keinerlei höherer Sinn. Je länger man den Titel betrachtet, desto | |
| mysteriöser klingt er.“ | |
| ## Klangfarben-Pow-Wow | |
| Das In-your-face-mäßige von elektronischem Dancefloor wird in den Händen | |
| der beiden Künstler zum abstrakt-expressionistischen Klangfarben-Pow-Wow. | |
| Es swingt zeitversetzt und etwas verschachtelter als die Norm, gelassen, | |
| bisweilen geisterhaft kommt diese Musik daher. Obwohl die Beats | |
| schnurgerade sind, sind sie quasi dreidimensional inszeniert, als flögen | |
| sie im Dreieck über die Hooklines und Melodien hinweg. | |
| Straightness wird so der Boden unter den Füßen weggezogen. Grundlage der | |
| Aufnahmen sind livegespielte Basictracks, die per Clickspur eingespielt | |
| wurden, um Tempo und Feeling der Musik zu synchronisieren. | |
| „Von da aus haben wir weiter arrangiert und darüber wiederum improvisiert. | |
| Es ist ein Geben und Nehmen. John hat alle Beats produziert. Sie sind | |
| etwas, dem ich mich zuvor verweigert habe. Ich habe befürchtet, dass | |
| elektronische Rhythmen meinen Klangraum einschränken und ihn stets mit | |
| anderen Patterns ausgefüllt. Bei der Produktion an meinem Album | |
| ‚[3][Comma]‘ habe ich dann festgestellt, dass sie den Klängen drumherum | |
| sogar größere Freiräume gewähren. Dadurch habe ich verstanden, nicht alle | |
| Sounds, die ich benutze, müssen notwendigerweise tonal sein. Etwas, was ich | |
| im Zusammenspiel außerdem mit John gelernt habe: Es gelingt besser, wenn | |
| ich reduzierter spiele, genau hinhöre und reagiere.“ | |
| ## Fliehkräfte beim Ausfaden | |
| Das rund zwanzigminütige Herzstück des Albums „A Yellow Robe“ ist so eine | |
| schwimmende Rettungsinsel, die im offenen Soundmeer weiter mäandert und | |
| sogar noch beim Ausfaden Fliehkräfte entwickelt. | |
| Nun könnte man auf die Idee verfallen, die reine Ästhetisierung und | |
| handwerklich gewiefte Ausgestaltung dieser instrumentalen, wurzellos | |
| kosmopolitischen Sphärenmusik sage ja gar nichts mehr aus über die | |
| verkackte Welt, in der sie entsteht, gerade in solchen Zeiten, in denen | |
| manchen schon deren baldigen Untergang kommen sehen. | |
| Sam Prekop kratzt sich am Kopf. „Wenn ich Musik mache, klar, dann ist das | |
| auch eine Form von Eskapismus, aber er bringt mir Freude. Gerade auch, wenn | |
| darin Schwierigkeiten auftauchen, diese zu lösen, spornt mich an. Wenn ich | |
| jetzt damit aufhören würde, um mir Sorgen über den schlechten Zustand der | |
| Welt zu machen, wem soll das was bringen? Vielleicht mache ich weiter, weil | |
| ich mich für meine Fans und die Community verantwortlich fühle, und sei es | |
| nur, damit ich sie wenigstens ein bisschen davon ablenke, sich Gedanken | |
| über die Apokalypse zu machen.“ | |
| Die House-Katzen auf der „Washing Machine“ sind verschwunden. Klick, | |
| Skrit-Skrit. | |
| 25 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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