| # taz.de -- Konzert von Suzanne Ciani in Berlin: Ihre gleitenden Hände | |
| > US-Synthesizerpionierin Suzanne Ciani bringt bei ihrem Konzert am Freitag | |
| > in der Berliner Trauma-Bar die Sounds zum Schweben, Glucksen und Hämmern. | |
| Bild: Suzanne Ciani in ihrem Labor in Berkeley | |
| Der Sound, hat die US-Synthesizerpionierin Suzanne Ciani einmal gesagt, | |
| müsse sich bewegen. Es ginge ihr darum, wie er sich bewege, nämlich so, wie | |
| es nur elektronische Musik könne, ohne die physischen Grenzen analoger | |
| Instrumente, ohne Atempausen oder Ähnliches. Cianis | |
| Synthesizerpompositionen bewegen sich tatsächlich, gemeinsam mit ihr, mit | |
| den Händen der Künstlerin, sie tanzen quasi miteinander. | |
| Ihr Publikum tut das in der Regel nicht. Cianis Musik ist keine, bei der | |
| sich ein treibender Rhythmus aufdrängt und in die Beine geht, dafür aber | |
| regt sie den Geist an, versetzt ihn anstelle des Körpers in Wallung. Sie | |
| kreiert Musik zum Augenzumachen, damit sie ohne visuelle Ablenkung noch | |
| tiefer eindringt, physisch spürbar wird. Bringt Kissen und Decken mit, | |
| hatte die Veranstalterin von Cianis Berliner Konzert, am Freitagabend in | |
| der Trauma Bar in Moabit, gepostet. Restlos ausverkauft war die | |
| Performance, dicht an dicht kauerte man auf dem Gummiboden, um ihrem | |
| 45-minütigen Set zu lauschen, wie immer quadrofonisch im Raum übertragen. | |
| Suzanne Ciani ist eine Ikone der elektronischen Musik. Geboren 1946, begann | |
| sie im Kindesalter eine musikalische Ausbildung am Klavier, in Berkeley | |
| schloss sie 1968 ein Masterstudium in Komposition an, lernte dann Don | |
| Buchla kennen, den Erfinder des nach ihm benannten Synthesizers. Der Buchla | |
| 200 wurde auch zu „ihrem Instrument“. Sie nutzte es künstlerisch, aber auch | |
| kommerziell, nahm damit Werbejingles auf, beispielsweise den Sound, den | |
| Coca-Cola-Flaschen beim Öffnen und Ausschenken machen, arbeitete für Film | |
| und TV, freilich nur, um ihre freien Kompositionen zu finanzieren. | |
| ## Verzerrte Stimmen | |
| Auf Cianis YouTube-Kanal kann man sich einen Ausschnitt aus einer | |
| David-Letterman-Show von 1980 ansehen, der eindrücklich die öffentliche | |
| Wahrnehmung von elektronischer Musik und die konzeptuelle elektronische | |
| Musik von Suzanne Ciani wiedergibt. Ciani, mit mädchenhaften Zöpfen und | |
| bonbonfarbenem Achtzigerjahre-Outfit, führt in dem Video einem ungläubig | |
| dreinblickenden TV-Anchorman ihren Synthesizer vor, lässt ihrer beider | |
| Stimmen verzerren und per Computer Sounds erzeugen. | |
| Wenn Ciani live spielt, improvisiert sie, lässt den Klang weich schweben, | |
| dann wieder hämmern, vor sich hin glucksen und anschwellen. Alles | |
| gleichzeitig zu bedienen, alle Regler, alle Knöpfe, ist nicht möglich, | |
| Unregelmäßigkeiten gehören dazu, Zufall spielt immer mit. Es ist eben das, | |
| dieses Unverfälschte, Imperfekte, Menschliche, wenn man so will Emotionale, | |
| was ihre Musik und sowieso analoge modulare Synthesizer für Musiker*innen | |
| und Hörer*innen heute wieder interessant macht. | |
| Erst im Juni wurde mit „Flowers of Evil“ eine neue EP veröffentlicht, | |
| Cianis auditive Annäherung an Charles Baudelaires Lyrik, aufgenommen im | |
| Jahr 1969, als sie gerade Unterricht bei Buchla an dessen Instrument | |
| genommen hatte. Cianis Musik – das trifft auf ihre Alben zu, aber mehr noch | |
| auf ihre Konzerte – lebt von der engen Beziehung der Musikerin zu ihrem | |
| Instrument. | |
| ## Im Kabelgewirr | |
| Schade ist es deshalb fast, Cianis Gesicht am Freitag nicht dabei | |
| beobachten zu können, wie sie aus ihrem Instrument die Töne herauskitzelt. | |
| Beim Spielen drehte sie ihrem Publikum den Rücken zu. Blieben jedoch ihre | |
| Hände, Hände, die sich durchs Kabelgewirr winden, umstöpseln, Knöpfe | |
| drehen, auf Tasten herumdrücken, wie sie über ihr Touchpad gleiten und | |
| sanft berühren. Es ist wie eine zweite Ebene der Performance, ihr visueller | |
| Part, den man nur mitbekommt, wenn man die Augen gerade nicht geschlossen | |
| hält. | |
| 29 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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