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# taz.de -- Doku über Synthesizerpionier Subotnick: „Musik ist die Sache“
> Ein Dokumentarfilm porträtiert den US-amerikanischen Synthesizerpionier
> Morton Subotnick. Er spricht über Gesten als Kommunikation und den
> Holocaust.
Bild: Morton Subotnick Anfang November 2022 in Berlin
taz: Herr Subotnick, am Ende des Dokumentarfilms „Subotnick – Portrait of
an Electronic Music Pioneer“, der heute Weltpremiere in Berlin hat, sagen
Sie, dass sie gar nicht wüssten, ob Sie die vollständige Fassung wirklich
sehen möchten. Haben Sie es mittlerweile getan?
Morton Subotnick: Ich konnte zumindest 30 Minuten in San Francisco vorab
ansehen, und das war gut. Herr Mießner, haben Sie den ganzen Film gesehen?
Hoffentlich ist er nicht zu lang?
Im Gegenteil. Man hört und sieht und lernt dabei eine ganze Menge.
Ich sehe ihn heute zum ersten Mal in voller Länge. Danach spiele ich live.
Sie müssen wissen, Auftritte machen mich nervös. Ich sage mir immer, das
ist das letzte Mal, dass ich mir so was antue. Mein Kollege, der Berliner
Produzent Lillevan, richtet mich dann wieder auf.
Mit ihm und Alec Empire haben Sie 2014 das 50. Jubiläum Ihres Albums
„Silver Apples oft the Moon“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin
gefeiert. Das Konzert und das Werk, es war 1966/67 die erste Komposition
elektronischer Musik, die ein Majorlabel in Auftrag gegeben hat, tauchen
nun auch im Film auf. Ihre Musik ist auf einem geradezu mythischen
Instrument entstanden, dem Buchla-Synthesizer, benannt nach seinem Erfinder
Don Buchla. Wie kam es dazu?
Zirka 1962 hatte ich eine Anzeige in der Zeitung San Francisco Chronicle
aufgegeben und nach einem Toningenieur gesucht. [1][Damals hatte ich das
Gefühl, dass sich etwas tun würde und Computer das Zepter in der Musik
übernehmen könnten]. Die Zeit war leider noch nicht reif dafür. Ich
wiederum war technisch nicht gerade begabt – das ist inzwischen besser
geworden – und brauchte Unterstützung. Es haben sich dann einige Leute
vorgestellt, die es nicht brachten, bis Don Buchla kam, und wir legten los.
Im Film sagen Sie über Buchla, er sei nüchtern gewesen. Warum betonen Sie
das?
Nun, einer der ersten Bewerber konnte nicht mal geradeaus schauen. Buchla
zumindest wirkte nüchtern.
Zur selben Zeit wurden Drogen zum Thema. Auch das sprechen Sie im Film an.
LSD kam erst später. Die Leute waren auf Heroin und Kokain, das war eine
Epidemie. Ich habe da keinen Anteil daran, wobei ich mit dem Dichter
Michael McClure und dem Künstler Bruce Conner einmal Peyote genommen habe.
Das war eine mehrtägige, intensive Erfahrung. Aber ansonsten? In einer
Phase, als es familiär schwierig war, hat mir ein Arzt Tabletten
verschrieben, die eigentlich zum Abnehmen gedacht waren, aber gleichzeitig
aufputschten. Wenn ich mit meiner Klarinette und der Musik von Mozart Geld
verdiente, habe ich mir eine der Tabletten mit dem Finger auf die Zunge
gelegt. Als ich einmal nur den Finger nahm und sich derselbe Effekt
einstellte, sagte ich mir, dabei kann ich’s belassen.
War das ein Nachglühen der Beatnik-Szene?
Nun, wir hielten uns nie, beziehungsweise, ich hielt mich nie für einen
Beatnik. Wenn ich zurückschaue und die Geschichte lese, weiß ich, wir waren
Beatniks, obwohl ich Kategorisierungen wie diese nie gemocht habe. Eine
Anekdote in diesem Zusammenhang: Wir lebten damals in North Beach, einer
interessanten Ecke San Franciscos, wo sich zum Beispiel auch der „City
Lights“ Buchladen befand. Damals waren die Mieten noch erschwinglich, es
war die Zeit von Lyrik und Jazz. Berühmte, wirklich gute Dichter lasen ihre
Texte zur Livemusik von Jazzbands, Kenneth Rexroth zum Beispiel, das Bier
dazu kostete 5 Cents das Glas, man hörte zu und unterhielt sich.
Ganz normales Entertainment, oder?
Das war kein Barhopping, es war eine Kunsterfahrung. Eines Tages, es wird
das Look-Magazin oder Time gewesen sein, gab es einen Artikel über diese
Szene. Eine Woche hat es gedauert, bis ein Touristenbus kam voller Leute in
Levis-Jeans, so wie wir sie trugen, und mit Notizbüchern. Einer von ihnen
fragte mich, ob ich denn ein Dichter sei. Ein Komponist, antwortete ich,
und ob er denn ein Dichter sei, schließlich hatte er ja dieses Notizbuch.
Noch nicht, gab er zurück, aber [2][bald werde er aus ihm ein Dichter
geworden sein]. Einen Monat oder zwei hat es gedauert, und wir alle sind
weggezogen. Und jetzt raten Sie mal, wohin? Nach Haight-Ashbury!
Den späteren Hippie-Distrikt.
Tja, als wir dorthin zogen, war es noch ruhig und nicht teuer dort. Wir,
das heißt meine Familie, wir hatten ein Kind, wollten das so. [3][Eine
gemischte Gegend], kein Ghetto. Einige von uns sind geblieben, als das
Hippie-Ding losging, aber viele sind weitergezogen, Michael McClure zum
Beispiel.
Ein Schlüsselwort bei Ihnen ist „Gestures“, Gesten. Das fängt mit der
Faszination für die Bewegung des Posaunenzugs an.
Eine meiner Kompositionen aus den neunziger Jahren ist „Gestures“ betitelt.
Ja, bei meinen täglichen Übungen gehört immer ein Hörbuch dazu. Wegen
meines blinden rechten Auges fällt mir das Lesen schwer. Jedenfalls geht es
in diesen Hörbüchern um Quantenmechanik oder die neurologischen Aspekte des
Gehirns. Gesten sind mir immer wichtig gewesen.
Warum?
Die Geste ist wahrscheinlich ein gutes Wort, sie schließt Kommunikation
ein. Durch Gesten verfügen Taube über eine Sprache. Wir benutzen permanent
unsere Hände, so, wie Sie das beim Sprechen tun. Ich habe lange Zeit
gedacht, ich täte das nicht, bis mir klar wurde, dass ich oft davon
Gebrauch mache, besonders, wenn ich nicht sitze. Gesten fügen
Bedeutungsfülle hinzu. Sehen sie, Musik an sich meint nichts, ist aber
bedeutungsvoll. Musik deutet nicht auf eine Sache hin, sie ist die Sache.
Ich habe ein Problem mit Worten, dabei sind sie in meinen Stücken nach und
nach aufgetaucht.
Ihr Werk „Jacob’s Room“ von 1986 bezieht sich auf Literatur.
Mit „Jacob’s Room“ habe ich etwas mir sehr Wichtiges mit Musik und Worten
ausgedrückt. Es geht um den Holocaust und die Erinnerung. Das schreckliche
Geschehen und die ermordeten Menschen sind ein Fakt, aber dahinter steht
die Erfahrung, dass Menschlichkeit zerstört worden ist und zerstört werden
kann. Wir erfinden uns selbst, wir erfinden unsere Gesellschaft, Gottvater
und den Sohn, was mit der Frau passiert ist, bleibt im Dunkeln. Aber es
geht dabei um Regeln, um fragile Gebilde. Die Erfahrung, dass diese Regeln
gebrochen werden, dass Menschlichkeit zerstört werden kann, führt zur
universellen Einsamkeit. Wir sind schon wieder an diesem Punkt. Schauen Sie
in die USA, schauen Sie nach Brasilien! Niemand weiß, was als Nächstes
kommt. „Jacob’s Room“ endet übrigens auch in Einsamkeit. Mir ist während
der Arbeit klar geworden, dass ich Worte nicht so gebrauchen kann, wie ich
es möchte.
Dabei sagen Sie im Film, dass Sie weniger komponieren und mehr schreiben
wollen. Zugleich erfährt man über eine Einblendung von einer neuen
Komposition mit dem Titel „As I Live and Breathe“.
Während der Arbeit an dem Dokumentarfilm, die einige Zeit in Anspruch
genommen hat, hatte ich schon den Eindruck, dass ich in die Schlussgerade
eingebogen bin, aber auch davon, dass ich dem Ziel, das ich mir Ende der
1950er, Anfang der 1960er gesetzt hatte, näher komme. Was ich im Film mit
Schreiben meine, das sind meine Memoiren. Was „As I Live and Breathe“
anbelangt, das wird ein Stück ganz verschiedener Formate, im Grunde eine
neue Kunstform.
Wobei, letzte Nacht gab es einen Feueralarm hier im Hotel. Ich musste
hinaus auf die Straße, nur mit den Sachen, die ich anhatte. „As I Live and
Breathe“, der Titel, hat somit eine neue Bedeutung bekommen, während ich
die Komposition oben in meinem Zimmer gelassen hatte. Stellen Sie sich vor,
diese hätte den Flammen zum Opfer fallen können. Ich habe mit meiner Frau
telefoniert; natürlich konnte sie nicht fassen, dass ich das Stück nicht
mitgenommen hatte. Höre mal, habe ich ihr gesagt, ich habe es gerade mal so
vor die Tür geschafft. Wenn das kein Fehlalarm gewesen wäre, wäre es um
„As I Live and Breathe“ geschehen gewesen. Was soll ich sagen? That’s lif…
3 Nov 2022
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## AUTOREN
Robert Mießner
## TAGS
Doku
elektronische Musik
Musik
Synthesizer
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Kolumne Südlicht
Komponistin
Dokumentarfilm
Suzanne Ciani
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