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# taz.de -- Musikdoku „Sisters with Transistors“: Freiheit des weißen Raus…
> Der Film „Sisters with Transistors“ stellt Pionierinnen der
> elektronischen Musik vor. Zu sehen ist er online im Programm des
> Musikfestivals CTM.
Bild: Regisseurin Lisa Rovner hat sich der „unbesungenen Heldinnen“ der ele…
Elektronische Musik, das waren, dem Klischee nach, bevorzugt Männer an
seltsamen Kisten. Anfangs an sehr großen Kisten, in die ohne Ende Kabel
gestopft wurden, später dann an kleineren Kisten. Dominierende Bilder, die
sich etablierten, waren die roboterartig inszenierten [1][Popstars von
Kraftwerk] oder Avantgarde-Ikonen wie der eher hippiesk gewandete Karlheinz
Stockhausen.
Frauen tauchen in diesen Geschichten allenfalls am Rand auf. Dass es sie in
der elektronischen Musik nicht bloß ziemlich von Anfang an gab, sondern
dass sie auch wichtige und bis heute prägende Beiträge geliefert haben,
geht meistens unter. Dabei bot die neue Technik für viele dieser
Musikerinnen überhaupt erst eine Möglichkeit, am bestehenden Musikbetrieb
und seinen Strukturen vorbei eigene ästhetische Strategien zu verfolgen.
Die Regisseurin Lisa Rovner hat sich für ihren ersten abendfüllenden
Dokumentarfilm „Sisters with Transistors“ der „unbesungenen Heldinnen“ …
elektronischen Musik angenommen. Im Programm des Berliner Musikfestivals
CTM ist er derzeit online zu sehen. Rovner konzentriert sich auf
Komponistinnen vorwiegend akademischer Musik, wobei die vorgestellten
Künstlerinnen oft nicht allein großen Einfluss auf den abenteuerlustigeren
Pop hatten, sondern selbst zwischen „ernster“ und „Unterhaltungsmusik“
aktiv waren.
Erzählt wird der Film von der Künstlerin und Musikerin Laurie Anderson. Die
meiste Zeit jedoch sprechen die Protagonistinnen selbst, ergänzt durch die
Stimmen von Zeitgenossen und Nachfolgern. Musikbeispiele gibt es
unterdessen fast die ganze Zeit, sei es im Vorder- oder im Hintergrund.
Lisa Rovner vermeidet die in Dokumentarfilmen gern gewählte Lösung,
Menschen vor eine Kamera zu setzen und sehr lange hineinsprechen zu lassen,
notgedrungen, da die meisten ihrer Protagonistinnen nicht mehr leben.
Stattdessen bezieht sie ihre Bilder fast ausschließlich aus Archivmaterial.
## Mitgründerin des BBC Radiophonic Workshop
So ist die [2][britische Komponistin Daphne Oram] in Schwarz-Weiß-Aufnahmen
zu sehen, wie sie ihr Studio für elektronische Musik bei der BBC
präsentiert. Oram war die erste Frau, die in England elektronische
Musikinstrumente entwickelte und in England ein Studio für elektronische
Musik eingerichtet und geleitet hat.
Als Mitgründerin des 1958 begonnenen BBC Radiophonic Workshop hatte sie
enormen Einfluss auf die elektronische Musik, einschließlich eines eigenen
Verfahrens zur grafischen Tonerzeugung, den „Oramics“, bei denen Film oder
Glasplatten bemalt und in elektronische Signale umgewandelt wurden.
Daphne Oram ermöglichte es auch ihrer Kollegin Delia Derbyshire, in
Cambridge ausgebildeter Musikerin und Mathematikerin, in den Sechzigern
beim BBC Radiophonic Workshop mitzuarbeiten. Dort konnte Derbyshire mit der
Filmmusik zur Fernsehserie „Doctor Who“ oder ihrer Band White Noise auch im
Pop-Mainstream Erfolge verbuchen.
In einer Aufnahme von 1965 erklärt Derbyshire mit ruhiger, fast
schüchterner Stimme die elektronische Klangbildung an einem Oszilloskop,
zeigt ein geometrisch abgezirkeltes Rechteckkurvensignal als Gegenbeispiel
zum chaotisch anmutenden komplexen Klangbild des sogenannten „weißen
Rauschens“.
## Befreiende Technologie für Frauen
Andere Musikerinnen sprechen die Hindernisse an, die sie zu überwinden
hatten. Die US-Amerikanerin Laurie Spiegel etwa erzählt, wie sie in der
Highschool entmutigt wurde, beruflich etwas mit Musik zu machen, weil sie
nicht schon von Kindesbeinen an Musikunterricht bekommen hatte. Von
Komponistinnen hatte sie ohnehin noch nie gehört, Komponisten waren für sie
„weiße tote Männer“.
Stattdessen studierte sie Sozialwissenschaften. Erst als sie in New York
den Komponisten Morton Subotnick und seine Arbeit mit Synthesizern
kennenlernte, tat sich für sie eine neue Welt auf. Diese Technologie sei
für Frauen wie sie enorm befreiend gewesen: „Man benötigte als Frau nicht
die Akzeptanz der männerdominierten Institutionen, der Radiosender, der
Plattenfirmen, der Konzerthäuser oder der Fördereinrichtungen“, so Spiegel.
Auch für die [3][französische Komponistin Éliane Radigue] war der Weg zur
eigenen Musik umwegig. In Paris war sie zunächst Assistentin der
Musique-concrète-Pioniere Pierre Schaeffer und Pierre Henry. Als sie dazu
überging, ihre Arbeit an den Tonbändern von zu Hause aus zu erledigen,
begann sie mit eigenen Stücken. Sie war seit Langem fasziniert vom Klang
der Flugzeuge, entwickelte Tonband-Delays und Feedbacks, um Musik aus lang
gehaltenen, sich langsam verändernden Tönen zu erzeugen. Sehr zum
Missfallen ihrer Arbeitgeber.
Radigues Ansatz ist, ähnlich dem der [4][US-Amerikanerin Pauline Oliveros],
radikal in seiner reduzierten Herangehensweise. So wurden die Töne, oft
endlose Drones, von Oliveros weniger gestaltet als erlebt, wie sie erzählt:
„Ich begann mich mehr dafür zu interessieren, was die Klänge selbst taten,
als was ich mit ihnen tun könnte.“ Dieses von Oliveros entwickelte „Deep
Listening“ ist heute Teil einer umfangreichen elektronischen Subkultur, von
der Radigue ebenso als eine ihrer Vorläuferinnen verehrt wird.
Und was macht eine Frau, die keinen Plattenvertrag bekommt, weil sie nicht
selbst singt? Im Fall der [5][US-Amerikanerin Suzanne Ciani stellte diese
ihre Synthesizer] fortan in den Dienst der Werbung und erzeugte sogar
Sounds, die dem Öffnen einer Coke-Flasche zum Verwechseln ähnlich sind.
Auch das Teil dieser Selbstermächtigungsgeschichte, der Lisa Rovner einen
würdigen Rahmen bietet.
20 Jan 2021
## LINKS
[1] /Musikalisches-Erbe-von-Florian-Schneider/!5684507
[2] /Elektronikpionierin-Daphne-Oram/!5210764
[3] /Kunst-fuer-die-Komponistin-Eliane-Radigue/!5653721
[4] /Komponistin-Pauline-Oliveros-in-Berlin/!5274561
[5] /Konzert-von-Suzanne-Ciani-in-Berlin/!5630578
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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