| # taz.de -- Dancefloor-Ausstellung in Düsseldorf: Im grellen Schein des Putzli… | |
| > „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ im Düsseldorfer Kunstpalast zeigt | |
| > elektronische Klassiker. Den innovativen Anteil von Frauen spart sie | |
| > leider aus. | |
| Bild: „In Search of Daphne: The Oramics Machine Revisited“ macht Komponisti… | |
| Es gibt Clubs, die sind Clubs und Museen, die Museen sind. Während der | |
| pandemiebedingten Zwangspause des Nachtlebens richtete der Club Berghain | |
| in Berlin zwischenzeitlich eine Kunstausstellung aus – und derzeit versucht | |
| der Kunstpalast in Düsseldorf Clubatmosphäre zu verbreiten. „Electro. Von | |
| Kraftwerk bis Techno“ heißt die Ausstellung, die sich bereits ankündigt, | |
| während man noch auf den Einlass wartet. | |
| Die knackigen Sounds und Bässe, die durch alle Museumsräume bis an die | |
| Eingangshalle pulsieren, sind die ersten Exponate dieser groß angelegten | |
| Auseinandersetzung, kuratiert vom französischen Autor [1][Jean-Yves Leloup] | |
| und Alain Bieber (NRW-Forum), mit der nahezu 100-jährigen Geschichte von | |
| elektronischer Musik. | |
| So begrüßen wechselweise Tracks solcher Veteranen wie Jeff Mills, Aphex | |
| Twin und Daft Punk die Besucher*innen, heißen sie willkommen und können | |
| dank passabler Soundanlage durchaus die Illusion von durchtanzten Nächten | |
| erzeugen. Verantwortlich für die elf DJ-Mixe ist der Pariser DJ-Star und | |
| Technopionier Laurent Garnier. | |
| ## Ideengeschichte von Clubkultur | |
| Erzählerisch und sinnlich zugleich mixt er kleine Erzählungen zusammen, die | |
| Einblicke in Phasen und Ideengeschichten der Clubkultur („French Mix“, | |
| „Futuristic Techno“) gewähren. Alles ist hier sehr präsent aufgefächert,… | |
| weit, so gut. Die tanztauglichen 120 Anschläge pro Minute versprechen ein | |
| kurzweiliges Vergnügen, übervorteilen dennoch nicht die weiteren Artefakte. | |
| Das erste Kapitel ist derweil den Maschinen gewidmet; den digitalen und | |
| elektrischen Verlängerungen von Produzent*innen. Gegenstände aus dem | |
| legendären „Studio für elektronische Musik“ des WDR, in dem Karlheinz | |
| Stockhausen, Péter Eötvös und Mauricio Kagel einst werkelten, sind genauso | |
| zu begutachten wie Drum Machines, Synthesizer und ähnlich moderne | |
| Konsorten. Genauso wenig fehlen Merkwürdigkeiten aus den Anfangstagen der | |
| elektrischen Musikerzeugung – unter ihnen ist das berührungslos-spielbare | |
| Theremin, bis heute das bekannteste. | |
| Erwartungsgemäß geht es nach dieser Einführung bereits über zu den | |
| Düsseldorfer Lokalhelden und Säulenheiligen (so werden sie hier auch | |
| inszeniert) von Kraftwerk, denen ein besonders großer Ausstellungsraum | |
| zugestanden wird. Mit [2][3D-Brille] schaut man durch die Geschichte dieser | |
| legendären Roboterband und hört: Der eigens eingerichtete White Cube bietet | |
| genügend Platz und je nach Standort einen formidablen Sound. | |
| ## Freiheit für Freaks | |
| Interessanter wird es im nächsten Abschnitt: Fotografien, Grafiken, Flyer | |
| und Ankündigungen, Videos und Geschichten aus den Achtzigern erinnern an | |
| eine Zeit, als die Szene der elektronischen Tanzmusik noch von Idealen wie | |
| Liebe, Freiheit und Offenheit konstituiert wurde. Außenseiter treffen hier | |
| auf Hippies, Freaks auf jugendliche Devianz – es wird historisch-korrekt | |
| betont, wie wichtig elektronische Tanzmusik seit jeher für verfolgte | |
| Communitys (Afro-Amerikaner*innen, Latinx, LGBTQI* und weitere) ist. | |
| Bei den Schwarz-Weiß-Dokumentarfotografien aus dem New Yorker | |
| Underground-Club Paradise Garage der 1980er kommen sentimentale Gefühle | |
| auf. Dort grüßen Urväter der modernen Club-DJs wie [3][Frankie Knuckles] | |
| und Larry Levan so locker aus den Schnappschüssen, das man sich sofort in | |
| nächtliche Tanzlustbarkeiten wünscht. Das Gleiche gilt für die Silhouetten, | |
| die Jacob Khrist einfängt: fragmentierte Körper, die aus dem Dunkeln ins | |
| Licht treten. | |
| Was auffällt, hier wie in der gesamten Ausstellung: Künstlerinnen sucht man | |
| bis auf einzelne Ausnahmen vergeblich. Hier ein Foto der Berlinerin DJ | |
| Ellen Allien, da mal eines ihrer russischen Kollegin Nina Kraviz – es sind | |
| leider nur Sprenkel in einer groß angelegten, internationalen | |
| Zusammenstellung, die sonst eher selten kleckert. Eventuellen Einwürfen, | |
| dass es eben weniger Frauen an den DJ-Pulten und in den Studios gegeben | |
| habe, kann man vorweg begegnen. | |
| ## Wiederholung von Falschannahme | |
| Die Reproduktion dieser Falschannahme macht sie dennoch nicht zum Fakt. Wie | |
| etwa der [4][Dokumentarfilm „Sisters with Transistors“] von Lisa Rovner, | |
| derzeit beim deutsch-französischen Sender Arte in der Mediathek zu sehen, | |
| beweist, gab es immer Elektronik-Komponistinnen und -Produzentinnen – man | |
| muss nur am Kanon vorbeischauen und nach ihnen gegebenenfalls suchen. Sich | |
| dieser kuratorischen Leerstelle bewusst, packt man einen Artikel in den | |
| dünnen Katalog zu weiblichen DJs, Komponistinnen und Produzentinnen. | |
| Während man in Paris, wo die Ausstellung zuerst lief, auf „French House“ | |
| und Daft Punk baute, begnügt man sich in Düsseldorf hingegen mit der | |
| Erzählung von Kraftwerk als „Ursuppe“ der elektronischen Tanzmusik und | |
| zeigt dazu Fotografien des Düsseldorfer Fotografen Andreas Gursky. Dessen | |
| monumentalen Aufnahmen von Mammutveranstaltungen wie Loveparade und von | |
| Großraumclubs wird ein eigener Raum und viel zu viel Platz gewidmet. | |
| Statt Universalismus beschränkt man sich auf die provinzielle historische | |
| Bestandswahrung: Wir hier am Rhein haben unseren Anteil am Erfolg von | |
| elektronischer Musik. Und ja, dies sei Düsseldorf sicher unbenommen, der | |
| Ausstellung tut dies derweil keinen Gefallen. Sie fällt nach einiger Zeit | |
| fast in sich zusammen, wird kleiner, arbeitet sich im Miniaturformat weiter | |
| – bis in die Zukunft, wo künstliche Intelligenz und Cyborgs warten. | |
| Ein wohlsortierter Blick in die unmittelbare Gegenwart wäre viel | |
| ertragreicher gewesen: Die weltweite Pandemie hat Clubs lahmgelegt – | |
| genauso wie die hier sonst so präsenten Praktiken der gesellschaftlich | |
| Ausgeschlossenen. Was macht das mit Communitys, wenn man ihnen Räume und | |
| Musik nimmt? Welche Alternativen gibt es? Und welche Schlüsse ziehen wir | |
| daraus? Versteckt im sogenannten Bonus-Track, einem 20-Meter-Korridor in | |
| der Galerie über der Ausstellungsfläche, werden Fotografien der Künstler | |
| André Giesemann und Daniel Schulz gezeigt. | |
| Ihre Motive: verlassene, leere Club-Räume im grellen Schein des Putzlichts. | |
| Ein herzzerreißender Anblick für die „Freund*innen der Nacht“. | |
| 3 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Meakusma-Festival-in-Belgien/!5344735 | |
| [2] /Elektronische-Tanzmusik-im-Museum/!5024546 | |
| [3] /Nachruf-Godfather-of-House/!5045203 | |
| [4] https://www.arte.tv/de/videos/104017-000-A/sisters-with-transistors-die-ver… | |
| ## AUTOREN | |
| Lars Fleischmann | |
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