| # taz.de -- Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast: Eine Frage des Formats | |
| > Im Düsseldorfer Kunstpalast untersucht die Ausstellung „Size Matters“ die | |
| > Fotokunst hinsichtlich der Bedeutung von Größenverhältnissen. | |
| Bild: Morgaine Schäfer, magnify BWS 1516 (floating head), 2021, Kunstpalast, D… | |
| Wie wirksam schiere Größe sein kann, bewies Wladimir Putins | |
| Sechsmetertisch, an dem er Emmanuel Macron zu Beginn der Ukrainekrise noch | |
| vor Kriegsbeginn im Kreml empfing. Das Möbelmonster wirkte einschüchternd | |
| und fungierte als überdeutliches Bild für machtpolitische Überlegenheit. | |
| Größe kann ebenso begeistern wie ängstigen und kann Bewunderung für Talent | |
| und Können ausdrücken. Größe ist also, ganz allgemein gesprochen, sowohl | |
| etwas sehr Konkretes, Messbares als auch etwas sehr Relatives, Wertendes | |
| und Imaginäres. | |
| Größe in der Fotografie ist mindestens so komplex wie Größe schlechthin. | |
| Die Ausstellung „Size Matters“ verhandelt im Düsseldorfer Kunstpalast | |
| Formatfragen und Größenverhältnisse in der Fotografie, klammert tiefer | |
| gehende philosophische oder gar politische Fragen jedoch weitgehend aus. | |
| Dafür reklamiert sie für sich, die erste Ausstellung überhaupt zu sein, die | |
| das eigentlich sehr Naheliegende tut für eine Kunstform, deren grundlegende | |
| Eigenart darin besteht, im Format variabel zu sein: nämlich Fragen nach der | |
| Bedeutung der Größenverhältnisse in der Fotografie zu untersuchen. | |
| Denn wenn in der Malerei das Format feststeht, bevor das eigentliche Werk | |
| überhaupt erst entsteht, ist eben jede fotografische Aufnahme – zumindest | |
| unter den heutigen Bedingungen des Digitalen – skalierbar, man kann sie | |
| riesig aufblasen oder verkleinern auf Daumennagelgröße zum sogenannten | |
| Thumbnail, hochziehen zum Banner, zum Plakat oder in Passfotogröße und als | |
| Smartphonefoto mit sich herumtragen. | |
| Die Ausstellung geht von den Beständen der eigenen Fotosammlung aus, | |
| natürlich sind Werke der Düsseldorfer Fotoschule prominent vertreten: | |
| darunter die dokumentarischen Industriedenkmälerporträts der Gründer | |
| dieser Tradition, Bernd und Hilla Becher, eine Porträtserie von Thomas | |
| Ruff, das ikonische Großfoto eines Madonna-Konzerts von [1][Andreas Gursky] | |
| mit der winzigen Künstlerin im Kraftzentrum des Wimmelbilds und eine | |
| verwirrend raffinierte Arbeit von Alex Grein, die bei Gursky studierte. | |
| Grein jongliert mit absurden Größenverschiebungen und lichtete ein | |
| scheinbar gigantisches Lorbeerblatt vor einer banalen Zimmertür ab. | |
| Digitale Bildmontage? Nein, Grein platzierte den kleinen Zweig direkt vor | |
| die Kamera. | |
| Historisch breitet die Schau den ganzen Kosmos des Mediums aus – von den | |
| experimentellen Anfängen über briefmarkengroße Medaillonfotos mit Lupen zur | |
| Vergrößerung bis zu privaten Familienfotoalben der mittleren Jahre des 20. | |
| Jahrhunderts – und beleuchtet intensiv den Aufstieg der Fotokunst, bis sie | |
| schließlich im Belanglosen des alles mitreißenden Bildertsunamis der | |
| Instagram-Gegenwart versickert. | |
| Teils etwas gravitätisch überschriebene Kapitel sollen dem Reigen Struktur | |
| geben. Das Team um Linda Conze, Leiterin der Fotosammlung des Kunstpalastes | |
| und Kuratorin der Ausstellung, zitiert etwa den „Maßstab der Welt“, an dem | |
| laut Susan Sontags Analyse der 1970er Jahre die Fotografie „bastelt“. | |
| Unter der Überschrift „Die Befreiung der Dinge“ sind Arbeiten der Neuen | |
| Sachlichkeit zu sehen, die durch das Spiel mit Nahaufnahmen und isolierten | |
| Einzelheiten den Blick schärfen, etwa die titellose Nahaufnahme von | |
| filterlosen Zigaretten mit dem Kopf eines Streichholzes von Photo Haus | |
| Bardorf (zugeschrieben Katt Both), wobei der Streichholzkopf als | |
| Orientierung dient, denn die Zigaretten erinnern aus der Nahsicht an | |
| gigantische Bündel undefinierbaren Materials. Oder Karl Blossfeldts | |
| berühmte [2][Pflanzenfotografien], die in Vergrößerung ornamentale | |
| Strukturen gewinnen. | |
| Wie wachsende Größe mit einer Bedeutungskarriere einhergehen kann, ist an | |
| einer Serie von Thomas Ruff zu studieren: 1984 fotografierte er seine | |
| Akademiekollegen: kleine Porträts, die nicht viel hermachten. Später zog | |
| er die Fotos hoch zu einem mittleren Format, das ästhetisch kaum Mehrwert | |
| hatte. | |
| Erst als er die Aufnahmen 1987 vor weißem Grund ins Riesenformat hochzog, | |
| entstand etwas ganz Neues: Gesichter wurden zu befremdlichen | |
| Großstrukturen, abweisend in ihrer bedrängenden Nähe, verstörend kühl trotz | |
| ihrer unperfekten Details, der Pickel, Härchen, Unreinheiten. | |
| Ein Beispiel für den Bedeutungswandel durch Größe und für das Spiel mit | |
| Anordnungen ist Kathrin Sonntags „Dinge im Hintergrund #4“, das auch als | |
| Plakatmotiv der Ausstellung fungiert: Im Original ist das Werk 110 mal 73 | |
| Zentimeter groß und zeigt einen riesengroßen Apfel vor einem Baum in | |
| offenbar natürlicher Größe. Aber vielleicht ist es auch andersherum? Der | |
| Apfel ist original groß, aber der Baum verkleinert? Tatsächlich wurde der | |
| Apfel vor dem Foto des Baums fotografiert. In der Ausstellung ist Sonntags | |
| Arbeit Kunst, als Plakat und als Einladungskarte ist es Werbung. | |
| In einem „Fotoalbumzimmer“ sind Familienalben an der Wand gestapelt und | |
| sepiabraune Schnappschüsse der 1970er Jahre vergrößert an die Wände | |
| gehängt: ein Beleg dafür, dass nicht jedes Fotos zur Vergrößerung taugt | |
| oder dadurch an Bedeutung gewinnt. | |
| Verwirrend und bei der Preview noch schlecht beschriftet sind zwei silbern | |
| glänzende abstrakte skulpturale Objekte, deren Oberflächenästhetik an Jeff | |
| Koons’ „Balloon Dogs“ erinnert: „The Nanjing Particles“ von Simon Sta… | |
| sind nichts anderes als millionenfach vergrößerte | |
| Sibergelatine-Bildstückchen einer Fotografie aus dem 19. Jahrhundert. | |
| Nach Bildern von Smartphonedisplays von Morgaine Schäfer, die mit | |
| Zoomfunktionen und Unschärfen durch Vergrößerungen spielen, mündet die | |
| Schau in einen Raum, der tapeziert ist mit einer Bilderflut: Evan Roths | |
| „Since You Were Born“ zeigt den Ausdruck dessen, was sich am Tag der Geburt | |
| seiner Tochter im Bilder-Cache seines Internetbrowsers so fand. Optisch | |
| überwältigend, aber wenig überraschend. | |
| 7 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Regine Müller | |
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