| # taz.de -- Foto-Aktivismus von Claudia Andujar: Das Spirituelle ins Bild geset… | |
| > Die Ausstellung „Claudia Andujar. The End of the World“ zeigt die | |
| > 92-jährige Fotografin als Kämpferin für die Rechte der indigenen | |
| > Yanomami. | |
| Bild: Blick auf „Die Markierten“ in der Ausstellung „Claudia Andujar. The… | |
| Als die Militärjunta sie aus dem Amazonasgebiet vertreiben wollte, reiste | |
| Claudia Andujar erst recht zu den Yanomami nach Nordbrasilien, wieder und | |
| wieder. Mit 35.000 Menschen bilden sie die größte indigene Gruppe der | |
| Region. Andujar hat mit ihnen gelebt und ihr Vertrauen errungen. Die | |
| Fotografin konnte so das Leben der Yanomami dokumentieren und damit auch | |
| öffentlich machen, wie gefährdet es durch Bergbau, Viehzucht, Krankheiten | |
| und Vertreibung ist. | |
| Denn eigentlich wollen sich die abgeschieden lebenden Yanomami aus | |
| spirituellen Gründen nicht ablichten lassen. Aber für den Kampf um die | |
| eigenen Rechte haben sie es [1][Andujar, deren Foto]arbeiten jetzt eine | |
| Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen gewidmet ist, gestattet. | |
| Dabei war die 1931 in der Schweiz geborene, in Ungarn aufgewachsene Tochter | |
| eines jüdischen Vaters, die im Holocaust etliche Verwandte verlor, vor den | |
| Nazis zunächst in die USA geflohen. Dort studierte sie Humanwissenschaften | |
| und begann zu fotografieren. 1955 zog sie zur Mutter nach São Paulo. | |
| Solange sie noch kein Portugiesisch sprach, kommunizierte sie durch Fotos. | |
| 1971 traf sie im Zuge eines Fotoauftrags die Yanomami. Durch | |
| Wirtschaftsinteressen waren sie in ihrem Lebensraum bedroht. Andujar | |
| verschrieb sich fortan dem Kampf für deren Rechte. Als Mitgründerin der | |
| Pro-Yanomami-Kommission erreichte sie nach etlichen Kampagnen 1992 endlich | |
| die Anerkennung einer großen, zusammenhängenden Fläche für die Yanomami | |
| durch Brasiliens Regierung. | |
| ## Die Impfkampagne und ihre „Markierten“ | |
| Eine wichtige Etappe war auch die Impfkampagne der 1980er Jahre, um die | |
| Yanomami gegen eingeschleppte Krankheiten zu immunisieren. Andujars Fotos | |
| der Serie „Die Markierten“, derzeit in der Hamburger Schau zu sehen, zählen | |
| zu den interessantesten und ambivalentesten ihrer insgesamt 60.000 Bilder, | |
| die etliche Preise erhielten. Für die Impfkampagne hat Andujar eine Reihe | |
| Schwarz-Weiß-Porträts von Müttern mit Babys und Jugendlichen angelegt. Alle | |
| haben Schilder mit Zahlen umhängen. | |
| Das weckt unangenehme Assoziationen an die Tätowierungen von KZ-Häftlingen, | |
| mit denen die Nazis sie für den Tod markierten. Aber da die Yanomami keine | |
| portugiesischen Namen haben, seien die Nummern zur Identifizierung nötig | |
| gewesen, hat Andujar einmal zu der Porträtreihe gesagt. Außerdem seien | |
| diese Menschen, anders als die KZ-Opfer, „für das Leben markiert“ worden. | |
| Als selbst vom Holocaust Betroffene ist Andujar des Bagatellisierens der | |
| NS-Verbrechen unverdächtig. | |
| Anders als auf kolonialistischen Vermessungsfotos schauen die Menschen auf | |
| ihren schwarz-weißen Porträts nicht als starre Objekte in die Kamera, | |
| sondern mal nachdenklich, mal verschmitzt, mal verhalten stolz. Andujar | |
| sucht auch nicht, [2][wie der Anthropologe Claude Lévi-Strauss, das | |
| romantisierte „Ursprüngliche“]. Sie ergeht sich nicht in eurozentristischem | |
| „Staunen“. Sie zelebriert keine Melancholie ob des Verschwindens einer | |
| Kultur, sondern sucht es, ganz Politaktivistin, zu verhindern, indem sie | |
| wertungsfrei darstellt, wer da bedroht ist. | |
| Wie die mit dem [3][Ethnopoeten Hubert Fichte] in den 1960er Jahren durch | |
| Afrika, Brasilien, die Karibik gereiste Fotografin Leonore Mau bildet | |
| Andujar die Menschen und ihre Rituale würdevoll, aber nicht exotistisch ab. | |
| Aber anders als Mau, die distanziert-ehrfürchtig auf indigene Kulturen und | |
| Rituale schaute, geht Andujar über das Dokumentarische hinaus: Sie sucht | |
| die spirituelle Erfahrung selbst ins Bild zu setzen, indem sie mit | |
| Überblendungen und Infrarottechniken arbeitet. | |
| ## Die männliche Sphäre halluzinogener Erfahrung | |
| Da taucht zum Beispiel ein Männerkopf der Serie „Das Haus“ mit weit | |
| geöffneten Augen in eine Dimension außerhalb des Bildes und jenseits der | |
| materiellen Welt. Gemeinsam mit der Fotografin bleibt man vor der Schwelle | |
| stehen, betritt nicht die tabuisierte, Männern vorbehaltene Sphäre | |
| halluzinogener Erfahrung. | |
| In der 2002 entstandenen, mit Überblendungen älterer Fotos arbeitenden | |
| Serie „Yanomami Dreams“ wiederum verschmilzt ein Gesicht mit einem Baum, | |
| getreu dem Glauben der Yanomami an die familiäre Verbundenheit von Mensch, | |
| Tier, Pflanze, Stein. Dieses spirituell geschützte Ökosystem ist anhaltend | |
| bedroht, und auf dem Nebenbild bildet die Gischt den Himmel, den Schamanen | |
| vergeblich mit Stöcken stützen. Und eigenartig, wie flach dagegen die durch | |
| Infrarot-Technik gelben Hochhäuser São Paulos wirken, der | |
| Eindimensionalität ewigen Wirtschaftswachstums verschrieben. | |
| Das auch die Yanomami weiter bedroht: Im November 2023, nach Ende der | |
| Amtszeit Jair Bolsonaros, lebten 20.000 illegale Goldsucher ungehindert im | |
| Reservat der Yanomami, verseuchten Wasser und Boden. Der neue Präsident | |
| Lula da Silva wollte die Goldsucher zwar vertreiben. Doch im Dezember 2023 | |
| votierte der brasilianische Kongress dagegen, das indigene Gebiet zu | |
| schützen. Die Arbeit der heute 92-jährigen Claudia Andujar bleibt aktuell. | |
| 15 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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