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# taz.de -- Der Kampf der Yanomami: Überleben im Regenwald
> Die Fondation Cartier zeigt das Lebenswerk der brasilianischen Künstlerin
> Claudia Andujar. Es ist der Rettung der indigenen Yanomami gewidmet.
Bild: Ausstellungsansicht „Claudia Andujar: La Lutte Yanomami“ in der Fonda…
Am 10. April starb Alvanei Xirixana, ein 15-jähriger Teenager, im
Krankenhaus von Boa Vista an der Lungenkrankheit Covid-19. Er ist das erste
Corona-Opfer unter den Yanomami, einer indigenen Volksgruppe im
brasilianischen Amazonas-Gebiet, und der erste Corona-Todesfall nach einer
Infizierung auf indigenem Gebiet. Das Virus könnte durch weiße Goldsucher
in die Region eingeschleppt worden sein.
Sein Tod scheint dem Lebenswerk der Fotografin und Aktivistin Claudia
Andujar Hohn zu sprechen, das der Rettung der Yanomami und ihrer Kultur
gewidmet ist und das die Fondation Cartier in Paris in ihrer Ausstellung
„La Lutte Yanomami“ zeigen wollte. Doch kaum eröffnet, musste sie aufgrund
der Corona-Pandemie geschlossen werden. Eine richtige, ein unabwendbare
Entscheidung. Und trotzdem muss über die Ausstellung doch nachgedacht und
geschrieben werden, denn sie ist absolut brisant.
Vieles von dem, was im Haus am Boulevard Raspail gezeigt wird, ist
selbstverständlich inzwischen andernorts zu sehen. Schon mit Eröffnung der
Schau hat die Fondation Cartier eine [1][kleine Reihe von Podcasts] mit
Claudia Andujar, der Protagonistin der Ausstellung, ins Netz gestellt. Und
nun gibt es auch den [2][obligatorischen virtuellen Rundgang.]
Und sowieso sind auf Youtube Interviews und Gespräche mit der Fotografin
finden, etwa [3][der Clip des Goethe-Instituts] anlässlich der Verleihung
der Goethe Medaille 2018 an Claudia Andujar. Die Monografie zur Ausstellung
des Frankfurter MMK [4][„Claudia Andujar: Morgen darf nicht gestern sein“]
von Susanne Gaensheimer, der Leiterin der Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen, ist vor drei Jahren ist im Kerber Verlag erschienen.
## Jair Bolsonaros Versprechen
Den Schock der Erkenntnis aber, jetzt durch den Tod im Schutzgebiet
bestätigt, hält die Ausstellung bereit. Er hat nämlich seine ganz eigene
Dramaturgie, ausgelöst durch den brasilianischen Staatspräsidenten Jair
Bolsonaro, der in einem Video erscheint, das auf einem kleinen, scheinbar
absichtslos in einer Ecke platzierten Monitor läuft.
Allerdings: man muss an ihm vorbei, auf dem Weg zu den Fotografien, die
Claudia Andujar aufgenommen hat, um ihren Kampf für die Landrechte der
Yanomami bildpolitisch zu unterfüttern.
Zuvor war man in das Alltagsleben der Yanomami eingetaucht, in das Leben
der Familien und des Dorfes, wie auch in die spirituelle Welt der
Amazonasbewohner. Diese wird in den Aufnahmen des reahu erfahrbar, eines
Gemeinschaftsfests und Beerdigungsrituals, bei dem am Ende die Männer
Halluzinogene und die näheren Verwandten der Verstorbenen deren Asche zu
sich nehmen.
Claudia Andujar geht hier in ihren Aufnahmen stilistisch über das
Dokumentarische hinaus, sie experimentiert mit der Fotografie, sie färbt
die Aufnahmen ein und benutzt Filter, die verwunschene Lichteffekte
herbeizaubern.
## Das Ende der indigenen Landrechte
Auf derart wundersame Weise mit den Yanomami bekannt gemacht, beeindruckt
von ihrer Schönheit, ihrem unwahrscheinlichen Leben im Urwald, kommt einem
plötzlich dieser Bolsonaro in die Quere, der sagt, was ihn beträfe, so
würde er dieser einseitigen Politik, indigenes Land auszuweisen und unter
Schutz zu stellen, ein Ende bereiten, wo immer er könne. Dieser Satz
bedeutet das Ende der Yanomami.
Gleichzeitig dräut das Ende aller Menschen. Denn mit seiner Politik, das
gerade einigermaßen stabilisierte Amazonasbecken neuerlich der Ausbeutung
zu öffnen, gehört Bolsonaro zu einer ganzen Riege populistischer
Staatsmänner weltweit, die auf ähnliche Weise vollkommen verantwortungslos
die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstören.
Von Bolsonaros Kriegserklärung an die indigenen Völker Brasiliens muss man
sich erst einmal erholen. Was den ganzen Ausstellungsparcour hindurch
allerdings nicht mehr so recht gelingt. Claudia Andujar war eine bekannte,
vielpublizierte Fotojournalistin, als sie 1971 im Regenwald des Amazonas,
an der Grenze zwischen Brasilien und Venezuela, auf das Volk der Yanomami
stieß, dem sie fortan ihr ganzes künstlerisches und politisches Engagement
widmete.
Damals war es die Militärdiktatur, die das Amazonasgebiet zur Ausbeutung
seiner Rohstoffe öffnete. Zu den wesentlichen Infrastrukturmaßnahmen
gehörte der Bau einer großen Straße in den Dschungel, der Perimetral Norte,
die das Land der Yanomami durchquerte. Die Menschen, die auf dieser Straße
in den Urwald vordrangen, schleppten Krankheiten wie Masern, Grippe,
Malaria und Tuberkulose ein, wogegen den Yanomami die Immunantwort fehlte.
Immer wieder kam es zu Epidemien, deren Bedeutung und Konsequenzen uns
heute in der Situation der Corona-Pandemie wohl deutlicher vor Augen stehen
als noch vor kurzem. Besonders gravierend stellte sich die Lage mit dem
Goldrausch dar, der Ende der 1980er Jahre einsetzte und in dessen Gefolge
innerhalb von nur sieben Jahren 20 Prozent der Yanomami starben. Heute
zählt ihr Volk noch rund 35.000 Personen.
## Der Genozid der Yanomami
Die von Claudia Andujar, dem französischen Anthropologen Bruce Albert und
dem italienischen Missionar Carlo Zacquini 1978 gegründete Commisson
Pro-Yanomami CCPY (ursprünglich Commission for the Creation of the Yanomami
Parc) organisierte daraufhin 1989 die Ausstellung „Genozid der Yanomami:
Tod in Brasilien“ in São Paulo, um gegen die Untätigkeit des
brasilianischen Staates zu protestieren und internationale Aufmerksamkeit
zu organisieren. 1992 endlich unterzeichnete der brasilianische
Staatspräsident Collor de Mello die Ausweisung eines 96.000
Quadratkilometer großen Gebiets als Land der Yanomami.
Der Genozid ist Claudia Andujar bekannt. Denn sie ist eine
Holocaustüberlebende. 1931 als Claudine Haas in Neuchâtel geboren, wächst
sie im ungarisch-rumänischen Oradea (Nagyvárad) auf. 1944 gelingt ihr
zusammen mit ihrer Schweizer Mutter die Flucht vor den Nationalsozialisten
in die neutrale Alpenrepublik, während der jüdische Vater und seine Familie
deportiert und ermordet werden. Ihren Einsatz für die Randständigen,
Schwachen und Ausgeschlossenen führt Andujar auf diese Erfahrung zurück.
Die Fotografien im Untergeschoss der Fondation sind ein beeindruckendes
Zeugnis dieses Engagements. Es beginnt mit einer großartigen schwarz-weißen
Porträtserie, die sich vom Baby und der jungen Mutter über den jungen Mann
bis zum zerfurchten Gesicht des Ältesten vorarbeitet. Dann folgen
Zeichnungen, in denen die Yanomami ihre Ideen zu Natur und Kosmos
darstellen, nachdem sie Claudia Andujar und Carlo Zacquini mit Papier und
bunten Filzstiften bekannt gemacht hatten.
Die Zeichnungen zeigen Szenen des täglichen Lebens, der Rituale und der
schamanistischen Reisen, aber ein wesentliches Motiv sind auch die
Schwierigkeiten, denen sich die Schamanen angesichts von außen
eingeschleppter Epidemien gegenübersehen. Aus diesem Projekt gingen
Yanomami-Künstler wie Taniki, Ehuana oder Kalepi hervor, die das Begehren
der Fondation Cartier als Sammler hervorriefen und dadurch zu derem
weiteren langjährigen Engagement für den Kampf der Yanomami für
Selbstbestimmung und Landrechte beitrugen.
Ganz unsentimental dokumentierte Claudia Andujar dann die zerstörerischen
Begegnungen der weißen Zuwanderer mit den Yanomami, denen sie Straßen,
Alkohol, Pornografie, giftige Chemikalien und tödliche Krankheiten
mitbrachten. Dementsprechend initiierte Claudia Andujar mit Hilfe von CCPY
in den 1980er Jahren Gesundheits-und Impfprogramme gegen Masern,
Keuchhusten, Grippe und Tuberkulose und reiste mit zwei Medizinern durch
das Yanomami-Gebiet.
Weil die Yanomami ihre Namen im Laufe ihres Lebens wechseln und diese Namen
nicht in ihrer Gegenwart und der ihrer Verwandten ausgesprochen werden
dürfen, wurde den Geimpften eine Nummer um den Hals gehängt und sie dann
mit dieser Nummer fotografiert. So konnte die medizinische Versorgung der
einzelnen Personen über die Jahre gesichert werden. Trotzdem war die
Vergabe der Nummern für Claudia Andujar aufgrund ihrer Familiengeschichte
ein schmerzlicher Vorgang.
Wie schmerzlich es aber für die heute 90-jährige Aktivistin sein muss, zu
erleben, wie nun Jair Bolsonaro als Präsident der für den Schutz der
Ureinwohner zuständigen Regierungsorganisation Funai einen für die
Bekehrung der indigenen Völker berüchtigten Evangelikalen bestellt, mit
seiner Politik also ganz bewusst und zielorientiert ihr Lebenswerk und das
Werk von CCPY und anderen NGOs zerstört, ist gar nicht zu ermessen.
Der Widerstand der Yanomami und deren internationaler Freunde gegen die
verbrecherische Politik der gegenwärtigen Regierung beantwortet diese mit
dem brennenden Regenwald.
In dieser Zeitung schrieb erst kürzlich Milo Rau, der Schweizer
Theaterregisseur und –autor, der mit der Landlosenbewegung ein
Theaterprojekt im Amazonas betrieb, das Corona beendete, Bolsonaro setze
darauf, dass dem Virus all jene zum Opfer fallen, die er für „überflüssig�…
erachtet, als da sind Liberale, Schwule, Frauen und Arme, im Besonderen
aber die indigenen Völker. Leider muss man davon ausgehen, dass das keine
Übertreibung ist.
15 Apr 2020
## LINKS
[1] http://www.claudia-andujar.fondationcartier.com
[2] https://mailchi.mp/8a01f440cb67/our-program-goes-on-online
[3] https://www.youtube.com/watch?v=yChodar8CiQ
[4] /Ausstellung-in-Frankfurt/M/!5383993
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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