# taz.de -- Hamburger Triennale für Photographie: Was die Welt sein könnte | |
> Sie ist ein Nachdenken darüber, was Fotokunst zeigt: „Currency: | |
> Photography beyond capture“ ist die zentrale Ausstellung bei der | |
> Hamburger Triennale. | |
Bild: Nur der Ausschnitt eines Fotos aus der Serie „Lagos: All Roads“ von A… | |
Hamburg taz | Carsten Brosda ist ein Meister des Bonmots. Und so zitiert | |
der Hamburger Kultursenator zur Eröffnung der Triennale der Photographie | |
auch einen seiner ehemaligen Professoren: „Bilder sind wie Boxkämpfe. Einer | |
aufs Auge ist besser als acht aufs Ohr.“ Womit der promovierte Journalist | |
Brosda wahrscheinlich in Bezug auf die Medienwelt recht haben dürfte. Im | |
Kunstkontext geht es allerdings weniger martialisch zu. | |
In der zentralen Triennale-Ausstellung „Currency: Photography beyond | |
capture“ greift die Box-Analogie ausschließlich bei den Beiträgen von | |
Claudia Andujar halbwegs: Überwältigende, ikonographische Fotografien zeigt | |
die [1][brasilianisch-schweizerische Fotografinnenlegende,] die in | |
lichtkathedralenhaften Kompositionen einen unwiderstehlichen Sog | |
entwickeln. | |
Andujar, die seit knapp 80 Jahren an einer fotografischen Kartographierung | |
indigener Gemeinschaften im Amazonasgebiet arbeitet, bildet freilich eine | |
Ausnahme in „Currency“, anonsten ist die Ausstellung in der großen | |
Deichtorhalle als Reflektion angelegt. Die Fotografie ist hier kein Medium | |
der Überwältigung, sondern eines, das sich selbst in Frage stellt, das | |
seine eigene Kunsthaftigkeit dekonstruiert. | |
„Fotografie jenseits der Aufnahme“ wird hier präsentiert, und wenn man das | |
als verkopft versteht, dann hat man recht. Wenn man es allerdings als | |
Ausweg der Triennale aus der Massentauglichkeitsfalle versteht, in die die | |
Fotokunst immer wieder tappt, dann ebenfalls. | |
## Das Sehen neu lernen | |
„Currency: Photography beyond capture“ wurde [2][von der | |
Triennale-Leiterin Koyo Kouoh] kuratiert, in Zusammenarbeit mit Rasha | |
Salti, Gabriella Beckhusrt Feijoo und Oluremi C. Onabanjo. Entsprechend | |
liegt es nahe, die umfangreiche Präsentation mit 29 künstlerischen | |
Positionen als Quintessenz der Ausstellungsreihe zu sehen, als Schau, die | |
das Triennale-Motto „Currency“, „Währung“, auf den Punkt bringt. | |
Leicht machen es Kouoh und Kolleginnen einem dabei nicht – vieles ist | |
konzeptionell, erschließt sich einem nicht sofort, auf große Namen des | |
europäischen Kanons verzichtet die Ausstellung fast vollständig. | |
Sie entwickelt so eine Schule des Sehens, die quasi bei Null anfängt. Bei | |
den Landschaftsaufnahmen von Ragnar Axelsson („Glacier“, 2014/15), Fazal | |
Sheikh („Desert Bloom“, 2011) und Anne-Marie Filaire („Temporary | |
Landscapes“, 2021), Bildern von abstrakt-erschreckender Schönheit, die | |
einem erst auf den zweiten Blick enthüllen, dass es hier um menschliche | |
Eingriffe in die Natur geht. | |
## Die Form steht über dem Inhalt | |
Sheikhs Wüstenaufnahmen: landwirtschaftliche-kapitalistische Strukturen in | |
majestätischem Wüstenumfeld. Filaires menschenleere Bilder: Pariser | |
Ödflächen im Lockdown. „Gegenkartierung im Anthropozän“, beschreibt Kouoh | |
diese Fotografien. | |
Die Form überwölbt hier das Dargestellte, das abstrakte Spiel mit Linien | |
und Farbflächen verschleiert die Gewalt, die diesen Aufnahmen | |
eingeschrieben ist. Deutlicher wird das bei Arbeiten, die bewusst | |
Unschärfen einsetzen: bei Mame-Diarra Niangs Serie „Léthé“ (2019–21) o… | |
bei Ziad Antars „After Images“ (2016), wo Bäume, Hügel, Gebäude kaum noch | |
erkennbar sind, sondern in grünstichigen Flächen verschwimmen. | |
Als Kontrast gibt es dann Bilder, die ganz ungebrochen Beziehungen zwischen | |
Menschen thematisieren: im queeren „While night comes on gently“ (2017–21) | |
von Clifford Prince King oder im sarkastischen, comichaften | |
Exploitation-Spiel „Babe Listen“ (2021) von Ortoma Elewa. Sage niemand, | |
dass Dekonstruktion nicht auch zugänglich sein kann. | |
## Wenig Strukturen, wenig Hierarchien – das ist Konzept | |
Nach einer Weile wird klar, dass die Ausstellung eine ungewöhnliche, dabei | |
aber nicht uninteressante kuratorische Strategie verfolgt, eine Strategie, | |
die zwar die Hierarchien von inhaltlichen, formalen und geographischen | |
Verwandtschaften noch kennt, sie aber gleichsam transzendiert und immer, | |
wenn man glaubt, eine Spur gefunden zu haben, abbricht. | |
Ein postkolonialer Gedanke liegt der Präsentation zu Grunde, beispielsweise | |
mit Alfredo Jaars „Searching for Africa in LIFE“ (1996/2022), einer | |
Leuchtkastenpräsentation von 2018 Covern der US-Zeitschrift Life, die, | |
natürlich keinerlei afrikanisches Leben zeigen – aber dieser Gedanke ist | |
kein strukturbildendes Merkmal. | |
Kuratieren, das heißt immer auch Hierarchisieren, und Hierarchien | |
interessieren Kouoh nicht. Es kommt nicht von ungefähr, dass die | |
Triennale-Leiterin bei jeder Gelegenheit betont, dass ihre Arbeit eine | |
Gemeinschaftsarbeit sei, und entsprechend tritt die Ausstellung einen | |
Schritt zurück, hinter das Kuratierte. | |
Der einzige hierarchieanfällige Aspekt, der noch nicht überwunden ist, ist | |
die Zeitgenossenschaft: Praktisch alle gezeigten Arbeiten stammen aus den | |
vergangenen 20 Jahren. Und vielleicht stolpert das Ausstellungskonzept hier | |
ein wenig, vielleicht wird mit der Konzentration auf Neues eine Kategorie | |
etabliert, die dem „Kategorien neu denken“-Ansatz von Kouoh und Kolleginnen | |
im Weg steht, vielleicht. Der Tatsache, dass „Currency“ über weite Strecken | |
einen originellen, klugen, widerborstigen Zugriff auf den Stand der | |
Fotokunst darstellt, tut es allerdings keinen Abbruch. | |
## „Currency“ als Meta-Ausstellung | |
Carsten Brosda ist ein Meister des Bonmots. Und diese Bonmots verschleiern | |
ein wenig, dass der Kultursenator auch ein wacher Denker ist, der auch | |
komplizierte Strukturen genau auf den Punkt zu bringen weiß. Wenn Brosda | |
also zur Eröffnung ausführt, dass Bilder nicht in erster Linie Abbilder der | |
Wirklichkeit seien, sondern vielmehr die „diskursive Behauptung, was die | |
Welt sein könnte“, dann beschreibt er schon ziemlich passgenau, wie | |
„Currency“ aufgebaut ist: Als Meta-Ausstellung. | |
Sie funktioniert weniger als Präsentation von Fotografie und mehr als ein | |
uneindeutiges, widersprüchliches Nachdenken darüber, was uns Fotografie | |
eigentlich zeigt. | |
Und wer Eindeutigeres bevorzugt, für den bietet die riesige Triennale der | |
Photographie ja unter anderem noch elf weitere Ausstellungen, die teils | |
deutlich weniger um die Ecke gedacht daherkommen. | |
[3][Currency: Photography beyond capture] bis 18. September, | |
Deichtorhallen, Hamburg | |
28 May 2022 | |
## LINKS | |
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[3] http://www.phototriennale.de | |
## AUTOREN | |
Falk Schreiber | |
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