# taz.de -- Zwei markante Fotoausstellungen: Ist das Kunst oder hat das Zweck? | |
> Auf dem Grat zwischen Kommerzieller und künstlerischer Fotografie: Zwei | |
> Ausstellungen der Hamburger Deichtorhallen zur „Triennale der | |
> Photographie“ | |
Bild: Jersey Mode, 1969 (Ausschnitt): Für „Twen“ schuf Charlotte March kna… | |
HAMBURG taz | Eine „Triennale der Photographie“ kann neueste Entwicklungen | |
oder Funde aus alten Archiven zeigen, sie kann auch selbstreflektierend | |
hinter die Kulissen blicken. Genau das tut die Ausstellung in den | |
„Phoxxi“-Containern neben den Deichtorhallen nahe dem Hamburger | |
Hauptbahnhof. | |
Da wegen der erneut notwendigen mehrjährigen Sanierung der kleinen | |
Deichtorhalle das umfangreiche Foto-Archiv des 2021 verstorbenen | |
Modefotografen [1][F. C. Gundlach] umziehen musste, nutzte der Hamburger | |
Fotograf Christoph Irrgang die Gelegenheit zu einer künstlerischen | |
Dokumentation dieses Depots. Einblicke und vor allem Detailaspekte der in | |
reduziertem Licht gelagerten Schätze und immer wieder eine ins Bild | |
kommende ordnende Hand bestimmen die ganze rechte Wand des hohen | |
provisorischen Ausstellungsraums. | |
Es entfaltet sich dort eine spezielle Ästhetik des Lagerns und Bewahrens | |
zwischen Schutzfolien und Schubfächern, Sorgfalt und Sortierungen. Der so | |
untersuchte Endverbleib von Artefakten ist die stille, verborgene Seite der | |
Kunst, der aktive Markt ist die andere, laute und demonstrativ vergnügte. | |
So sind auf der Wand gegenüber (und im Videoraum) Momente der weltweit | |
größten Fotomesse, der „Paris Photo“ mit handschriftlicher Identifizierung | |
der prominenten Akteure durch „Photonews“-Chef Denis Brudna ausgestellt. | |
Fotograf Christoph Irrgang ist aber kein bloßer Dokumentarist. Auf der | |
Empore sind vier weitere Werkgruppen von ihm zu sehen, die als Chiffren | |
dafür zu lesen sind, wie das Publikum mit Kunst umgeht, körpersprachlich | |
geradezu auf die Kunst zugreift. Denn es sind die Gesten der beobachteten | |
Besucherinnen und Besucher von Museen, Auktionen und Vernissagen, die | |
Irrgang präsentiert. | |
## Chiffren für des Publikums Umgang mit Kunst | |
Dabei sind ihm eigene Aufnahmen im Strom der Massen an einem | |
eintrittsfreien Sonntag 1981 im Louvre ebenso wichtig wie aktuell dem | |
Internet entnommene Momente oder dem eigenen Archiv entstammende Bilder, | |
reproduziert von alten Mikrofiche-Lesegeräten. Flanieren und kaufen, | |
diskutieren und demonstrieren: Ob bei den großen internationalen Auktionen | |
oder einer Vernissage, hier überlagert der kommunikative Gestus die Kunst. | |
In einer der Serien werden gar im harten Zugriff von Uniformierten für die | |
Reichsführung neu erworbene Gemälde vorgeführt. Ohne sich in die einzelnen | |
Kontexte allzu sehr zu vertiefen, wird das weite Spektrum sozialen Umgangs | |
mit Kunst illustriert, zwischen virtueller Verfügung und machtvoller | |
Aneignung. | |
Die Photo-Triennale angestoßen und seine Sammlung den Deichtorhallen | |
hinterlassen hatte der erwähnte Hamburger Fotograf [2][F. C. Gundlach]. | |
Doch eine weitere Hamburger Fotoberühmtheit sollte darüber nicht vergessen | |
werden: Charlotte March (1929–2005). Ihren Nachlass hat 2006 die | |
[3][Sammlung Falckenberg] erworben, seitdem wurde für Archivierung und | |
Aufarbeitung der etwa 30.000 Aufnahmen gesorgt. Nun gibt es mit gut einem | |
Prozent des Materials eine Ausstellung zu ihrem Werk in der Sammlung in | |
Harburg. Die Gesamtübersicht aus 300 Bildern kommt einer Neubewertung | |
gleich. Zwar sind manche Modestrecken und ihre Beiträge für „Brigitte“, | |
„Stern“, „Elle“, „Vogue“, „Vanity Fair“, „Harper’s Bazaar�… | |
stilprägend – in „Twen“ vielleicht noch in Erinnerung. Eine Neuentdeckung | |
aber ist das unveröffentlichte Frühwerk. | |
Charlotte March besucht 1953 das damals noch nicht für den Tourismus | |
aufbereitete Ischia und trifft dort auch den deutschen Komponisten Hans | |
Werner Henze, der sich für einige Jahre dorthin zurückgezogen hatte. Es | |
entstehen heute sehr fern wirkende Bilder vom einfachen, ja ärmlichen | |
Leben, die einfühlsam und doch bildnerisch komponiert ein bloßes Vorführen | |
des Anderen vermeiden. | |
Diese Haltung bestimmt auch Marchs Aufnahmen aus dem Hamburg der Fünfziger | |
Jahre: Neben den noch allgegenwärtigen Ruinen und den Hinterhöfen der | |
Reeperbahn sind Menschen vom Fischmarkt und vom Zirkus, auf dem Dom und in | |
den Straßen wie im Vorübergehen und doch mit großer Sympathie ins Bild | |
gebracht. Aus dem Moment wird eine persönliche Geschichte und aus allem | |
inzwischen ein historisches Dokument. Eine These der Ausstellung ist, dass | |
Marchs spätere Modefotografie im gleichen Geist gestaltet wurde. | |
## Rollenverteilung umgedreht | |
Dass sich Auftragsarbeit und freie Fotografie, bezahltes und gelebtes | |
Posieren mitunter fast gleichen, zeigen die Bilder aus dem „Swinging | |
London“: Wie Charlotte March selbst verwundert feststellt, verhalten sich | |
die gestylten Passanten in den frühen 1970ern in der angesagten King’s Road | |
kaum anders als in einem lebendigen Modemagazin. | |
Schon vergleichsweise früh hat Charlotte March auch mit schwarzen Models | |
gearbeitet und konnte sich eine fast feministische Sicht auf den männlichen | |
Körper leisten: 1977 erschien ihr erotisch aufgeladenes Buch „Mann, oh | |
Mann! – Ein Vorschlag zur Emanzipation des attraktiven Mannes“. Teils | |
geradezu in „Playboy“-Ästhetik dreht sie die übliche Rollenverteilung um: | |
Die Frau fotografiert den nackten Mann. | |
Der dritte Stock des Harburger Museums ist in der aktuellen Schau weiteren | |
Künstlerfotografien der Sammlung Falckenberg gewidmet und zeigt | |
eindrucksvoll, wie fließend die Grenzen zwischen künstlerischer und | |
kommerzieller Fotografie sind. | |
13 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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