| # taz.de -- Ausstellung „Space Program“: Mit Sperrholz ins Weltall | |
| > Tom Sachs' Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen ist | |
| > massentaugliches Space-Center-Entertainment – aber auch Kunst und | |
| > Ideologiekritik. | |
| Bild: Spirituell aufgeladene kulturelle Erfahrung: Fremde Welten besuchen | |
| Vesta ist der zweitgrößte und schwerste Asteroid im Sonnensystem. 516 | |
| Kilometer Durchmesser hat der Himmelskörper, besitzt einen hohen | |
| Metall-Anteil und ist zeitweise ohne technische Hilfsmittel am Nachthimmel | |
| zu sehen. 2011 wurde er mit Hilfe der Raumsonde Dawn genauer erforscht. | |
| Der US-Künstler Tom Sachs arbeitet seit 14 Jahren an der Ausstellungsserie | |
| „Space Program“ mit künstlerischen Exkursionen auf extraterrestrische | |
| Objekte. 2007 simulierte er eine Expedition zum Mond in der Gagosian | |
| Gallery Beverly Hills, 2012 eine zum Mars in der Park Avenue Armory | |
| Manhattan, 2016 eine zum Jupitermond Europa im Yerba Buena Center for the | |
| Arts, San Francisco. | |
| In den Hamburger Deichtorhallen wurde jetzt erstmals ein Teil der Serie | |
| außerhalb der USA realisiert. Es geht zu Vesta, wo in naher Zukunft Seltene | |
| Erden abgebaut werden, was dem Ausstellungsuntertitel „Rare Earths“ eine | |
| hübsche Doppelbedeutung verschafft – einerseits verweist Sachs auf | |
| tatsächliche wirtschaftliche Interessen hinter der Eroberung des Weltalls, | |
| andererseits wird hier die Erde angesprochen, als Ort, an dem die | |
| Ausstellungen zu sehen sind. Und die durch die Klassifikation als „selten“ | |
| Kunstcharakter annimmt. | |
| Sachs hat die gesamte nördliche Deichtorhalle mit ihren 3.200 Quadratmetern | |
| Ausstellungsfläche zu einer riesigen Rauminstallation umgestaltet. In der | |
| Raummitte steht eine Landefähre („Landing Excursion Module (LEM)“, 2007), | |
| umringt von Laboren, technischem Gerät, Zuschauertribünen. Allerdings auch: | |
| Pagoden, ein japanisches Teehaus, eine zehn Meter hohe Nachbildung des | |
| World Trade Centers (2019). | |
| Die tun allesamt gar nicht so, als ob sie perfekt wären: Die | |
| ikonographischen Hochhaustürme etwa bestehen aus Sperrholz und Latexfarbe, | |
| und wenn man ein wenig näher kommt, erkennt man ihren provisorischen | |
| Charakter. Das hochtrabend „Mobile Quarantine Facility (MQF)“ (2011) | |
| bezeichnete Labor basiert auf einem Wohnmobil des US-Herstellers Winnebago. | |
| Und eine technische Station namens „Entry, Descent, Landing (EDL)“ (2010) | |
| besteht aus handelsüblichen Gasflaschen, auf die grob per Textmarker „Do | |
| not fucking touch“ gekritzelt wurde. Sollte die eigene Sicherheit von der | |
| Professionalität dieser Raummission abhängen, dann tut man gut daran, alle | |
| Hoffnung fahren zu lassen. | |
| Tatsächlich geht es bei „Space Program“ gar nicht darum, ein | |
| originalgetreues Abbild der Raumfahrt in den Kunstkontext zu stellen. Sachs | |
| entwickelt nach und nach eine mythologische Struktur, in der Raumfahrt, | |
| Technik und Fortschrittsglaube einerseits, Kunst und Kultur andererseits | |
| ideologische und religiöse Züge annehmen. | |
| Einen ersten Hinweis auf diese spirituelle Aufladung findet sich im „Tea | |
| Garden“: „Wenn wir uns in neue Welten begeben, wollen wir nur das Beste | |
| mitbringen“, formuliert der Ausstellungsführer diesen Bereich. „Mit ihrer | |
| Spiritualität und Sinnlichkeit und ihren heiligen Gegenständen stellt die | |
| Teezeremonie die höchste kulturelle Erfahrung dar, die die Erde zu bieten | |
| hat.“ | |
| Vergleichbares findet sich im Bereich „Transubstantiation“, in dessen | |
| Zentrum eine Nachbildung der Kathedrale von Chartres steht, neben einem | |
| Schrein voller anzubetender Pop-Artefakte und Pin-up-Bildchen. Die | |
| Erkenntnis, die Sachs hier anspricht, ist weniger eine der | |
| Naturwissenschaften, sondern eine, die man in Alchemie und Quacksalbertum | |
| findet. | |
| Man kann sich in diese Begriffsverwirrung fallen lassen, in Glaube und | |
| Aberglaube, in Pop-Referenzen und Wirtschaftsskepsis. Man kann die Feier | |
| US-amerikanischer Ikonographien von McDonald’s bis Nasa kritisch oder | |
| affirmativ reflektieren. Man kann sich auch gruseln angesichts der | |
| schmuddeligen DIY-Machart der Installation. | |
| Oder man kann die Illusion einer Raumfahrtmission annehmen, man kann die | |
| angebotenen Rituale in den Bereichen „Indoctrination“, „Anechoic Chamber�… | |
| und „Re-Education Center“ mitnehmen, dann wird Sachs’ Ausstellung zum | |
| Space-Center-Entertainment. „Space Program: Rare Earths“ reiht sich damit | |
| ein in populistische Immersionserfahrungen, die in den Deichtorhallen immer | |
| wieder ihren Ort finden, 2010 etwa William Forsythes „White Bouncy Castle“ | |
| oder 2012 Antony Gormleys „Horizon Field Hamburg“. | |
| Das sind Präsentationen, bei denen weniger die Kunst im Vordergrund steht, | |
| als der Publikumserfolg, und man kann mit Recht über die Massentauglichkeit | |
| solcher Schauen die Nase rümpfen – selbst ein nicht gerade für sein | |
| gehaltvolles Feuilleton bekanntes Medium wie die Bild widmete Tom Sachs | |
| einen, naja, „Ausstellungsbericht“. | |
| Mit solch hochkultureller Arroganz verfehlt man freilich nicht nur den | |
| ideologiekritischen Charakter von Sachs’ Arbeit am Mythos, man interessiert | |
| sich auch nicht für die künstlerische Qualität von „Space Program“, für… | |
| detailgenauen Blick, für die Freude an unterschiedlichen Einflüssen, Pop, | |
| Wissenschaft, Religion, alles ist eins. Auf die Stuhlreihen „Space Program | |
| NASA Chairs“ (2012) sind Namen gekritzelt, die Bezugspunkte für Sachs’ | |
| Kunst darstellen: Don Draper, Kaspar Hauser, Greta Thunberg. Die Referenzen | |
| fahren Raumschiff, die Bedeutungsebenen überlagern sich, und, mal ehrlich, | |
| so viel anders sieht das bei Jonathan Meese auch nicht aus. | |
| 29 Oct 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Falk Schreiber | |
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