# taz.de -- Bayerns Weltraumprogramm: Bavaria One hebt ab | |
> Bayern hat ein eigenes Weltraumprogramm. Markus Söder hat es erfunden. | |
> Doch manche im Freistaat fragen: Braucht es das wirklich? | |
Bild: Will hoch hinaus: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder neben dem Mode… | |
MÜNCHEN taz | Am Anfang war der Spott: Markus Söder startet ins All, greift | |
nach den Sternen. So oder ähnlich wurde häufig geurteilt, als Bayerns | |
CSU-Ministerpräsident [1][2018 ein eigenes Raumfahrtprogramm für den | |
Freistaat] ankündigte. Name: [2][„Bavaria One“]. Eine Luftnummer im | |
Wortsinn? Sein Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der es eher | |
bodenständig mag, sprach von „Größenwahn“. Und mit den legendären Worten | |
des großen bayerischen Kabarettisten Gerhard Polt fragten viele: „Braucht's | |
des wirklich?“ | |
Im Juli nun weihte die Technische Universität München (TUM) ihr neues | |
Fakultätsgebäude für Luft- und Raumfahrtforschung ein – in Ottobrunn | |
östlich der Stadt auf einem großen Areal. Söder kam natürlich auch und | |
meinte: „Heute lächelt keiner mehr darüber.“ Und: „Bayern soll das Space | |
Valley in Deutschland werden.“ | |
[3][Mirko Hornung] steht an der Spitze der neu geschaffenen eigenen | |
Fakultät, die über „Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie“ forscht. Letztere | |
kümmert sich um die Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche. Hornung ist | |
Professor und Dekan der Fakultät, die nun in Ottobrunn mehr und mehr | |
ausgeweitet wird. Also: Braucht's des? | |
Der Professor blickt im Gespräch erst einmal zurück: „München ist | |
industriell sehr gut aufgestellt“, sagt er. Früher allerdings „mit einer | |
Schwachstelle“ – der Wissenschaft. Einst gab es an der TUM lediglich zwei | |
Professuren, die sich mit Raumfahrt befasst hatten, angesiedelt bei den | |
Maschinenbauern. „Das ist natürlich viel zu wenig, um vorne mitzuspielen.“ | |
Es sei eine „industriepolitische Frage“, ob man das vorantreibe oder nicht. | |
Mirko Hornung meint: „Es ist gut, dass die Staatsregierung das will.“ | |
## Die „größte Weltraum-Fakultät Europas“ | |
Markus Söder hatte die Raumfahrt Ende 2019 als Teil der neuen „Hightech | |
Agenda Bayern“ ausgerufen und als „größte Weltraum-Fakultät Europas“. … | |
einst zwei Professuren sind in der neuen Fakultät nun schon 23 geworden, | |
bis 2030 sollen 55 besetzt sein. Man rechnet mit 4.000 Studierenden auf dem | |
Campus Ottobrunn, der Freistaat lässt sich sein Raumfahrtprogramm insgesamt | |
700 Millionen Euro kosten. „Es geht um neue Flugzeugantriebe, | |
Trägersysteme, neue Technologien im Raumfahrtsektor“, sagt Hornung. | |
Er will vor allem ein Missverständnis ausräumen, dem viele Menschen | |
erliegen, denen die Materie eher fremd ist: „Die Systeme werden immer | |
kleiner, immer flexibler.“ Im komfortablen Raumschiff Enterprise von | |
Galaxie zu Galaxie fliegen – diese Fantasie hat immer weniger mit der | |
Entwicklung in der Raumfahrt zu tun. „Wir haben kleinere Systeme, die | |
oftmals nah an der Erde fliegen“, sagt Hornung. | |
Es gibt einige Beispiele für die sinnvolle Anwendung von Raumfahrttechnik. | |
Wichtig für den Klimaschutz könnte es etwa sein, wenn Satelliten die | |
Veränderungen der Meereshöhen präzise messen. Auch kann simuliert werden, | |
welche Folgen Geländeveränderungen für die Verläufe von Flüssen haben. Und | |
mit der Drohne „Horyzon“ lassen sich lebensrettende Defibrillatoren zu | |
Menschen bringen, die in entlegenem Gelände einen Herzstillstand erleiden. | |
Im Campus Ottobrunn soll ein „Cluster“ entstehen, in dem Wissenschaft und | |
Industrie eng miteinander verbunden sind. Einige Unternehmen wie Airbus und | |
die Ariane-Group sind in der Nähe angesiedelt. Professor Hornung setzt aber | |
vor allem auf neue Start-Ups. Da die Fluggeräte kleiner und damit nicht | |
mehr so teuer sind, seien weniger Investitionen nötig. | |
## Paradebeispiel „Isar Aerospace“ | |
Als Paradebeispiel wird die Firma „Isar Aerospace“ genannt, die sich direkt | |
neben dem Campus angesiedelt hat. Es ist eine Start-Up-Geschichte wie aus | |
dem Bilderbuch: Drei Raumfahrt-Studenten der TUM gründeten 2018 die kleine | |
Firma, die Uni unterstützte sie dabei. Getragen wurde die Firma von der | |
Idee, kleine und günstige Trägerraketen herzustellen, die dann wiederum | |
Kleinsatelliten ins All schießen. Diese sind etwa wichtig für die | |
Datenübermittlung auf die Erde. Man spricht bei dieser Entwicklung schon | |
von der „Miniaturisierung“ der Raumfahrt. | |
Die Entwicklung dauerte zwei Jahre, 2020 wurden Produktionshallen von 4.500 | |
Quadratmetern eröffnet. Einst waren sie drei Studenten, nun hat | |
Isar-Aerospace mehr als 120 Mitarbeiter aus verschiedensten Nationen. | |
Bisher wurden 150 Millionen Euro von Investoren eingesammelt, die an die | |
Entwicklung glauben. | |
Kürzlich wurde bekannt gegeben, dass sich auch Porsche an Isar Aerospace | |
beteiligt – die Autobauer haben offenkundig erkannt, dass PS-Protzer | |
demnächst nicht mehr das große Geld bringen könnten. Verläuft alles nach | |
Plan, wird es 2022 und 2023 zu Testflügen kommen. Danach sollen jährlich 20 | |
Raketen gebaut werden. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) | |
hat der Firma einen Preis für „Mikrolauncher“ zuerkannt – und elf Millio… | |
Euro als Starthilfe. | |
Ist Raumfahrt umweltschädlich wegen des Kraftstoffverbrauchs und der | |
Materialien? Der Nutzen durch Erkenntnisse etwa zum Klimawandel sei viel | |
größer als der Schaden, meint Hornung. Anders etwa als bei aufwändigen | |
Mars-Missionen – „aber die machen wir auch nicht jeden Tag“. | |
## Bezos, Branson und Musk | |
Und was ist mit den Milliardären Bezos, Branson und Musk, die den Trip ins | |
All wohl vor allem fürs Ego brauchen? „Ach ja“, schnauft Hornung ein wenig. | |
Solche Privatflüge seien eine „interessante Nische“, immerhin würden sie | |
das Thema an die Öffentlichkeit bringen. | |
Die bayerischen Weltraum-Umtriebe werden aber auch kritisch gesehen. Von | |
„falscher Schwerpunktsetzung und Etikettenschwindel“ spricht die | |
Grünen-Landtagsabgeordnete und Wissenschafts-Sprecherin Verena Osgyan. Es | |
gebe beim Klimaschutz in Bayern „keine großen Erkenntnisdefizite mehr, | |
allerdings ein Umsetzungsproblem“. Statt in den Weltraum sollte man lieber | |
„in Forschung zur angewandten Klimaanpassung“ investieren. Die Gründung | |
eines neuen Zentrums dafür habe die Staatsregierung aber erst zu | |
Jahresbeginn abgelehnt. | |
Die Raumfahrt-Initiative sieht Osgyan letztlich als „Wirtschaftsförderung | |
und Standortpolitik zugunsten der rund um Ottobrunn ansässigen Luft- und | |
Raumfahrtindustrie“. Auch den Grünen sei es ein Anliegen, „hier auf | |
internationalem Niveau mithalten zu können“. Allerdings, sagt Osgyan, | |
sollte dies dann auch so bezeichnet werden. | |
17 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Markus-Soeders-Raumfahrtprogramm/!5537867 | |
[2] /Die-Wahrheit/!5662951 | |
[3] https://www.professoren.tum.de/hornung-mirko | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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