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# taz.de -- Fotograf F.C. Gundlach: „Ich wollte nie unter der Erde liegen“
> Obwohl F. C. Gundlach eine riesige Fotosammlung hat, hat er es immer
> geschafft, sich Dingen zu trennen. Sein Mausoleum auf dem Ohlsdorfer
> Friedhof steht auch schon.
Bild: Wohnt über seinem Archiv, umgeben von Fotos: Fotograf F.C. Gundlach.
taz: Herr Gundlach, auf dem Ohlsdorfer Friedhof steht seit einiger Zeit Ihr
Mausoleum samt Sarkophag. Warum haben Sie das bauen lassen?
F. C. Gundlach: Es gibt zwei Momente im Leben des Menschen, die er nicht
bestimmt: Geburt und Tod. Der Tod steht immer im Hintergrund – egal, wie
optimistisch und wie alt wir sind.
Wie kamen Sie auf Ohlsdorf?
Vor ein paar Jahren war ich dort, weil ich ein Grab fotografieren sollte.
Bei der Gelegenheit sagte ich der Dame, die mich betreute, dass ich mir ein
überirdisches Grab mit schöner Aussicht wünsche. Sie bat daraufhin einen
Kollegen, mich herumzufahren. Das tat er und wir sahen etliche Mausoleen,
die leer waren, weil die Familien nicht mehr existieren. So etwas wollte
ich auf keinen Fall. Dann kamen wir an einem Hügel vorbei und mein
Begleiter sagte: Hier sind 16.000 Hamburger beerdigt. Ich kam mir vor wie
vor einem Massengrab.
Anonyme Bestattungen liegen im Trend.
Ja, es passt zur heutigen Gesellschaft: Menschen namenlos zu beerdigen oder
die Asche im Meer zu verstreuen. Aber dieses Verschwinden eines Menschen
für immer ist doch grauenvoll. Ich denke, ein Grabmal soll auch Stätte der
Erinnerung sein.
Wie bei Ihnen.
Ja. Ich sprach mit einem befreundeten Architekten, ohne ihm konkrete
Vorgaben zu machen, und dann kam er mit dem Entwurf: ein Kubus, 3 mal 3 mal
3 Meter. Ich sage zu ihm, das ist viel zu groß. Da sagt er ganz lapidar:
Ein Sarg ist 2,40 Meter lang. Gut, sage ich, aber es muss ein Werkstoff von
heute sein.
Und zwar Beton.
Ja. Was wir heute hinterlassen, ist Stahlbeton. Ich hatte gar nichts
Besonders im Kopf dabei. Der Bunker, in dem ich lange mein Atelier hatte,
war aus Stahlbeton. Vielleicht hing es damit zusammen, ich weiß es nicht.
Und warum musste eins Ihrer Modefotos – Badekappen-Models 1966 vor den
Cheopspyramiden – auf die Seitenwand?
Diese Idee kam von meinem Architekten. Es passte ja auch gut, denn das sind
ja auch Grabmäler.
... mit denen die Pharaonen Macht demonstrierten und die Auferstehung der
Seele sicherstellten. Wollen Sie das auch?
Nein, das Foto soll kein Statement sein. Ich will damit nichts auslösen. Es
ist einfach ein Bild, das mit meinem Leben eng verbunden ist.
Und surreal: Badekappen-Mode in der Wüste, wo weit und breit kein Meer
ist...
Ja, und wo ein wunderbares Licht herrscht. Und genau dieses
Lichtdurchflutete ist mir an der Reproduktion in Ohlsdorf wichtig. Dieser
Effekt entsteht dadurch, dass das Motiv von Rillen durchzogen ist – weil
das Licht ja wandert. Und es funktioniert: Wenn die Sonne vorbeigeht,
verändert sich das Bild durch die Schattenbildung quasi vom Negativ zum
Positiv.
Besuchen Sie Ihr Mausoleum oft?
Ich gehe zwei- oder dreimal im Jahr dorthin. Es ist ein bisschen wie
Nach-Hause-Kommen. Und ich weiß noch: Als es fertig war, habe ich den Ort
verlassen und war froh, eine Aufgabe erledigt zu haben.
Warum wollten Sie ein oberirdisches Grab?
Weil es für mich unvorstellbar ist, in der Erde aufzugehen.
Erzeugt der Gedanke Beklemmungen?
Ich glaube ja. Wenn es soweit ist, bekomme ich zwar keine mehr, aber im
Moment ist es so. Ich wollte nie unter der Erde liegen.
Das Mausoleum steht weithin sichbar auf Hamburgs größtem Friedhof. Warum
diese Öffentlichkeit?
Die wollte ich nicht. Eigentlich sollte das Mausoleum eingerüstet bleiben.
Dann sagte der Betonbauer, das ginge nicht, weil der Beton austrocknen
müsse. Später hat es zufällig ein Journalist gesehen und fotografiert, und
dann war es in einer Zeitung. Ich habe angerufen und gebeten, meine
Privatsphäre zu respektieren, aber die Zeitungsleute sagten, das Bauwerk
stünde auf öffentlichem Grund.
Das Grab Ihres Bruders ist ganz in der Nähe.
Er starb 2006, als das Mausoleum im Bau war. Da dort aber kein Areal für
Einzelgräber ist, habe ich die Friedhofsverwaltung gefragt, ob sie für ihn
eine Ausnahme machen können. Das taten sie. Es gibt jetzt eine Sichtachse
zwischen unseren Gräbern. Aber das ist eigentlich sekundär. Letztlich geht
es um die familiäre Bindung. Die war zwar nicht so eng, aber sie bedeutet
mir ja etwas.
Sie gehen erstaunlich rational mit dem Tod um.
Ich sehe das pragmatisch: Die meisten Leute werden, wenn sie sterben, sehr
emotional und haben keine Ruhe. Und das Bestatter-Gewerbe ist ein ziemlich
übles. All diese Dinge wollte ich für mich ausgeschaltet haben. Mein
Bestatter ist bereits beauftragt, es ist alles abgesprochen. Generell denke
ich, Menschen sollten sich mehr Gedanken über den Tod machen. Dann wäre
manches leichter. Ich erlebe gerade, wie sich eine enge Freundin schwer tut
damit. Sie hätte die Möglichkeit, alles zu regeln, aber sie ist völlig
gefangen davon, Abschied nehmen zu müssen. Sie macht es sich noch schwerer,
anstatt zu sagen: Ja, das ist auch Teil meines Lebens.
Sie hat vermutlich Angst.
Wovor?
Davor, loszulassen, was hier schön ist. Haben Sie die nicht?
Nein.
Aber Sie haben es schön, auch in dieser Wohnung direkt über Ihrem Archiv,
inmitten ihrer Fotos. Hängen Sie nicht daran?
Nicht in diesem Kontext. Und was meine Person betrifft: Es wird keine
Inschrift auf dem Mausoleum sein. Es wird ein Grab sein, sonst nichts. Hier
dagegen gehe ich mit Dingen um, die ich gestalte und inszeniere. Vielleicht
ist es deshalb einfach, so etwas wie dieses Mausoleum zu realisieren.
Sind Sie eigentlich gläubig?
Glaube ist ein Geschenk. Ich kann mich nicht identifizieren mit einem
Glaubensbekenntnis. Ich bin zwar evangelisch-reformiert aufgewachsen, habe
aber keine Bindung an die Religion. Diese Dinge muss ich mit mir selbst
abmachen.
Zu welchem Schluss sind Sie gekommen: Geht es weiter nach dem Tod?
Ich glaube, es ist zu Ende.
Trennen Sie sich generell leicht von Dingen?
Nein. Aber wenn ich es getan habe, ist es endgültig. Es war gut, meine
Galerie abzugeben, als es mir zu viel wurde. Und es war gut, Ende der 80er
Jahre mit Fotografieren aufzuhören, als ich merkte, dass mir das Medium mit
der Digitalisierung fremd werden würde. Und von meiner Sammlung habe ich
mich ja mit Gründung der Stiftung getrennt.
Haben Sie immer den richtigen Moment für die Veränderung gewählt?
Nicht immer. Das ist schon auch ein Kampf, eine Auseinandersetzung mit mir
selbst.
Gibt es eigentlich jemanden, den Sie niemals fotografiert hätten?
Das ist jetzt nicht die direkte Antwort, aber: Es gab ja kein Bild von
Stalin. Die amerikanische Fotografin Margaret Bourke-White ist die Einzige,
die von Stalin ein Bild gemacht hat, auf dem er etwas lächelt. Das ist
passiert, als ihr beim Fototermin all ihre Sachen runterfielen. In diesem
Moment zeigte er eine winzige menschliche Regung.
Hätten Sie so jemanden fotografiert?
Wir hatten ja einen eigenen Diktator...
Und wo ist Ihre Grenze?
Die gibt es sicher. Aber jedes Porträt ist doch ein Dialog mit jemanden.
Man weiß in den ersten zwei Minuten, ob es geht.
So schnell? Aber es gibt schwierige Typen, die sich langsam öffnen. Wie den
Regisseur Jean-Luc Godard.
Ja, das war so eine Situation. Godard kam 1961 in mein Berliner Atelier. Er
stellte auf der Berlinale gerade seinen ersten Film vor „A Bout de Souffle“
und wollte porträtiert werden. Ich kannte ihn gar nicht. Er kam mit seiner
dicken Sonnenbrille. Ich bat ihn höflich, die Brille abzunehmen. „Kommt gar
nicht in Frage,“ sagt er. „Das ist mein Markenzeichen.“ Ich habe dann ein…
sehr niedrigen Kinderstuhl genommen und gesagt: „Bitte nehmen Sie Platz.“
Da grinste er. Er hatte begriffen, dass wir die Rollen getauscht hatten.
Dass ich jetzt der Regisseur war und er das Objekt. Das lief dann
wunderbar.
Aber die Brille hat er nicht abgenommen.
Nein, aber er hat agiert. Er war absolut regietreu.
24 Feb 2013
## AUTOREN
Petra Schellen
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