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# taz.de -- Biennale aktuelle Fotografie: Ablenkungsmanöver der Fotografie
> Die Foto-Biennale „The Lives and Loves of Images“ ist ärgerlich
> unpolitisch und schrecklich medienreflexiv. Ein virtueller Rundgang.
Bild: Ausschnitt aus Jajakom Cortis & Adrian Sonderegger, Making of „La cour …
Die Fotografie als Medium versteht es, die vielschichtigen Bedingungen der
Entstehung ihrer Bilder hinter deren Gegenstand zu verbergen. Diese
Verführung zum Kurzschluss bei den Betrachter*innen der Bilder haben
bereits [1][Bertolt Brecht und Walter Benjamin] als
„Bilderanalphabetismus“ beschrieben. Das meint, schreibt der
Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman, „wenn die vorgefassten Ideen – die
Repräsentationen – uns daran hindern, schlicht und einfach anzusehen, was
sich vor unseren Augen präsentiert“. Die diesjährige [2][Biennale für
aktuelle Fotografie] wollte einmal mehr auf diese „Ablenkungsmanöver“ und
„Manipulationsversuche“ der Fotografie verweisen.
Unter dem Titel „The Lives and Loves of Images“ subsummierte der Kurator
David Campany eine Vielzahl überwiegend zeitgenössischer Positionen in
sechs thematischen Ausstellungen in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen.
Sie im Ausstellungsbesuch zu erfahren, verhindern nun die Restriktionen
aufgrund der Coronapandemie. Was bleibt, ist ein virtueller Rundgang durch
die Biennale.
## Ikonen der Dokumentarfotografie
Im [3][Forum Internationale Photographie & Zephyr – Raum für Fotografie in
den Reiss-Engelhorn-Museen] in Mannheim war vor der Schließung
„Reconsidering Icons“ zu sehen. Die großformatigen Arbeiten des Schweizer
Duo Cortis & Sonderegger sind gut im Netz zu betrachten: Sie präsentieren
Repliken berühmter Fotografien in Form von abfotografierten Tischmodellen.
Mit offensichtlichen Miniatur-Rekonstruktionen von Nicéphore Niépces „La
cour du dumaine du Gras“ (1826) oder Robert Capas „Death of a Loyalist
Militiaman“ (1936) verweisen sie darauf, dass auch diese Ikonen der
Dokumentarfotografie weniger zufällige Schnappschüsse als vor allem
gelungene Kompositionen sind.
Der fotografische Konstruktionscharakter steht auch in „When Images
Collide“ im [4][Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen] im Zentrum. Die im
Titel suggerierte Frage, was passiert, wenn Fotografien aufeinandertreffen,
wird leider nicht ernsthaft durchdekliniert. Besucher*innen sehen hier
lediglich ein Nebeneinander von Arbeiten wie John Stezakers formalistische
Postkartencollagen, die schlichten Doppelporträts von Christoph Klauke oder
Martina Sauters Kombinationen von Standbildern populärer Filme mit eigenen
Fotografien.
Die Ausstellung verpasst ihr emanzipatorisches Potenzial, denn der Titel
ließ gesellschaftsrelevante Fragestellungen und Gegenstände erwarten: sich
diametral gegenüberstehende Wirklichkeitsbilder beispielsweise. Eine
Auseinandersetzung mit solchen stellt nicht erst in Zeiten von Alternative
Facts und konkurrierenden Diagrammen eine wichtige Aufgabe dar.
## Der Kontext verschiebt sich
Im [5][Heidelberger Kunstverein demonstrieren Thomas Ruff, Clare Strand,
Sebastian Riemer und Stanley Wolukau-Wanambwa in „Yesterday’s News Today]“
die künstlerische (Um-)Nutzung von Pressefotografie.
Das beinhaltet nun auch die Frage, anhand welcher Bilder sich wohl an die
Coronakrise erinnert werden wird. Hier kommen auch die Rückseiten der
Abzüge in den Fokus der Aufmerksamkeit. Das macht sie als gleichwertige
Informationsträger sichtbar und verdeutlicht, wie sich mit
Kontextverschiebungen und unterschiedlichen Blickwinkeln fotografische
Bedeutung neu generieren lässt.
[6][„Between Art and Commerce“ im Port25, Raum für Gegenwartskunst in
Mannheim], hält auch ohne Krise und trotz eines etwas abgenutzten Themas
Entdeckungen bereit. So etwa Abzüge des deutschen Fotografen Hein Gorny,
der in den 1930er Jahren Werbekampagnen für Unternehmen wie Bahlsen,
Pelikan oder AEG fertigte. In ihnen wird die bildliche Inszenierung
industrieller Reihung und Massenanfertigung deutlich. Trotz fehlender
historischer Kontextualisierung fungiert Gorny als Sozialfigur einer
fotografischen Ästhetisierung des Fordismus.
Damit schließen seine Bilder gekonnt an die großformatig gerahmten
Fotografien des niederländischen Duos Schelten & Abbens an. In ihren
abstrakten Produktfotografien, etwa für die Modemarke COS, entwickeln sie
eine kompositorische Strenge, die wiederum mit den nüchternen
schwarz-weißen Aufnahmen des Konzeptfotografen Christopher Williams in
Dialog treten.
## „Walker Evans Revisited“
So kann die Rolle der Fotografie im Prozess ihrer Verdinglichung im
Warenkapitalismus reflektiert werden. Die Möglichkeit einer
gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit Fragen der Sicht- und
Darstellbarkeit von Arbeit und Klasse ist vor allem in der auch virtuell
wirklich gelungenen Ausstellung „[7][Walker Evans Revisited“ (Kunsthalle
Mannheim)] gegeben: Dort sind vor allem die in den 1930ern entstandenen
berühmten Aufnahmen prekärer Lebenslagen in den USA der
Weltwirtschaftskrise zu sehen.
Auf Säulen im Raum präsentiert, werden sie mit zeitgenössischen
(Re-)Inszenierungen und Bezugnahmen an den umliegenden Wänden konfrontiert.
Die so entstandenen Blickachsen, die gesellschaftliche Kontextualisierungen
erlauben und vergleichendes Sehen fördern, gehen im virtuellen Raum leider
mehr oder weniger verloren. Die mehrteilige Biennale ist ärgerlich
unpolitisch und vor allem eins: schrecklich medienreflexiv. Derart
selbstgenügsam ähnelt sie ihrem Kurator: Dieser sah offensichtlich keine
diskursive Notwendigkeit darin, dem Ausstellungskatalog neben eigenen
Texten auch solche weiterer Theoretiker*innen hinzuzufügen.
21 Apr 2020
## LINKS
[1] /Ausstellung-zu-Brecht-und-Benjamin/!5455974
[2] https://biennalefotografie.de/en
[3] https://biennalefotografie.de/en/edition/virtual-tour/reconsidering-icons
[4] https://biennalefotografie.de/en/edition/virtual-tour/when-images-collide
[5] https://biennalefotografie.de/en/edition/virtual-tour/yesterday-s-news-today
[6] https://biennalefotografie.de/en/edition/virtual-tour/between-art-and-comme…
[7] https://biennalefotografie.de/en/edition/virtual-tour/walker-evans-revisited
## AUTOREN
Mira Nass
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