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# taz.de -- Rapper aus Brasilien feiert Solidarität: Die Liebe zwischen Gelb u…
> Wichtigste Stimme des brasilianischen HipHop: Emicida tritt auf seinem
> Album „AmarElo“ den rechtsradikalen Verwerfungen unter Bolsonaro
> entgegen.
Bild: Der Paulista Emicida ist eine Ikone der brasilianischen Rapszene ​
Die Parade der Karnevalsschulen von Rio de Janeiro ist eine durchaus
kommerzielle Veranstaltung. Doch dieses Jahr zeigte sich wieder, dass der
Karneval zugleich ein Ort des Widerstands und der Selbstermächtigung ist:
Die Sambaschule União da Ilha von der Gouverneursinsel schockierte das
Publikum etwa, indem sie bettelnde Kinderdarsteller im Sambodrom defilieren
ließ und eine Szene nachstellte, bei der ein Jugendlicher eine Frau im Bus
mit einer Waffe bedroht.
Die Botschaft war klar: Das komme dabei raus, wenn die Regierung – wie in
Brasilien – die Ausgaben [1][für das Bildungswesen zusammenkürzt.]
Sieger des Wettbewerbs wurden allerdings die Unidos do Viradouro aus
Niteroí mit einer Hommage an As Ganhadeiras de Itapuã. So nannte sich eine
Gruppe versklavter, teils freier Afrobrasilianerinnen in Salvador de Bahia,
stolze Frauen, die bereits im 19. Jahrhundert ihren eigenen Geschäften
nachgingen und zu Atabaque-Trommeln sangen und tanzten. Ihre Lieder des
ursprünglichen „Samba de roda“ werden in Salvador, der schwarzen Hauptstadt
Brasiliens, noch heute angestimmt.
## Vergiftete Atmosphäre
Es ist also ein Statement, wenn der Rapper Emicida aus São Paulo die
internationale Veröffentlichung seines neuen Albums „AmarElo“ auf das Ende
des Karnevals legt und seinen Stil „Neo-Samba“ nennt. Die Musik ist das
Werk eines gereiften MCs und kommt vom Sound so lieblich daher, dass man es
erst einmal für bekömmliche Kost hält.
Doch das täuscht. Auf dem Cover, das an die Gestaltung des programmatischen
Albums „Stakes Is High“ der New Yorker Crew De La Soul angelehnt ist, sind
drei indigene Kinder zu sehen. Auch das ist ein Statement – in diesen Tagen
umso mehr, als Brasiliens rechtsradikaler Präsident Bolsonaro den
Corona-Leugner gibt und die [2][ohnehin gefährdeten Indigenen besonders
anfällig für Viren] sind.
Statt die vergiftete gesellschaftliche Atmosphäre ätzend und polemisch zu
kommentieren, wie man es von einem Rapper erwartet, dessen
Wortspiel-Künstlername sich aus MC und „Mörder“ („Homicida“) zusammen…
feiert der 34-jährige Emicida auf „AmarElo“ aber lieber Mitgefühl,
Solidarität und Freundschaft.
Zum Einstieg reflektiert er in „Principia“, unterlegt von einer
Agogô-Doppelglocke aus dem Candomblé und den Klängen eines Kirchenchors,
über Liebe, Glauben und Positivität; Zum Ende ist die Stimme des
progressiven Pastors Henrique Vieira zu hören. Gleich anschließend
empfiehlt Emicida Gelassenheit als Überlebensstrategie („A ordem natural
das coisas“) und wünscht sich, dass wir uns unserer fragilen Seite öffnen
und sensibler werden („Pequenas alegrias da vida adulta“).
## Kritik am Waffenfetischismus
Zum Auftakt von „Cananéia, Iguape, Ilha Comprida“ scherzt Emicida dann mit
seiner im Hintergrund freudig quietschenden Tochter, bevor er locker über
die Entfremdung des Städters von der Natur reimt. Der von einem
Chico-Buarque-Klassiker inspirierte Song „9nha“ klingt schließlich nach
einer romantischen Ballade. Doch es ist eine Kritik am Waffenfetischismus
vieler Jugendlicher – und die Angebetete entpuppt sich in diesem Fall als
Knarre.
Emicida hat sich für die elf Songs seines Albums illustre Gäste ins Studio
geholt, von Samba-Legende Zeca Pagodinho über Carimbó-Diva Dona Onete aus
Belém bis zur Drik Barbosa und MC Tha, zwei Nachwuchsgrößen der
Dancefloorszene zwischen HipHop und Rio-Funk. „AmarElo“ ist eine Ode an die
Vielfalt der brasilianischen Kultur und steckt voller Referenzen. Der
Albumtitel etwa ist einem Poem des Schriftstellers Paulo Leminski entlehnt,
der im Portugiesischen nur so dahinschmilzt („Amar é um elo / entre o azul
/ e o amarelo“), sich im Deutschen aber nach DIN-Norm anhört: „Lieben ist
eine Verbindung zwischen Blau und Gelb.“
## Licht und Wärme in dunklen Zeiten
Das gleichnamige Titelstück, in dem Emicida von [3][Transgender-Ikone
Pabllo Vittar] begleitet wird, eröffnet mit einem eingängigen
Schmachtrock-Sample des MPB-Sängers Belchior: „Ich habe ziemlich geblutet
und geheult wie ein Hund.“ Dann heißt es optimistisch: „Letztes Jahr bin
ich ums Leben gekommen, dieses Jahr sterbe ich aber nicht.“
Emicida bleibt die wichtigste Stimme des zeitgenössischen HipHop in
Brasilien. Mit dem Label Laboratório Fantasma hat er sich in São Paulo
seinen eigenen Indie-Kosmos geschaffen. Und mit „AmarElo“ ist Emicida jetzt
ein Album gelungen, das Licht und Wärme in düsteren Zeiten spendet.
9 Apr 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Ole Schulz
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