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# taz.de -- Ausstellung von Fotograf Michael Danner in Berlin: Die Bilder neben…
> Seit 2008 beschäftigt sich Michael Danner mit Migration. Er sucht dabei
> ungewohnte Perspektiven. Seine Aufnahmen sind nun bei C/O Berlin zu
> sehen.
Bild: Michael Danner, Migration as Avant-Garde
Bilder zum Thema Migration sind oft Erregungsbilder. Für die Erregung gibt
es Gründe. Eine Sammlung von ganz anderen Fotografien, die Momentaufnahmen
vom Auswandern und Fliehen, vom Zwischenlagern und Unterkommen zeigen, aber
auf schnelle Erregung und Überwältigung verzichten, präsentiert die
Ausstellung „Migration als Avant-Garde“ des Fotografen Michael Danner bei
C/O Berlin.
Danner fotografierte seit 2008 zunächst jenseits der Außengrenzen der EU.
Er war bei Flüchtlingen aus Libyen, die in Lagern in Tunesien lebten. Er
fotografierte in Marokko und näherte sich über Spanien, Griechenland und
Rumänien immer mehr dem Herzen Europas.
Diese Bewegung schlägt sich auch in der Ausstellung nieder. Der erste Raum
zeigt Details von Fluchtbewegungen noch an den Außengrenzen: ein hölzernes
Boot, das auf Land gelaufen ist, Schwimmwesten am Ufer. Aber auch das Licht
der untergehenden Sonne, das das Meer in rötliche Farben taucht. Es sind
dies die Bilder neben den Bildern, also jene Details, die in den dramatisch
inszenierten Nachrichtenbildern gar nicht auftauchen, die aber Momente von
Flucht festhalten.
Andere Aufnahmen wandern hinüber ins Genre der Reisefotografie. Dieselben
Landschaften werden von Reisenden mit ganz unterschiedlichen Motiven
aufgesucht. Mitteleuropäer*innen zieht es zum Urlaub an Mittelmeer und
Adria, Menschen aus Asien und Afrika landen dort fluchtbedingt.
## Symbol von Aufbruch, Sehnsucht und Wunsch
Manche Aufnahmen machen auch die ökonomischen Zusammenhänge deutlich. So
fotografierte Danner eine Gaststätte mit dem Namen „Café Schengen“. Sie i…
leer. „Sie hatten gerade geschlossen, aber für das Foto haben sie noch
einmal das Licht angemacht“, erzählt Danner der taz. Die Werbetafeln auf
Französisch und Arabisch, die an den umliegenden Gebäuden befestigt sind,
lassen das Café so erscheinen, als würde es sich womöglich tatsächlich in
der Nähe Schengens, im französischen und migrantisch geprägten Teil
Belgiens befinden.
Es befindet sich aber im marokkanischen Tanger – und kann als sehr
eigentümliches Symbol von Aufbruch, Sehnsucht und Wunsch nach Verbindung
mit jenem Raum sein, der Freizügigkeit garantiert. Freizügigkeit allerdings
nur für die, die als dazugehörig markiert werden.
Der zweite Raum der Ausstellung beherbergt eine Installation. Wandhoch
werden Danners Fotos projiziert, immer sechs nebeneinander. Die Bilder
zeigen Zimmer mit Doppelstockbetten, Details von Aktenschränken, Tassen und
Becher in den immer gleichen genormten Formen. Es sind Bilder des
bürokratisch organisierten Ankommens in den Geflüchtetenunterkünften in
Zentraleuropa.
## Die Normierung in der Ankunft
Danner hat die Fotos 2014 in Berlin gemacht, vor dem medial begleiteten
großen Ankommen der Geflüchteten vor allem aus Syrien. Er schoss damals
nicht nur das eine, das ikonische Bild, sondern machte Serien von
Aufnahmen. Daher sind jetzt die dynamischen Bildsequenzen an der Wand
möglich, die eben auch die Aufmerksamkeit auf das Typische, das Genormte
des Aufnehmens lenken.
Im dritten Raum stellt Danner Porträts einzelner Geflüchteter Texttafeln
gegenüber. Er zitiert dabei auch aus [1][Hannah Arendts Essay „Wir
Flüchtlinge“]. Eine Argumentationslinie Arendts führte zum Titel der
Ausstellung. Die Philosophin, selbst eine Geflüchtete, beschrieb 1943 die
Weggehenden und Ausgewiesenen als die „Avantgarde ihrer Völker“.
Avantgarde, so Arendt weiter, könnten sie aber nur dann sein, wenn sie ihre
Identität aufrechterhielten. Arendt redet also gerade nicht der Anpassung
und Assimilation, des gerade noch Durchgehens und nicht Auffallens das
Wort. Sie betont vielmehr die Wichtigkeit, die kulturelle Differenz
aufrechtzuerhalten.
Die Texttafeln erweitern den zeitlichen Horizont. Sie weisen auf frühere
Migrationsbewegungen hin. Jene etwa, die durch [2][den NS-Staat in dessen
siegreicher Periode ausgelöst wurden, aber auch jene, die eine Folge von
dessen Niederlage waren.] 12 bis 14 Millionen Deutsche waren nach 1945 auf
der Flucht, mehr als 4 Millionen von ihnen wurden in der sowjetischen
Besatzungszone registriert, das entsprach einem Bevölkerungsanteil von 24,3
Prozent. Etwas mehr als 3 Millionen waren in der britischen Besatzungszone,
knapp 3 Millionen in der amerikanischen; das entsprach zwischen 14,5 und
17,7 Prozent, entnimmt Danner einem Aufsatz der Migrationsforschers
Johannes-Dieter Steinert. Auch auf biblische Migrationsbewegungen nehmen
die Texte Bezug.
Danners Bilder schauen anders auf Migration, als es uns der verengte
Nachrichtenblick einübt. Seine Multiperspektive glättet dabei nicht, sie
tilgt nicht Leiden, Zorn und Entbehrung. Aber sie macht auf historische
Zusammenhänge aufmerksam, auf Wiederholungen, auch auf die ganz
unterschiedlichen Wertungen von ganz ähnlichen Vorgängen.
Die Ausstellung selbst ist eine gelungene Umsetzung von Danners
gleichnamigem und preisgekröntem Fotobuch. Es übersetzt die zeitlichen
Überlagerungen, die im Buch durch eingefügte historische Aufnahmen
vollzogen wurden, durch kluge räumliche Anordnungen. Drei Räume sind es
nur, aber ein regelrechtes Denk- und Schau-Kabinett.
19 Sep 2020
## LINKS
[1] /Hannah-Arendts-Band-Wir-Juden/!5660578
[2] /73-Jahrestag-der-Befreiung-von-den-Nazis/!5500783
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Fotografie
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Flucht
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