# taz.de -- Eine Spur auf der Einwegkamera: Die Umkehrung der Perspektive | |
> Der Hamburger Fotograf Kevin McElvaney wollte wissen, wie Flucht | |
> aussieht. Er reiste nach Izmir, Lesbos, Athen und Idomeni und verteilte | |
> dort Einwegkameras. | |
Bild: Auf dem Weg nach Europa: Geflüchtete dokumentieren ihre beschwerliche Re… | |
HAMBURG taz | Was auf einer Reise passiert, kann der Reisende am besten | |
selbst erzählen. Das ist der Kern von „RefugeeCameras“, jenem Projekt, für | |
das Geflüchtete ihren Weg nach Europa selbst mit einer Kamera dokumentiert | |
haben. Die Menschen entscheiden hier also selbst, welche Geschichte sie mit | |
den Fotos erzählen wollen und werden zu Protagonisten ihrer eigenen | |
Geschichte. Für den Hamburger Fotografen Kevin McElvaney, der das Projekt | |
initiiert hat, ist das ein Weg, die Menschen aus der Opferrolle | |
herauszuholen, in der sie sonst als Geflüchtete oft stecken. | |
Die Idee zu dieser ungewöhnlichen Reportage ist bei einer | |
Koch-Veranstaltung in Hamburg entstanden. Der junge Fotograf McElvaney | |
stand gemeinsam mit Geflüchteten am Herd, die schon in Europa angekommen | |
sind. Die Flüchtlinge wollten unbedingt von ihrer Reise erzählen, hatten | |
aber keine Bilder – nur ein Selfie ab und zu. Fotograf McElvaney wollte | |
aber Bilder sehen, hätte selbst jedoch nur an die europäischen Grenzen | |
reisen und von da die Situation dokumentieren können. | |
Oder gemeinsam mit den Geflüchteten reisen können. Beide Möglichkeiten | |
wurden schon in die Praxis umgesetzt und beiden fehlt aus McElvaneys Sicht | |
das Wichtigste: die Umkehrung der Perspektive. Er wollte die Reise aus der | |
Sicht der Flüchtetenden selbst sehen. | |
Während der Flucht haben die Menschen in der Regel ein Handy dabei und | |
normalerweise ist es eines, das auch fotografieren kann. Aber die | |
wertevolle Akku-Zeit des Handys wird gebraucht, um mit der Familie zu | |
kommunizieren und um die Strecke zu checken, nicht um Fotos zu machen. Also | |
verteilte McElvaney Einwegkameras: Sie sind einfach zu nutzen, können nur | |
maximal 34 Bilder machen und man kann die Fotos nicht zwischendurch | |
anschauen oder löschen. Dazu bekam jeder eine wasserdichte Hülle, mit einem | |
vorfrankierten und reißfesten Umschlag mit McElvaneys Hamburger Adresse, | |
damit sie die Kameras zurückschicken konnten. | |
Im vergangenen Dezember fuhr McElvaney nach Izmir, Lesbos, Athen und | |
Idomeni, um Menschen für sein Projekt zu finden. Anstatt sich unsichtbar zu | |
machen, wie man von einem Profi-Fotografen in diesem Bereich erwarten | |
könnte, hat er die Leute persönlich angesprochen. „Die Fotografie soll die | |
Menschen, ihre Geschichten und ihren Kontexte, in den Mittelpunkt stellen“, | |
sagt er. Er hat ihnen das Projekt erklärt und Kontakte ausgetauscht. Fast | |
alle, die er angesprochen hat, machten mit. Sie waren begeistert von der | |
Idee, den Europäern ihre Erfahrungen zu zeigen. Ihre Reise nach Europa | |
hatte zwar bereits ihrer Heimat begonnen, in Syrien, Iraq oder Kurdistan, | |
trotzdem lag noch eine lange Strecke nach Deutschland oder Schweden vor | |
ihnen. | |
15 Kameras hat McElvaney verteilt, an Mütter und Väter, junge und alte | |
Menschen. Weder alle Kameras, noch alle Menschen haben ihr Ziel erreicht. | |
Eine Kamera ging verloren, andere wurden von der Polizei konfisziert. | |
Einige Flüchtlinge haben die Reise gar nicht erst antreten können, anderen | |
werden vermisst. Sieben Kameras hat McElvaney zurückbekommen, die waren | |
zwischen Januar und April in seinem Hamburger Briefkasten. | |
Die Fotografen sind Zakaria, Hamza und Abdulmonem, Amr, Dyab, Mohammad, | |
Firas und Saeed. Ihre Fotos zeigen gefährliche Überfahrten, lange Strecken | |
in überfüllten Bussen und alten Zügen, Menschen, die ihre Kleidung | |
verbrennen, um sich am Feuer zu wärmen. Diese furchtbaren Bilder gibt es | |
genauso wie Fotos von Menschen, die an einer Grenzstation posieren als | |
wären sie auf einem normalen Ausflug. Oder Bilder von Kindern, die zusammen | |
spielen und lachen. Diese Bilder zeigen, dass sich die Menschen auf der | |
Flucht Menschlichkeit bewahren – trotz der Umstände. | |
Diese Momente ungewöhnlichen Alltagslebens hat der Fotograf in einer | |
Ausstellung gesammelt, zusammen mit den Bilder von professionellen | |
Fotografen. „Auf diese Art und Weise entsteht ein umfassendes Bild, das | |
sich nicht mehr nur auf den Blick von außen reduziert“, erklärt McElvaney. | |
Was mit der Ausstellung verdient wird, ist für Seenotrettungsorganisationen | |
gespendet – wie See Watch, oder Sos mediterranee. Diese helfen die Menschen | |
auf der Flüchtlingsroute im Mittelmeer. Da würde McElvaney gerne solches | |
Projekt wieder einsetzen. Aber wenn das eigene Leben direkt in Gefahr ist, | |
ist schwierig zu fotografieren – auch mit einem Einwegkamera. | |
Ausstellung „Refugeecameras“: bis 19.6., Lumix-Fotofestival, Expo-Gelände, | |
Hannover | |
17 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Anna Dotti | |
## TAGS | |
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Schwerpunkt Syrienkrieg | |
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