# taz.de -- Krieg und Gewalt in Syrien: Die letzten Zeugen werden ermordet | |
> Kaum noch jemand riskiert, den Krieg in Syrien zu dokumentieren. Doch | |
> Khaled al Issa und sein Partner gaben nicht auf. Ein Nachruf. | |
Bild: Khaled al Issa wurde 24 Jahre alt | |
Das „Auge der Wahrheit“ ist tot. Acht Tage lang lag der syrische Fotograf | |
im Koma und einen Tag, nachdem Deutschland ihm ein Visum zugestand, erlag | |
er seinen Verletzungen. Warum gab es für ihn keinen Rettungshubschrauber? | |
Khaled wurde 24 Jahre. Er stammt aus Kafranbel, dem Dorf, das mit seinen | |
sarkastischen Kommentaren zu den Ereignissen in Syrien und der Welt | |
international berühmt wurde. Khaled war einer der mutigsten Journalisten, | |
die wir hatten. Er fotografierte an den gefährlichsten Orten. Mit seiner | |
Kamera dokumentierte er den Horror des andauernden Genozids in all seinen | |
Details, wurde bei Luftangriffen durch das Regime und dann die Russen zwei | |
Mal schwer verletzt, aber den gezielten Anschlag auf sich und seinen | |
Partner [1][Hadi al Abdulla] in Aleppo überlebte er nicht. Ein | |
selbstgebastelter Sprengkörper explodierte vor der Haustür ihrer Wohnung. | |
Ob er etwas geahnt hatte? Wenige Tage vor seinem Tod schickte er eine | |
Videobotschaft an seine Mutter: „Wenn mir etwas passiert, sei nicht traurig | |
und vor allem, mach unbedingt weiter!“ [2][Galia Rahal] eröffnete 2013 das | |
erste Frauenzentrum in Kafranbel: „[3][Mazaya]“ (Vorteil) mit dem Slogan: | |
„Ich bin keine Last mehr, ich bin deine Kraft!“ Die 41-Jährige ist bis | |
heute das Rückgrat der Frauenbewegungen, die im Zuge der Revolution | |
entstand sind. | |
Khaleds Tod ist nicht wichtiger als der von vielen anderen. Doch ich bin | |
erschüttert, denn es scheint, als ob die letzten Zeugen zum Schweigen | |
gebracht werden sollen. Umso dankbarer war ich für die zunächst | |
hoffnungsvollen Worte seiner Mutter: „Alle, die Khaled lieben und nach ihm | |
fragen, ich war bei ihm und hab seine Hand genommen. Ich habe zu ihm | |
gesprochen in der Hoffnung, dass er mich hört und ihm erzählt, wie sehr | |
seine Freunde sein Lachen vermissen. Ich bin nicht daran gewöhnt, dass er | |
mir nicht antwortet, dass ich seine heisere Stimme nicht höre. ‚Du bist | |
stark‘, hab ich ihm gesagt, ‚dein Herz ist stark, du wirst überleben. | |
Inschallah.‘“ Es kam anders. | |
## „Lass deine Seele meine besuchen“ | |
Wieder meldete sich Galia Rahal auf Facebook zu Wort. Trotz ihres Schmerzes | |
bricht sie das Gespräch mit uns nicht ab: „Mein Leben, du heisst jetzt | |
Märtyrer. Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Namen! Du hast mir den | |
Himmel geschenkt bevor du starbst, du hast mich beschützt im Leben und im | |
Tod, geht es dir jetzt gut, mein Leben? Gott wird glücklich mit dir sein. | |
Du warst mir näher als meine Seele, wir sind gemeinsam gewachsen, bleib in | |
meiner Nähe, lass deine Seele meine besuchen, damit ich weiss, dass du da | |
bist. Du bist nicht mehr Fleisch und Blut, du bist meine Seele und du wirst | |
es bleiben.“ | |
Sein Partner und lebenslanger Freund Hadi Abullah hat schwer verletzt | |
überlebt. „Was soll ich jetzt machen?“, schreibt der Journalist vom | |
Krankenhaus aus. „Mein zerbrochener Körper, meine blutenden Gedärme, mein | |
gebrochenes Bein, meine sterbende Seele, was sollen wir ohne ihn tun? Oh, | |
mein Khaled. Ich wünschte, ich wäre bei dir oder an deiner Stelle. Ich | |
wünschte, du würdest mich preisen und über mich trauern. Ich wünschte, ihr | |
Sprengstoff hätte mich in tausend Stücke gerissen. Ich möchte nicht nach | |
dir leben. Ich bitte dich, lass deine Seele die meine rufen. Ich bitte dich | |
bei unserer Freundschaft und dem Schmerz, den wir zusammen erlebt haben. | |
Bitte ruf mich zu dir. Ich verspreche dir, ich werde dich um nichts mehr | |
bitten. Khaled, meine Seele braucht dich.“ | |
Khaled al Issa hatte sich entschlossen, in Syrien zu bleiben, als die ganze | |
Welt entschied, über Syrien hinweg zusehen. Er und Hadi sind an die | |
gefährlichsten Orte gereist, um zu berichten. Wir, die wir Syrien verlassen | |
haben, sind ihren Bildern und Berichten über Facebook gefolgt. Sie waren | |
unsere Verbindung zu unserem blutenden Land. | |
Khaled, du alleine hast mehr Schönheit als die ganze ungerechte Welt | |
zusammen. Ruhe in Frieden. | |
Mitarbeit: Ines Kappert | |
27 Jun 2016 | |
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