# taz.de -- Kolumne „Hier und dort“: Es geht mir gut und ich schäme mich | |
> Kefah Ali Deeb ist dem Krieg in Syrien entronnen, aber viele ihrer | |
> Freunde sind noch dort. Dass sie in Sicherheit ist, bereitet ihr | |
> Unbehagen. | |
Bild: Hier ist Damaskus: Das Bild stammt vom 11. Juni 2016 und wurde im Viertel… | |
In der Fremde verändern sich die Maßstäbe. Jede noch so kleine | |
Gefühlsregung wächst sich aus zu einem erbitterten Konflikt zwischen | |
Akzeptanz und Ablehnung. | |
Bevor ich Syrien verließ, verbrachte ich viel Zeit mit meinen Freunden. Wir | |
machten uns gegenseitig Mut, saßen oft bis spät in die Nacht zusammen und | |
sangen gegen den Gefechtslärm des Krieges an. | |
Was mir auch im Gedächtnis geblieben ist: Unsere Angst vor der Verhaftung, | |
unser Warten auf die Rückkehr der inhaftierten Freunde, unsere Trauer, wenn | |
der Tod einen aus unserer Mitte entriss, oder wenn jemand von uns das Land | |
verließ in der Hoffnung, irgendwo in Europa einen sicheren Hafen zu finden. | |
Nichts davon konnte uns unsere Lebensfreude rauben. Alles um uns herum war | |
Zielscheibe unseres Spotts: der Krieg, seine Warlords und Profiteure, das | |
Schicksal. | |
## Kampf für das Leben | |
Die Preissteigerungen, der Mangel an Erwerbsmöglichkeiten, das stundenlange | |
Warten an den Checkpoints, bevor man von einer Straße zur nächsten | |
weiterkam, so dass man immer Stunden zu spät zu seinen Terminen gelangte – | |
das alles war ein Ankämpfen gegen die Lebensumstände des Krieges und der | |
Diktatur, war ein Kampf gegen den Tod und für das Leben. | |
Ich schrieb zu der Zeit Gedichte über unser Alltagsleben und beendete sie | |
immer triumphierend mit: „Hier ist Damaskus“. Ja, dort im Herzen jener | |
altehrwürdigen Stadt zu schreiben, das war schon ein ganz besonderes | |
Gefühl. | |
Heute bin ich seit fast drei Jahren nicht mehr in Syrien. Seitdem ich den | |
„sicheren Hafen“ erreicht habe, ist alles anders geworden. Vor allem mein | |
„Ich“ und mein Selbstverständnis. | |
Singen bedeutet mir nichts mehr und ich schreibe auch keine Gedichte mehr, | |
die ich mit „Hier ist Damaskus“ enden lasse. Zu dem Gefühl von Sicherheit | |
hat sich ein erbärmliches Gefühl der Machtlosigkeit gesellt, denjenigen | |
gegenüber, die ich in Syrien zurückgelassen habe, wo ihnen jeden Augenblick | |
der Tod droht. | |
## Hier bedroht mich nichts | |
Denjenigen, die mich jeden Tag aus der Ferne fragen: „Wie geht es dir?“ | |
Worauf ich ihnen jeden Tag antworte: „Es geht mit gut“. Und dann schäme ich | |
mich. | |
Und noch mehr schäme ich mich, wenn ich zurückfrage: „Und euch?“ Die | |
Antwort ist immer die gleiche: „Uns geht es auch gut.“ Dann kichern sie | |
meistens und erzählen mir, wie sie mal wieder dem Tod ein Schnippchen | |
geschlagen haben, indem sie gerade noch einer Granate oder einem Projektil | |
entrinnen konnten. | |
Dann fragen sie weiter: „Wie ist es so in Deutschland? Und wie ist dein | |
Leben dort?“ Ich zucke zusammen und antworte mit bebender Stimme: „Hier ist | |
alles bestens.“ Bis unser Gespräch irgendwann durch einen Stromausfall bei | |
ihnen abrupt beendet wird. | |
Danach bin ich jedes Mal eine Zeit lang in Gedanken woanders. Verhaftungen, | |
Entführungen, Fassbomben, Granaten – hier bedroht mich nichts von all dem. | |
Hier gibt es keine Stromausfälle und keine Inflation. Fast wäre der Krieg | |
für mich nur eine ferne Erinnerung – würden ihn mir die Nachrichten und die | |
abrupt unterbrochenen Gespräche mit meinen Freunden nicht immer wieder ins | |
Gedächtnis rufen. | |
Übersetzung: Rafael Sanchez | |
20 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Kefah Ali Deeb | |
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