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# taz.de -- Kolumne Hier und dort: Freunde und Leid
> Es ist belastend, darüber schreiben zu müssen, wie Syrer leiden. Aber das
> Leben in seiner Grausamkeit lässt einem nicht die Wahl.
Bild: Ein normales Leben gibt es in Syrien nicht mehr
Nach meiner letzten Kolumne vor drei Wochen wollte ich eigentlich einen
ganz anderen Text schreiben als den, den Sie jetzt lesen. Doch dann sind
mir meine Freunde dazwischengekommen und haben mich – wie so oft – voll und
ganz in Beschlag genommen.
Unter anderem habe ich einer schon etwas betagteren Freundin im Krankenhaus
Gesellschaft geleistet. Sie hatte plötzlich das Gleichgewicht verloren, war
gestürzt und bewusstlos geworden. Ein Krankenwagen musste gerufen werden.
In der Klinik diagnostizierte man einen Nervenzusammenbruch.
Ich kannte den Grund dafür, aber ich brachte es nicht fertig, dem Arzt
etwas zu sagen. Ich schaffe es generell nicht, vom Leid der syrischen
Bevölkerung zu berichten, ohne dass mir die Stimme versagt. Nur schreibend
gelingt mir das.
Jene Freundin also hatte auf einen Schlag drei Familienangehörige verloren:
ihren Bruder, dessen Frau und den Enkel ihrer Schwester. Sie alle wurden
getötet, während sie im Ausland war. Aus politischen Gründen konnte sie
nicht nach hause zurück, um ihren anderen Geschwistern in der Trauer
beizustehen.
## Dauerzustand der Ungewissheit
Und das, wo sie ohnehin schon in einem zermürbenden Dauerzustand der
Ungewissheit lebt. Seit der Verhaftung ihres Sohnes und seiner Frau vor
vier Jahren wartet sie darauf, etwas über deren Schicksal zu erfahren. Sie
weiß nicht einmal, ob sie überhaupt noch am Leben sind!
Dieser bohrende Schmerz hat ihr schwer zugesetzt und sie in den Kollaps
getrieben. Wie ihr ist es unzähligen syrischen Müttern ergangen. Irgendwann
reicht die humanitäre Maske nicht mehr aus, um die hässliche Fratze zu
kaschieren, welche die Welt in ihrer Gleichgültigkeit gegenüber dem, was in
Syrien geschieht, an den Tag legt.
Im Warteraum der Klinik erhielt ich eine Nachricht von einem Freund in
Syrien, in der er mir von der Flucht seines Bruders und seines Cousins,
beide um die 20, berichtete. Sie hatten gehofft, es bis nach Europa zu
schaffen. Schon seit Monaten war der Kontakt zu ihnen komplett abgebrochen.
Bis er kürzlich einen anonymen Anruf erhielt, in dem ihm mitgeteilt wurde,
dass die beiden unterwegs zu Tode gekommen waren!
Meine Gedanken schwirrten zwischen meinen Freunden hier und meinen Freunden
dort hin und her. Das Schreiben war zu einer kräftezehrenden, schmerzlichen
Angelegenheit geworden. Wie gerne hätte ich einen Artikel geschrieben, der
von Freude oder Liebe kündet.
## Schlechtes Gewissen
Wie belastend ist es hingegen, darüber zu schreiben, was die eigenen
Freunde durchleiden müssen. Obendrein habe ich ein schlechtes Gewissen
dabei, den Lesern all diese traurigen Details zuzumuten. Würden diese nicht
viel lieber etwas Amüsantes zu lesen bekommen in ihrer Zeitung?
Aber das Leben in seiner Grausamkeit lässt einem nicht die Wahl, über etwas
Heiteres zu schreiben, drängt es einem doch permanent seine Melancholie und
seine surrealen Widersprüche auf.
Wir Syrer haben nun einmal jede Hoffnung und jedes Vertrauen verloren: in
die Menschenrechte, in die internationale Gemeinschaft, ja in sämtliche
Gottheiten, an die wir jemals geglaubt haben mochten. Letztendlich bleibt
uns als Gewissheit nur der Tod, er verschlingt uns alle gleichermaßen – die
im Land Gebliebenen und die Geflüchteten.
Übersetzung: Rafael Sanchez
6 Oct 2016
## AUTOREN
Kefah Ali Deeb
## TAGS
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